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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Insekten

Die Einzelne gilt nichts: Bienen

Von Marc Hieronimus
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»Wo sind glücklichere, wo wundersamere Wesen als die Bienen? Und doch haben sie nicht einmal alle Sinne beisammen«

»Wo sind glücklichere, wo wundersamere Wesen als die Bienen? Und doch haben sie nicht einmal alle fünf Sinne«, schreibt Erasmus von Rotterdam im »Lob der Torheit«. Aber was wissen wir über ihr Seelenleben? Während andere Tiere durch Zufall, »Schwarmintelligenz« oder »Instinkt« – was immer auch darunter zu verstehen sei – zu ihren Futterplätzen gelangen und damit die eigene und die Artexistenz gewährleisten, haben die Bienen eine Körpertanzsprache entwickelt, mit der die Pionierinnen ihren Schwestern die tagesaktuellen Blüten anzeigen.

Wo sitzt, woher kommt die nötige Intelligenz, eine Maus oder einen anderen Eindringling mit Propolis (Harz) zu versiegeln, damit er nicht verwest? Für welche Unwägbarkeiten ist der Bien (der Superorganismus des Bienenvolkes) noch gerüstet? Ist er lernfähig? Sind es auch die Bienen? In vielerlei Hinsicht scheinen sie und andere Staatenbilder (wie Ameisen und Termiten, über die der Nobelpreisträger Maurice Maeterlinck in seiner faschismusfreundlichen Spätphase nach seinem Bienenbuch ebenfalls geschrieben hat) fast Automaten im Sinne Descartes, leidensfähig, aber unbeseelt und vom ersten Moment ihrer Existenz an gänzlich fremdgesteuert: Die Larve wird durch ihr Hormonfutter zur Biene, Drohne oder Königin, ein wenig wie Frank in Iain Banks’ verstörendem Erstling »The Wasp Factory«.

Gerhard Roth bezeichnet den »sexualmagnetischen« Bienenstaat als ein Gebilde, »das sich aus sexueller Hörigkeit geformt hat und auf ihr beruht.« Alles ist auf das Ziel der Nachkommenschaft ausgerichtet, die Einzelne gilt nichts. Aber auch das kann man gut finden; Brehm spricht von einem »wohlgeordneten Staate«, der darum so musterhaft sei, »weil jeder Teil an seinem Platze seine Schuldigkeit im vollsten Maße tut.« Nun, wenn die Bienen wirklich »Staaten« bilden, sind diese nicht bloß totalitär, sondern faschistisch. Wahrscheinlich ist schlicht der anthropologische Blick der falsche. Anspruch jeder ernstzunehmenden Viehlosovieh sollte geringstmögliche Vorurteilshaftigkeit sein. Suchen wir keine Analogien – staunen wir!

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