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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 16 / Sport
Radsport

Menschlich, allzumenschlich

Früher Jubel und andere Überraschungen beim Amstel Gold Race
Von Holger Römers
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Manchmal kann man nur stillhalten: Das Peloton beim 58. Amstel Gold Race (14.4.2024)

Als am Sonntag die beiden »Amstel Gold«-Radrennen ausgetragen wurden, versprach die 10. »Ladies Edition« mehr Spannung als die 58. Männerausgabe. Denn es war kaum vorstellbar, dass in Abwesenheit von Vorjahressieger ­Tadej Pogačar (UAE Team Emirates) jemand den niederländischen Weltmeister ­Mathieu van der Poel (Alpecin-Deceuninck) nach seinen Triumphen bei der Flandernrundfahrt und Paris–Roubaix schlagen könnte. Seine Landsfrau Demi Vollering (Team SD Worx-Protime) hat indes 2024 noch nicht die Topform bewiesen, die sie im Vorjahr alle sogenannten Ardennenklassiker gewinnen ließ – zu denen die Veranstaltung in Niederländisch-Limburg entgegen geographischen Tatsachen gezählt wird.

Der 27jährigen Vollering war auch am Mittwoch nicht der erste Saisonsieg gelungen, obwohl sie beim neunten Pfeil von Brabant an kurzen Anstiegen zunächst drei Angriffe von Elisa Longo Borghini (Lidl-Trek) pariert und einen selbst versucht hatte. Als sie sich mit der italienischen Siegerin der Flandernrundfahrt zu zweit abgesetzt hatte, war sie jedoch acht Kilometer vorm Ziel gegenüber einer weiteren Attacke machtlos gewesen.

Alle Spekulationen zur Taktik, die die Form der Sieganwärterinnen erlauben oder erfordern mochte, wurden allerdings am Sonntag Makulatur, als 46 Kilometer nach dem Start in Maastricht die Rennleitung die vorgesehene Gesamtlänge kurzerhand von 158 auf 101 Kilometer stutzte: Ein das Peloton begleitender Polizist war auf dem Motorrad mit einem Auto zusammengeprallt, woraufhin die Fahrerinnen wegen Bergungsmaßnahmen über eine Stunde pausieren mussten. Es stand zu befürchten, dass ihnen die später gestarteten Männer in die Quere kommen würden, auch wenn deren Parcours nicht genau derselbe war. Deshalb wurde das Frauenrennen im nahen Valkenburg neu gestartet, auf dem abschließenden Rundkurs, der nun drei- statt planmäßig viermal zu absolvieren war.

Longo Borghini erzwang am Cauberg, dem schwersten Anstieg, prompt eine Selektion, wobei Vollering als letzte die vorläufige Spitzengruppe vervollständigte. Das Sextett fuhr aber nur halbherzig weiter, weshalb es bald wieder eingeholt war. Daraufhin durften drei andere Ausreißerinnen ihr Glück versuchen, während das bis dahin dominante Team Lidl-Trek sich auf den restlichen 35 Kilometern zunächst nur noch vereinzelt an der Spitze des Pelotons zeigte, in dem sich Longo Borghini vorübergehend versteckte. Folgerichtig war sie schlecht positioniert, als eine Kollegin ihr bei der nächsten Überquerung des Caubergs einen weiteren Angriff vorbereitete, zu dem sie dann erst kurz vor der Kuppe ansetzte – und den Vollering zäh neutralisierte. Deren Kollegin Lotte Kopecky kontrollierte das Hauptfeld nun im Wechsel mit Ellen van Dijk (Lidl-Trek), deren Team wiederum kollektiv die Einholung der Ausreißerinnen bei der letzten Fahrt über den Cauberg sicherstellte. So wurde freilich der Topsprinterin Lorena Wiebes (Team SD Worx-Protime) die Siegchance auf dem Silbertablett serviert, zumal Vollering auf den letzten anderthalb Kilometern noch drei gegnerische Attacken unterband und das Tempo hochhielt. Schließlich verbuchte jedoch die 36jährige Niederländerin Marianne Vos (Team Visma-Lease a Bike) ihren 251. (!) Sieg, da ihre gut elf Jahre jüngere Landsfrau Wiebes viel zu früh mit dem Jubeln begonnen hatte. Auf Platz drei folgte indes völlig überraschend die gleichaltrige Norwegerin Ingvild Gåskjenn (Liv AlUla Jayco).

Bei den Männern, die bloß zu einer minimalen Kursänderung gezwungen waren und insgesamt knapp 254 Kilometer zu bewältigen hatten, bereitete derweil Alpecin-Deceuninck kollektiv die Einholung der anfänglichen Ausreißergruppe vor, die schon 74 Kilometer vorm Ziel erfolgte. Nachdem sich 14 Kilometer später ein neues Ausreißertrio gebildet hatte, war van der Poel indes zunehmend isoliert, als sich 35 Kilometer vorm Ziel immer prominentere Fahrer absetzten. Hinter der zum Dutzend angewachsenen Spitzengruppe stellte sich die Frage, ob der 29jährigen Topfavorit pokerte – und ob Podiumskandidaten wie Benoît Cosnefroy (Decathlon AG2R La Mondiale Team), der Sieger des 64. Pfeils von Brabant, sich ihrerseits verkalkulierten, indem sie ebenfalls stillhielten. Tatsächlich erwies sich van der Poel wohl schlicht als menschlich, als er als 22. mit dem ausgedünnten Hauptfeld die Ziellinie überquerte. Elf Sekunden vorher hatte der 24jährige britische Vorjahresdritte Thomas Pidcock (Ineos Grenadiers) den Sprint der reduzierten Führungsgruppe vor dem ein Jahr älteren Schweizer Marc Hirschi (UAE Team Emirates) und dem 30jährigen Belgier Tiesj Benoot (Team Visma-Lease a Bike) entschieden.

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