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Bella Italia

Von Helmut Höge
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Kürzlich fielen mir drei Bücher über Italien in die Hände, und ich konnte mit dem Lesen der insgesamt 1.546 Seiten nicht mehr aufhören: 1. eine deutsche Spuren­suche über die Greueltaten der faschistischen Deutschen in Italien, 2. ein italienisches Buch über die Greueltaten der faschistischen Italiener in Äthiopien und Libyen und 3. ein finnisches über die heutige Vermischung von legalen und illegalen Aktivitäten der italienischen Behörden.

Die drei Autoren gelten zu Recht als herausragend: Der badische Journalist Erich Kuby, 2005 mit 95 Jahren in Venedig gestorben, veröffentlichte 1982 die gründliche Recherche »Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte«. Die 1964 in Rom geborene Erzählerin Francesca Melandri hat noch mehr Mühen auf sich genommen, um die kolonialen Verbrechen der Italiener in Afrika aufzudecken. Sie nennt das Ergebnis, »Alle, außer mir« (2017), einen »Roman«. Der erfolgreiche Roman »Canal Grande« (2001) des 1956 geborenen finnischen Autors Hannu Raittila handelt von fünf Experten, die im Auftrag der UNESCO das sinkende Venedig vor dem Untergang bewahren sollen. Täglich konfrontiert mit der venezianischen Lebensart versinkt ihr seriöses Projekt aber in Alkohol, Liebschaften und Naturgewalten, wobei der des Italienischen nicht mächtige Erzähler immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die »Nordmänner« die weitaus besseren Organisatoren solcher Großprojekte sind als die lebenslustigen und fatalistischen Männer im Süden Europas.

Von ähnlicher Überheblichkeit, wenn auch absolut nicht so ironisch, war das Verhältnis der deutschen Wehrmacht gegenüber ihrem faschistischen Bündnispartner Italien, das darin gipfelte, dass am Ende des Zweiten Weltkriegs Mussolini und seine letzten Getreuen in der »Republik von Salò« am Gardasee von den Deutschen quasi in Schutzhaft genommen wurden. Mussolini ist in Salò noch immer Ehrenbürger, und sein dortiger »Kriegsminister« Marschall Rodolfo Graziani, der zu den größten italienischen Kriegsverbrechern zählt, weil er für Massaker, Giftgaseinsätze, Todesmärsche, Deportationen, Konzentrationslager und Völkermord nicht nur in Afrika verantwortlich war, bekam 2012 ein mit öffentlichen Geldern finanziertes Mausoleum in Rom.

Erich Kuby erhielt 2005 postum den Kurt-Tucholsky-Preis. In der Laudatio hieß es, dass das Buch »Verrat auf deutsch« Kubys Leben verändert habe: »Er recherchierte, wie die Deutschen nach dem Badoglio-Putsch 1943 in Italien gehaust hatten.« Der Kriegsverbrecher Badoglio brachte es bis zum »Herzog von Addis Abeba«. Mitte 1943 stürzte der »Große faschistische Rat« Mussolini und ernannte Badoglio zum Ministerpräsidenten, der dann auf Druck der Alliierten umschwenkte, eine Kriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich veröffentlichte und den Kommunistenführer Palmiro Togliatti ins Kabinett aufnehmen musste.

Bis ich die drei Bücher las, hatte ich nur wenig von Italien gewusst. 2002 hatten wir bloß in einer kleinen Gruppe an der Freien Universität Berlin »Eine Geschichte aus dem Widerstand – Carlino« von Stuart Hood diskutiert. An der FU hatte es 1965 ein »Kuby-Semester« gegeben: Man hatte Kuby zu einer Podiumsdiskussion geladen, aber der Rektor verfügte ein »Redeverbot«, weil Kuby 1958 erklärt hatte, dass und warum die FU mit ihren Bindungen alles andere als »frei« sei. Die Studenten nahmen die Ausladung Kubys nicht hin und traten in einen Vorlesungsstreik.

Der englische Offizier Stuart Hood nahm den Partisanennamen »Carlino« im Herbst 1943 an, nachdem Italien kapituliert und ihn aus einem norditalienischen Gefangenenlager entlassen hatte. Er ging daraufhin nach Süden – der deutschen Front entgegen, damit aber auch den Alliierten, die inzwischen in Neapel gelandet waren. Seine erste Partisanengruppe, der er sich in der Toskana anschloss, war bis auf ihn aufgerieben worden. Später hat man ihre »Schlacht von Valibona« als die erste bewaffnete Auseinandersetzung der Partisanen dieser Region mit den faschistischen Milizen bezeichnet. Vor Ort wurde Hood zu einer Legende: »Ich habe mich dort schon in der Situation gesehen, dass ich in eine Bar ging und mein italienischer Freund zu seiner Frau sagte, ›das ist Carlino‹, woraufhin sie erwiderte: ›aber den hat es doch nie gegeben!‹«

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