junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 18. / 19. Mai 2024, Nr. 115
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 06.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Luxusgut Lebensmittel

Fatale »Toastbrotzeit«

Österreich: Arme Menschen leiden zunehmend an Mangelernährung
Von Dieter Reinisch, Wien
lebensmittelarmut-oesterreich(WAS).JPG
Viel Zucker, wenig Gutes: Toastbrot pur für Einkommensschwache gerade noch erschwinglich

Wenn Ende des Monats kein Geld mehr da ist und die Ernährung daher nahezu ausschließlich auf billiges Backwerk umgestellt wird, dann ist »Toastbrotzeit«. Auch in Österreich. Viele Familien können sich zum Monatsende Lebensmittel nicht mehr leisten, belegt eine neue Studie. Zunehmend von »Toastbrotzeit« betroffen sind Kinder.

Die genannte Erhebung des Forschungsinstituts Gesundheit Österreich bestätigt dies: Aus der repräsentativen Umfrage ergibt sich, dass rund zwölf Prozent der Bevölkerung, also etwa 1,1 Millionen Menschen, von mittlerer bis schwerer Ernährungsarmut betroffen sind. Das bedeutet, dass diese Menschen aufgrund finanzieller Engpässe nur unzureichende Mengen und Qualitäten an Lebensmitteln kaufen können.

Etwas mehr als vier Prozent der österreichischen Bevölkerung, rund 420.000 Personen, sind gar von schwerer Ernährungsarmut betroffen. Das heißt, dass manche Personen Mahlzeiten ausfallen lassen müssen oder teilweise einen ganzen Tag lang nichts zu essen haben.

Besonders problematisch ist die Situation bei Familien: Rund 13 Prozent der befragten Erwachsenen mit Kindern hatten 2023 Sorge, dass ihre Kinder nicht ausreichend zu essen haben. Die Teuerung trifft in Armut lebende Menschen stärker, weil sie einen größeren Prozentsatz ihres Haushaltseinkommens für Wohnen, Lebensmittel und Energie ausgeben müssen als Gruppen mit höheren Einkommen. Auch sind gesunde Lebensmittel tendenziell teurer, wie der Preismonitor der Arbeiterkammer (AK) bestätigt. Die gesundheitlichen Folgen von Mangelernährung bei Kindern sind eindeutig: Sie sind häufiger krank. Und das zeigt sich bereits im frühen Kindesalter.

»Wir beobachten, dass armutsbetroffene Kinder selten Frühstück essen, keine Jause (Pausenmahlzeit, jW) dabeihaben oder/und sich seltener in der Mittagspause etwas zu essen kaufen als andere. Daher fordern wir seit langem eine kostenfreie Verpflegung an Schulen und Kindergärten«, so Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.

Schilderungen aus der Sozialberatung der gemeinnützigen Wohlfahrtsorganisation lassen außerdem die Dramatik erkennen, wenn Eltern das Geld für eine gesunde Ernährung ihrer Kinder fehlt. Eine alleinerziehende Mutter schildert ihre Situation laut Volkshilfe so: »Momentan gehen wir zur Tafel, weil es sich einfach nicht ausgeht. Die Preise im Supermarkt schlagen so ein, Obst und Gemüse gibt es schon lange nicht mehr bei uns.«

Gesundheit Österreich führt in der Studie aus, die von Ernährungsarmut betroffenen Menschen würden gerne mehr auf gesunde Lebensmittel und Qualität beim Einkauf achten. Die größten Hürden dafür seien fehlende finanzielle Ressourcen, zu wenig Zeit und ein Mangel an erschwinglichen, gesunden und klimafreundlichen Optionen.

Empfohlen wird daher kostenlose Gemeinschaftsverpflegung, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte sowie die Förderung demokratischer Supermärkte in Kombination mit Verhaltensmaßnahmen wie der Erhöhung der Ernährungskompetenz. »Die Unsicherheit, ob man seine Kinder ausreichend mit Essen versorgen kann, und die Einschränkungen bei der Qualität der Lebensmittel belasten die armutsbetroffenen Familien schwer«, so Fenninger.

Ähnlich die Gewerkschaft: »Die Zahlen sind alarmierend und bereiten uns große Sorgen«, sagt Ingrid Reischl, ÖGB Bundesgeschäftsführerin. »Wenn sich Menschen in Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, keine anständige Ernährung mehr leisten können, ist das ein Armutszeugnis für die Politik«, erklärte sie nach Studienveröffentlichung am 2. Mai.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit