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Aus: Ausgabe vom 19.04.2024, Seite 7 / Ausland
EU-Grenzregime

Tod auf dem Atlantik

Ziel Kanaren: Flüchtlingsschiff mit Leichen erreicht Brasilien. Spanien verschärft Rhetorik
Von Carmela Negrete
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Grausiger Fund: Fischer entdecken die verwesten Leichen der Geflüchteten aus Mauretanien und Mali (Braganca, 15.4.2024)

Die Gewässer zwischen Afrika und den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln werden immer wieder zum Grab für Asylsuchende. Laut UN-Zahlen von Ende März sind in den vergangenen zehn Jahren fast 29.000 Asylsuchende auf dem Weg über das Meer in Richtung Europa gestorben. Und in manchen Fällen treiben die Leichen der Geflüchteten in ihren Booten bis nach Südamerika. So entdeckten Fischer vor der Küste des nördlichen brasilianischen Bundesstaates Pará am Sonnabend ein im Atlantik treibendes Boot, und wie die Bundespolizei am späten Montag mitteilte, habe sie insgesamt neun Tote geborgen. Einen Motor hatte das Boot nicht, und die Behörden gehen anhand gefundener Dokumente davon aus, dass es sich um jenes handelte, das im Januar mit insgesamt 25 Menschen an Bord aus Mauretanien Richtung Spanien in See gestochen war. Der Zustand der Leichen deutete darauf hin, dass diese verdurstet bzw. verhungert waren. 2021 wurde ein anderes Boot mit drei Leichen aus Mauretanien an der brasilianischen Küste gefunden.

Im vergangenen Jahr sind nach Angaben der NGO Caminando Fronteras mindestens 6.000 Menschen beim Versuch, mit Booten die Kanarischen Inseln zu erreichen, gestorben. Bis Ende März waren es bereits mehr als 1.500. Und zu den Gefahren auf den tödlichen Fluchtrouten kommt nun die wachsende Kriminalisierung hinzu. Die neue Nationale Strategie für Maritime Sicherheit 2024 der spanischen Regierung, vom Nationalen Sicherheitsrat unterschrieben, bedient sich bei rechtem Gedankengut. So ist dort die Rede von »Aktivitäten, die unkontrollierte Wellen der irregulären Einwanderung begünstigen«, und einem »Ansturm« von Migranten, die mittels Boot das spanische Territorium erreichen wollen. Erklärt wird auch, dass »Spanien, als Außengrenze der Europäischen Union, besonders anfällig für irreguläre Migrationsströme über das Meer« sei.

Diese Wortwahl widerspricht den Empfehlungen der Internationalen Organisation für Migration, nicht von »Migrantenströmen oder -wellen« zu sprechen. Der Begriff sei weitverbreitet, »so sehr, dass er oft in unseren täglichen Gesprächen verwendet wird«. Doch es sei nicht in Ordnung, »über Migrantinnen und Migranten als Teil einer ›Welle‹ zu sprechen, einem Phänomen der Natur, das oft mit Gefahr und Katastrophen assoziiert wird«. Damit werde »ein negatives Bild von Migration perpetuiert«. In dem Dokument der spanischen Regierung wird Migration jedoch als Gefahr zusammen mit chemischen Waffen, Drogenhandel und anderen Bedrohungen aufgelistet.

Der Weg zu den Kanarischen Inseln ist gefährlich, und doch begeben sich immer mehr Menschen auf diese Route. Laut dem spanischen Innenministerium in den ersten drei Monaten dieses Jahres 16.000 Menschen – rund 270 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2023. Die Zahl der Boote stieg von 51 auf 201 an. Auch am Dienstag wurden 72 Menschen in der Nähe von Fuerteventura gerettet, dabei mehrere Frauen mit Babys. Am Mittwoch erreichten 61 Menschen die Insel El Hierro. Entgegen der von der Zentralregierung ausgegebenen migrationsfeindlichen Strategie wird auf den Kanarischen Inseln immer wieder Solidarität in Eigenregie geübt.

So veröffentlichte die Zeitung El País Ende März eine Reportage über Dutzende Familien in El Hierro, die spontan und auf eigene Kosten Kinder bei sich privat temporär aufgenommen haben. Zur Zeit befinden sich auf den Kanarischen Inseln Tausende unbegleitete Kinder, die örtliche Behörden vor besondere Herausforderungen stellen. Deshalb will nun der Minister für Territorialpolitik, Ángel Víctor Torres, zusammen mit dem Präsidenten der Kanarischen Inseln, Fernando Clavijo, eine Vereinbarung treffen, um das Ausländergesetz zu ändern. Für unbegleitete Minderjährige soll es ein verpflichtendes Verteilungssystem auf die restlichen spanischen Regionen geben.

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