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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 14 / Feuilleton

Terrorismus

Von Felix Bartels
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Schweres Geschütz: Staatliche Konterguerilla belagert im Fahndungsrausch Berliner Stadtquartiere (3. März, Berlin-Friedrichshain)

Im gewöhnlichen Gebrauch ist die Zuschreibung »Terrorismus« allzumeist wertend. Terroristische Gewalt soll von legitimer Gewalt geschieden werden. Popularität erlangte das französische Wort »terreur« im Zusammenhang der Jakobinerperiode, die als Schreckensherrschaft wirkte. Heute wird Terrorismus seltener als Ausdruck für Verhältnisse verwendet, mit denen Schrecken einhergeht, sondern vor allem für eine Praxis, die regelrecht den Zweck hat, Schrecken zu stiften.

Entsprechend lässt Terrorismus sich als Sammelbegriff aller Gewaltaktionen verstehen, deren Ziel nicht unmittelbar im Militärischen oder Politischen liegt, sondern in der psychologischen Wirkung der Aktion: Angst, Verunsicherung, Entmutigung. Die Aktionen zielen auf die Änderung des Denkens statt auf die Änderung materieller Bedingungen, womit Terrorismus sich als rabiate Form der Symbolpolitik fassen lässt und sowohl von reformistischer Praxis zu unterscheiden wäre, die auf mäßige Besserung innerhalb bestehender Strukturen zielt, als auch von revolutionärer Praxis, die Strukturen bessern will, indem sie sie ändert. Der paradoxe Charakter des Terrorismus zeigt sich zugleich in der Aktionsform, indem er auf die konkrete Aktion bezogen strikt organisiert wird, als Kampfform aber für das Gegenteil steht. Es zählt der unmittelbare Akt und dessen Wirkung. Terrorismus wäre somit organisierte Spontaneität.

Mit Rücksicht auf das »Wer – wen?« muss unterschieden werden, ob Terror sich gegen Organe oder Personen des eigenen Staats richtet, gegen die eines anderen oder von einem Staat ausgeht. Terror im eigenen Land will die Bevölkerung aufwecken, was praktisch immer zum Gegenteil geführt hat, zur Solidarisierung mit der öffentlichen Ordnung. Das Kommando »Siegfried Hausner« hatte nicht die Illusion, mit der Ermordung Hanns Martin Schleyers dem System einen veritablen Schaden zufügen zu können, Ziel war die Wirkung einer symbolischen Tat.

Terror gegen Besatzungsregime – als rabiateste Form des Befreiungskampfs – war dagegen öfter erfolgreich. Die psychologische Wirkung zielt hier nicht bloß auf die Truppen im besetzten Land, sondern auch auf die Bevölkerung des besetzenden Landes, deren Bereitschaft, eine Okkupation mit den Leben ihrer Jungs drüben bezahlt zu sehen. Diese Art Terror wäre noch einmal zu unterscheiden von einer, die auch zivile Bevölkerung zum Ziel von Anschlägen macht. Wo nicht bloß Besatzungstruppen Ziel sind, sondern Zivilisten, befreit man nicht Menschen, sondern sich vom Menschlichen.

Terroristische Praxis seitens staatlicher Organe wird seltener als solche bezeichnet, technisch ist sie nichts anderes. Ein Gebiet zu kontrollieren muss unterschieden werden von Aktionen, die beabsichtigen, eine Bevölkerung zu brechen. Soll die Wirkung psychologisch sein, kann von Staatsterrorismus gesprochen werden, wobei die Frage zweitrangig ist, ob ein Staat seine eigene Bevölkerung, die eines von ihm besetzten Gebiets oder die eines benachbarten Landes mit Terror überzieht.

Soweit Terrorismus sich von politischem Kampf durch seine psychologische Absicht unterscheidet, wird man auch seine psychologischen Wurzeln in Blick nehmen müssen. Akteure greifen aller Regel nach nicht zu terroristischen Mitteln, wenn sie andere Möglichkeiten sehen. Wo an politische Behauptung nicht mehr geglaubt wird, fällt man in Resignation, bescheidet sich mit wenigem oder reagiert eben mit dem Schritt über den Rubikon. Psychologisch wäre Terrorismus somit definierbar als Resignation unterm Mantel eines Hyperaktivismus. Und zieht damit nicht nur die an, die ihren Glauben an politisches Handeln verloren haben, sondern auch Charaktere mit sadistischer Prädisposition, denen politisches Handeln allenfalls Gelegenheit ist.

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