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Aus: Ausgabe vom 04.05.2024, Seite 1 / Titel
Energiepolitik

Rügen gegen LNG

Ostseebad Binz klagt gegen Inbetriebnahme von Frackinggasterminal. Gutachter sehen gravierende Sicherheitsmängel
Von Ralf Wurzbacher
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Umweltschützer verlangen einen Stopp der LNG-Importinfrastruktur

Butter bei die Fische – statt Frackinggas! Knapp zwei Wochen vor der planmäßigen Inbetriebnahme des LNG-Terminals vor Rügen gehen die Gegner des Projekts juristisch noch einmal in die Vollen. Wie am Freitag bekannt wurde, hat das Ostseebad Binz vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVG) wegen »schwerwiegender« sicherheitstechnischer Bedenken Klage gegen den Start der Anlage erhoben. Laut einer am selben Tag verbreiteten Erklärung des Anwalts der Inselgemeinde, Reiner Geulen, sei die Gefährdung durch mögliche Störfalle »nicht zu akzeptieren«. Insbesondere bestehe »im engen Hafen von Mukran ein hohes Kollisionsrisiko« mit Kaimauern, Fähren und Kreuzfahrtschiffen, würden dort künftig zusätzlich riesige LNG-Tanker verkehren. Weitere Gerichtsanträge von Umweltschützern, Anwohnern und Tourismusbetrieben sind angekündigt.

Die Zeit wird knapp. Am 15. Mai soll das aus zwei schwimmenden Einheiten bestehende Terminal erstmals seine Maschinen anwerfen, um aus Übersee angelandetes Flüssigerdgas zu regasifizieren und durch eine 50 Kilometer lange Pipeline nach Lubmin bei Greifswald zu leiten. Das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern hatte der Betreiberfirma Deutsche Regas am Montag die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt. Vier Tage zuvor hatte das BVG mit Sitz in Leipzig Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) gegen die Anbindung ans Festland abgewiesen. Die Verbände beanstanden das Ausbleiben einer Umweltverträglichkeitsprüfung, die das ganze Unterfangen wegen der prognostizierten massiven Schäden für das Ökosystem Ostsee womöglich vereitelt hätte. Gemäß »LNG-Beschleunigungsgesetz« sind solche Begutachtungen bei Vorliegen einer »Gasmangellage« verzichtbar. Insgesamt sind an den deutschen Küsten sechs LNG-Anlagen mit dem erklärten Ziel projektiert, sich aus der »Gasabhängigkeit von Russland« zu befreien, insbesondere durch Rückgriff auf schmutziges US-Frackinggas. Gebraucht wird die milliardenteure Infrastruktur angesichts voller Gasspeicher – Stand jetzt – allerdings nicht.

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Der Meeresschutz ist laut den Umweltschutzorganisationen durch den Pipelinebau gefährdet

Geulen beantragte als Rechtsbeistand der Gemeinde Binz nun eine Zwischenverfügung, um die Inbetriebnahme bis zu einer endgültigen Entscheidung aufzuschieben. Er stützt sich im wesentlichen auf vier Gutachten, darunter eines der Gesellschaft für Sicherheitstechnik/Schiffssicherheit Ostsee (GSSO) in Rostock, die das Gefahrenpotential schwerer Unfälle im Hafen Mukran untersucht hat. Ergebnis: Im Fall möglicher Zusammenstöße der LNG-Tanker mit den fest verankerten Speicher- und Regasifizierungsanlagen drohten gewaltige Explosionen und Brände, die durch die Schiffsbesatzungen – etwa im Fall einer Evakuierung – nicht zu bekämpfen wären. Alles in allem widerspreche das Konzept mit seinen gravierenden Risiken in der Nähe zu Wohn- und Kurgebieten deutschen und internationalen Sicherheitsstandards, befinden die Prüfer.

Geulen kündigte für die kommende Woche vier weitere Anträge mit dem Ziel eines sofortigen Betriebsstopps an. Einer der Kläger ist der DJH-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, der unweit des Hafens die Jugendherbergen Prora, Binz und Sellin unterhält. Zur Wehr setzt sich neben weiteren Anliegern der Eigentümer einer Ferienanlage, die wenige hundert Meter von dem geplanten Standort des Flüssigerdgasterminals entfernt liegt. Auch Nabu und DUH geben nicht klein bei. Man schöpfe nun alle rechtlichen Mittel aus und gehe gemeinsam gegen die »Genehmigung des gesamten unnötigen Terminals im Hafen von Mukran« vor, verlautbarte die DUH-Bundesgeschäftsstelle.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (4. Mai 2024 um 12:05 Uhr)
    Man kann und muss sich empören, aber das Verhalten dieses Staates ist klassenmäßig natürlich logisch, wenn es heißt: »Das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern hatte der Betreiberfirma Deutsche Regas am Montag die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt.« Da denke ich an ein sorbisches Sprichwort: »Wo Geld regiert, verstummt das Recht.« Zementiert wird dies mit dem BVG, das: »Vier Tage zuvor (…) mit Sitz in Leipzig Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) gegen die Anbindung ans Festland abgewiesen« hatte. Schon Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. u. Z.) bekannte: »Das höchste Recht ist das höchste Unrecht.« Schaden abzuwenden, wie es in einem Eid des zur Makulatur verkommenen Grundgesetzes heißt, widerspricht auf antagonistische Weise den als Vasallen der USA handelnden Politikern, die die bürgerliche Demokratie schrumpfend wie eine Zitrone ausgepresst als Diktatur mit Willkür gegen Lebensrecht und Natur offenbaren. Und Grün ist wirklich nur eine Farbe, wie wir seit 1999 schmerzlich erfahren.

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