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Aus: Ausgabe vom 03.05.2024, Seite 1 / Titel
Friedensbewegung

Staatsterror an Unis

USA: Studentenproteste mit riesigem Polizeiaufgebot niedergeschlagen. Protestcamps in Los Angeles und New York geräumt
Von Alex Favalli
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Polizisten tragen einen Demonstranten vom Gelände der University of California, Los Angeles

Die Proteste an mehr als 30 US-amerikanischen Universitäten dauern an, und die gewalttätige Repression von seiten der Polizei nimmt zu. Hunderte von propalästinensischen Demonstrierenden wurden auch diese Woche verhaftet. Landesweit sollen Schätzungen von US-Medien zufolge mehr als 1.700 Personen festgenommen worden sein.

Die Forderungen der Studierenden richten sich in erster Linie an ihre Universitätsleitungen: Akademische Einrichtungen sollen ihre Geschäftsbeziehungen mit Israel und Unternehmen aufgeben, die mit dem Krieg des israelischen Militärs im Gazastreifen in Verbindung stehen. Ein Protest an der Brown Universität im US-Bundesstaat Rhode Island zeigte bereits Erfolge. Dort räumten Studenten ihr Protestcamp bereits am Dienstag nachdem die Unileitung erklärt hatte im Oktober über den Abzug der Investitionen abstimmen zu lassen. »Als Fakultätsmitglied, dem die Meinungsfreiheit am Herzen liegt«, erklärte Sarah Phillips, Professorin für Anthropologie an der Indiana State University am Mittwoch gegenüber National Public Radio, bevor sie am Wochenende auf dem Campus verhaftet wurde, »sehe ich es als meine Pflicht an, meine Stimme zu erheben«.

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Polizeieinsatz mit Tränengas und Gummigeschossen an der University of California, Los Angeles

Am Mittwoch abend versammelten sich Hunderte von Polizeibeamten in Einsatzkleidung auf dem Campus der University of California in Los Angeles (UCLA), um das Protestcamp zu räumen, das in der Nacht zuvor von Unterstützern der israelischen Regierung angegriffen worden war. Die chaotischen Szenen ereigneten sich nur Stunden nachdem die New Yorker Polizei am Dienstag abend in ein von Kriegsgegnern besetztes Gebäude an der Columbia University eingedrungen war und über 300 Demonstranten verhaftet hatte. Um drei Uhr morgens begann die Polizei mit einem gewaltigen Aufgebot unter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen zunächst die mit Holz verstärkten Barrikaden und schließlich das gesamte Camp zu räumen. Bis zum Morgengrauen sollen laut Polizeiangaben mehr als 130 Demonstranten festgenommen worden sein.

Zwei »weltweit führende Holocaustforscher« mit israelischer Staatsbürgerschaft, Raz Segal und Omer Bartov, hatten sich am vergangenen Freitag am Protestcamp der University of Pennsylvania getroffen. Bartov erklärte danach gegenüber dem US-Medium Democracy Now, »es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt oder Antisemitismus« und warnte davor, dass der Vorwurf des Antisemitismus dazu benutzt werde, um israelkritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

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Einsatzkräfte mit einem am Boden liegenden Demonstranten an der University of California, Los Angeles

In Washington hat das US-Repräsentantenhaus am Mittwoch ein Gesetz zur »Sensibilisierung für Antisemitismus« verabschiedet. Sollte der Senat in den kommenden Tagen zustimmen, wird die Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) zum »Orientierungspunkt« für das Bildungsministerium. Antisemitismus ist demnach »eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen«. Dass es den Protestierenden vornehmlich um ein Ende des Krieges in Nahost geht, der von der US-Regierung massiv mitgetragen wird, scheinen die hohen politischen Kreise bislang zu ignorieren.

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  • Leserbrief von KR aus Wien (4. Mai 2024 um 10:32 Uhr)
    Na endlich wir das dröhnende Schweigen zu den Protesten an den US-amerkanischen Universitäten etwas durchbrochen. Tatsächlich handelt es sich um eine landesweite Bewegung mit 68er-Dimension. Die deutschsprachige Linke war bisher unfähig, die Dimensionen dieser Bewegung zu begreifen und zu würdigen. Der Grund ist klar, eingeschüchtert vom und oft selbst TrägerIn des Antisemistismusvorwurfs konnte man sich so eine massive Bewegung gar nicht vorstellen – in den USA ist sie Realität. Wie wäre es endlich mit Solidarität mit diesen Studierenden, wie wäre es mit Resolutionen gegen die Polizeieinsätze, gegen die verbreiteten Lügen? Übrigens: Republikaner und Demokraten (ich meine jetzt die Parteien) arbeiten Hand in Hand, um die Studierenden zu beleidigen und zu beschimpfen. Auch das passt ja kaum ins linke Narrativ hierzulande.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Mai 2024 um 12:04 Uhr)
    Die Polizei dringt in eine angesehene Universität ein, die von protestierenden Studenten besetzt ist! Dieses Szenario sollte jeden, der die Werte der liberalen Demokratie und der freien Meinungsäußerung hochhält, zutiefst beunruhigen. Doch während wir unsere Besorgnis über die Ereignisse an der Columbia University in New York (und anderen US-amerikanischen Universitäten) äußern, ist es wichtig, die Beweggründe der Aktivisten differenziert zu betrachten: Es ist verständlich und gerechtfertigt, gegen die rücksichtslose Kriegsführung der Regierung Netanjahu und ihrer Anhänger in der Bevölkerung zu protestieren. Jedoch sind Drohungen von Gewalt gegen jüdische Studenten sowie Fantasien über die Vernichtung Israels und seiner Bürger weit jenseits der demokratischen Toleranzschwelle anzusiedeln. Gleichzeitig ist es jedoch ebenso wichtig, Kritik an Israels Politik nicht pauschal als Antisemitismus zu brandmarken und zu verurteilen!

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