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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 12 / Thema
Bildungspolitik in Frankreich

Soziale Auslese

Die »laizistische Republik« Frankreich sortiert ihre Schüler – Geld und Religion beherrschen das elitäre Bildungssystem
Von Hansgeorg Hermann
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Inspiziert Klassenzimmer und stellt sicher, dass der Klassenkampf auch dort beginnt und für seine soziale Klasse erfolgreich endet. Emmanuel Macron, Frankreichs Staatspräsident (Paris, 5.4.2024)

Auf die Frage, was in der »laizistischen Republik« Frankreich aus dem Wahlspruch der Revolution von 1789 – »Liberté, Fraternité, Égalité« – geworden ist, geben einige Zahlen Aufschluss. Festgehalten im Artikel 2 der Verfassung vom 4. Oktober 1958, eingemeißelt über die steinernen Eingangspforten jedes Rathauses, jeder Feuerwehrwache und jedes Schulgebäudes, verkündet er den hohen Anspruch des Staates, seine Bewohner »brüderlich« und »gleich« zu behandeln. Der ursprünglichen Verfassung stellten die Abgeordneten der Nationalversammlung bereits am 9. Dezember 1905 ein Gesetz an die Seite, das den Staat und seine Administration für immer von »der Kirche« – das heißt, von allen Einflüssen christlicher, muslimischer, jüdischer oder sonstiger den jeweiligen religiösen Kult organisierender Institutionen – zunächst befreien und dann bewahren sollte. Zwar »garantiert« das Gesetz im Absatz 1 seiner aktuell geltenden Version »die Freiheit« und die »Ausübung des Glaubens«. Es stellt aber im Absatz 2 fest, dass »die Republik keinen Glauben« staatlicherseits »anerkennt, entlohnt oder subventioniert«.

Die politische Wirklichkeit sieht anders aus. Von den christlichen Kirchen und deren institutionellen Ablegern unterhaltene Schulen und Universitäten werden wie selbstverständlich mit Staatsgeld unterstützt oder sogar am Leben gehalten. Ihre Eleven sind fast ausschließlich die Nachkommen reicher und steinreicher Familien – Bankmanager, Konzernchefs, aristokratische Großgrundbesitzer, im kapitalistischen System aufgestiegene Neureiche. Seit der im Jesuitenseminar streng katholisch erzogene einstige Investmentbanker Emmanuel Macron das Land als Präsident anführt, geht es dem auf religiöser Basis geregelten Privatschulsektor besonders gut.

Weitgehend ausgeschlossen und in das von Lehrer- und Geldmangel geplagte öffentliche Schulsystem eingelagert bleiben die anderen. Informationen zur Situation armer Familien, in der Politikersprache freundlich als »défavorisé« (benachteiligt) bezeichnet, liefert unter anderem die UNICEF: In Frankreich musste im Jahr 2020 eines von fünf Kindern unter der Armutsschwelle leben, insgesamt rund drei Millionen. In den ehemaligen Überseekolonien war das Elend noch größer. In Mayotte beispielsweise, einem französischen Überseedepartement im Indischen Ozean nordwestlich von Madagaskar, lebten acht von zehn Kindern in Armut, in Französisch-Guyana in Lateinamerika waren es sechs von zehn. Im Jahr 2022 mussten 42.000 Kinder mit ihren Eltern ohne Wohnung auskommen, sie vegetierten in Not- und Behelfsunterkünften oder auf der Straße.

»Erfolgreiche« Privatschulen

Am 20. März dieses Jahres veröffentlichte das Pariser Ministerium für nationale Erziehung eine Art Forschungsbericht zu den Abschlussergebnissen der an unterschiedlichen Typen reichen Schullandschaft Frankreichs. Die wenig erstaunliche Bilanz: Die »erfolgreichsten« Lehranstalten waren demnach die Privatschulen. Bis zu 99 Prozent ihrer Zöglinge verließen das System mit dem »Bac« in der Tasche, dem Baccalauréat, das in Deutschland Abitur heißt; im Gesamtdurchschnitt des Landes sind es »nur« 79 Prozent, wie das Institut national de la statistique et des études économiques (INSEE) 2022 meldete. »Machen die Privaten es wirklich besser«, fragte am Tag danach die Pariser Tageszeitung Libération, »oder sahnen sie einfach nur die begünstigtsten (les plus favorisés) Eleven ab?« Jene Kinder also, deren Eltern – die Hauptstadt als Beispiel genommen – im V., VI. oder VII. Arrondissement in 150 bis 300 Quadratmeter großen Appartements wohnen. Familien mit gehobener Bildung, die, wie ihre Nachkommen, selbst durch meist katholisch geprägte Privatschulen geschleust wurden – und das oft seit Generationen.

»Überdurchschnittlich präsent« seien die Privaten, konstatierten Medien jeglicher politischer Ausrichtung (Le Monde, Le Figaro, Le Parisien oder auch die Fachzeitschrift L'Etudiant), obwohl sie doch nur ein knappes Drittel der weiterführenden Schulen ausmachten. »Sicher kein Zufall«, erkannten Libération und das Internetportal Mediapart. Die teureren Privatschulen, die sich ihre Dienstleistungen mit bis zu 10.000 Euro pro Jahr und Schüler bezahlen lassen, befinden sich in den genannten Quartieren der Reichen »gleich um die Ecke«. Besonders klassenbewusst geregelt ist im wohl planmäßig auf Elitismus ausgerichteten Schulsystem Frankreichs sogar der Zugang zu öffentlichen Gymnasien. Das Schulgesetz verpflichtet Eltern und Behörden, die Kinder dort an weiterführenden Schulen anzumelden, wo sie wohnen. In den »benachteiligten« Vierteln, auch das zeigen die offiziellen Statistiken, sind auch die Gymnasien benachteiligt: weniger Geld, weniger Lehrer, weniger Reputation, schlechtere berufliche Erfolgsaussichten für ihre Absolventen.

Eine echte Spezialität bietet die Republik in diesem Rahmen mit den beiden Gymnasien – in Frankreich Lycées genannt – »Henry IV« und »Louis Le Grand« an. Beide Eliteanstalten sind im Pariser Nobelbereich des V. Bezirks angesiedelt und von der Wohnsitzregel ausgenommen. Dort können Eltern ihre Sprösslinge auch dann anmelden – rein theoretisch jedenfalls –, wenn sie zwar aus anderen Vierteln oder sogar aus einem der finsteren, »defavorisierten« Banlieues im Norden der Metropole kommen, die Grundstufe aber mit besten Zeugnisnoten abgeschlossen haben. Was dem meist im Wege steht, sind Herkunft und persönliche Reputation. Im »Henry IV« etwa werden gerne Eleven an Land gezogen, die einen Vater, eine Mutter oder ein Großelternteil »mit Namen« vorweisen können. Gebildete, gerne auch reiche und/oder bekannte Persönlichkeiten wie Schriftsteller, Schauspieler, Professoren, Minister, Richter, Anwälte, Doktoren und Psychologen – Leute mit Renommee, mit einwandfreier Position in den gehobenen sozialen Schichten der Republik also. Klassenbewusstsein eingeschlossen.

Macrons Vorliebe

Eine Beschreibung, die – wie Mediapart im vergangenen Januar befand – auf die damals im Rahmen einer Umbesetzung der Regierung von Staatschef Macron zur Ministerin für Erziehung ernannte Amélie Ouéda-Castéra passte. Die dreifache Mutter, Gemahlin des Konzernherrn Frédéric Ouéda, Chef des Pharmariesen Sanofi, komme »aus einer Welt, in der die sozialen, finanziellen und politischen Eliten sich vermischen und in ihrem mehr und mehr abgeschotteten Universum unter Ausschluss der Öffentlichkeit leben«. Ihre drei Söhne schickte die ehemalige Leistungssportlerin, zusätzlich amtierende Sportministerin und damit Verantwortliche für die Olympischen Spiele im Juni, allerdings weder ins »Henry IV« noch ans »Louis Le Grand«, die zwar ausreichend elitär und wählerisch, aber eben doch nur staatlich sind. Den öffentlichen Anstalten fehle es bekanntlich an Lehrkräften. Zu bedauern sei auch »der Ausfall vieler hundert Unterrichtsstunden ohne Ersatz«. Ihre Wahl – und die des Vaters – sei daher auf die katholische Privatschule »Stanislas« gefallen, einen großbürgerlichen Prachtbau für 3.360 Schülerinnen und Schüler im Pariser VI. Bezirk und echten Renner im Feld der vielen christlichen Einrichtungen, die die laizistische Republik zu bieten hat. Und sich leistet.

Der Spruch von den »mangelnden Lehrkräften« kostete die eben erst ernannte Schulministerin im Februar ihr Amt: Von den Zeitungen Le Monde und Libération sowie dem Internetdienst Mediapart angeführt, empörte sich die Öffentlichkeit plötzlich über eine »politische Welt, in der ein Pariser (Schul-)Etablissement – katholisch, elitär und reaktionär, dazu Ziel administrativer Nachforschungen zu seinen schulischen Praktiken (es geht um homophobe Diskriminierung, H. H.) – ein geschätzter Ort schulischer Erziehung« sein dürfe. Nicht mehr nachvollziehbar, bedauerten selbst rechtskonservative Kirchgänger in der Nationalversammlung – noch weniger, dass eine für Bildung zuständige Ministerin ihren Kindern eben diesen Ort zur Ausbildung zuweise, statt sie an eine öffentliche Einrichtung zu schicken.

Zurück zum am 20. März veröffentlichten Bericht des Ministeriums. »Fast banal zu nennen« sei das Untersuchungsergebnis, konstatierten Macrons linke politische Gegner. Wen wundere es, fragte die Oppositionspartei La France insoumise (LFI) am 21. März, dass sich im obersten Teil der Leistungsbilanz jene Eleven an den Kollegien und Gymnasien »eingenistet« hätten, die in ihrer großen Mehrheit dem »begünstigten« (favorisé) sozialen Milieu entstammten. Die einfache statistische Rechnung und Formel: Je höher ein Etablissement eingeschätzt werde, das private »Stanislas« etwa, desto höher sei logischerweise die Anzahl seiner »begünstigten« Schüler. Jene mit reichen, hochgebildeten, selbst elitär ausgebildeten Eltern also, müsste ergänzt werden. Noch einmal anders ausgedrückt und im Bericht festgehalten: Je höher Schulen klassifiziert sind, desto höher ist statistisch ihr »Index gesellschaftlicher Position«.

Nahezu ausgeschlossen von hochklassifizierten Schulen sind laut Bericht Kinder und Heranwachsende, deren Eltern nicht die eben dafür erforderliche soziale Position einnehmen. Auf gut Deutsch: Wer in Paris nicht in einem der Nobelbezirke zu Hause ist und aus einer armen Familie stammt, hat schon verloren, bevor er sich um einen Platz am »Stanislas« oder einer anderen christlichen Eliteanstalt bewirbt und womöglich um ein staatliches Stipendium nachfragt, weil die Eltern die Gebühren eben nicht zahlen können. »Wie sonst ist es möglich«, fragte sich der staatliche Forschungsdirektor Julien Grenet im März, »dass das ›Stanislas‹ nur fünf von landesweit 1.250 Stipendiaten vorweist? War es, weil sich dort keine Kandidaten bewarben – oder weil sie alle abgewiesen wurden?« Die »durch den Wohnort bedingte Segregation« sei »sehr stark in Frankreich«, sagt Grenet. Die Gymnasien in den berüchtigten Pariser Vorstädten Sarcelles oder Saint Denis würden daher »nie den gleichen Index erreichen wie ein Lycée im V. Arrondissement der Hauptstadt«.

Summe unbekannt

Ein neuer Bericht schreckte am 2. April erneut das Ministerium und den Regierungschef auf. Letzterer heißt inzwischen Gabriel Attal – er löste am 9. Januar 2024 Élisabeth Borne ab, die für den großen Privatisierer Macron eine von 70 Prozent der Franzosen abgelehnte Rentenreform durchgepeitscht hatte – und war selbst ein halbes Jahr lang zuständig für das Bildungsressort. Zwei Abgeordnete der Nationalversammlung, Paul Vannier von LFI und Christopher Weissberg von der Regierungsfraktion Renaissance hatten sich gefragt, wie viel Geld der Staat eigentlich den Privaten auf den Tisch blättert – Unterstützung, die womöglich unter Missachtung des im Gesetz von 1905 proklamierten Subventionsverbots gezahlt werde und in Institutionen verschwinde, die sich ausdrücklich als christlich, katholisch oder beides definieren. Und die, was schwerer wiegt, eine Schülerschaft fördern, deren Eltern nachweislich nicht zu den »Defavorisées« der französischen Gesellschaft zählen.

Das Ergebnis einer sechsmonatigen Fronarbeit mit 43 Anhörungen: ein 150 Seiten langer Text, der gleichwohl nur wenige Fragen beantwortet. Es sei ihnen unmöglich gewesen, klagten die beiden Parlamentarier, die von der öffentlichen Hand an die Privaten weitergereichten Finanzen in ihrer tatsächlichen Höhe zu bestimmen und sie in einen von der Regierung behaupteten, vom Gesetz geforderten »sozialen Index« – nach dem die Zusammensetzung der Klassen in etwa dem ethnischen und gesellschaftlichen Bevölkerungsquerschnitt entsprechen soll – einzuordnen. Problem: Die Exekutive verbiegt die seit 1905 gewollte Trennung von den Religiösen seit Jahrzehnten mit dem Hinweis, dass private Schulen ihr öffentliches Geld als beim Staat »unter Vertrag« stehende Institutionen verdienen und inzwischen als Macrons Exzellenzanstalten natürlich ihren festen Platz im neoliberalen System haben.

Erstaunt hörte die Nation am 2. April, dass die Forschungsarbeit der Abgeordneten zwar nicht völlig umsonst war. Erschreckend sei jedoch gewesen, berichtete Vannier im Interview mit Libération, »dass die Summe der öffentlichen Ausgaben, die den privaten Etablissements zugeführt wird, unbekannt ist«. Vanniers bittere Erkenntnis: »Niemand bemisst sie, niemand bemüht sich auch nur, sie zu bemessen, niemand war in der Lage, sie zu benennen. Sind es zehn, elf oder zwölf Milliarden Euro öffentliches Geld? Keiner weiß es, weil es offenbar keiner wissen will.«

Einige Zahlen brachten die beiden Politiker dann doch noch zutage. Wie es scheint, handelt es sich bei den Privaten um einen unbekannte Geldmengen verschlingenden Komplex, zu dem rund zwei Millionen Schülerinnen und Schüler gehören – das sind 14 Prozent der Schüler landesweit, jedoch 21 Prozent der Schüler an Kollegien und Gymnasien. Die Zahl der privaten Lehranstalten geben Vannier und Weissberg in ihrem Bericht mit 7.500 an. Von ihnen definieren sich 96 Prozent als christlich-katholisch. Von der nationalen Schulbehörde, in diesem Fall der Direction d’Evaluation, de la Prospective et de la Performance (DEPP), erfuhren die Abgeordneten immerhin, dass die aus der nationalen Haushaltskasse abgezweigten Subventionen für die Privaten sich vor drei Jahren auf schätzungsweise 8,2 Milliarden Euro beliefen, plus 1,8 Milliarden Euro aus den Budgets der Territorialhaushalte. Unbekannt, weil »falsch eingeordnet« – besser gesagt: illegal verbucht und in anderen Teilhaushalten versteckt – und daher nicht zu beziffern, seien Gelder, deren Empfänger offenbar selbst die DEPP nicht nennen konnte oder wollte.

Was die Territorialen, die Departements und Regionen, tatsächlich an ihre guten Katholiken abzweigen, kann auch diese mit Statistiken aller Art vertraute und hantierende Schulbehörde nicht erklären. Sie »integriere« Zahlenmaterial aus der Provinz nicht in ihr Kalkül, sagt Vannier. Was die elitären Lehranstalten unter der Leitung frommer Brüder und Schwestern im Klingelbeutel verschwinden lassen, bleibe daher ihr Geheimnis und das der gläubigen Spender in den Niederungen der Normandie ebenso wie am Fuß der Alpen und Pyrenäen.

Seit Macron sich 2017 die politische Macht gesichert hat, gehe es den Privaten besser denn je. Die unter christlichen Politikern seit Jahren inoffizielle Vereinbarung – 80 Prozent für die Öffentlichen, 20 Prozent für die Privaten – sei längst hinfällig, sagt Vannier. Allein die Region Île-de-France, die Paris umgibt und die Metropole einschließt, habe ihre Ausgaben zugunsten der Privatschulen seit 2016 um 450 Prozent gesteigert.

»Exzellenz«-Förderung

Der Situation entfliehen kann das Land, können die »Défavorisées«, offenbar nicht. Jedenfalls nicht in naher Zukunft. Vannier, der sich nach eigenen Worten streng der Devise »öffentliches Geld für öffentliche Schulen« verschrieben hat, warnt sich in einem Moment der Erkenntnis quasi selbst: »Das öffentliche Schulsystem ist dermaßen ausgelaugt, dass sich die Frage nach einer sofortigen Integration der Gesamtheit der Schüler, der Etablissements, des Personals der Privatschulen in den Schoß der Öffentlichen aktuell nicht stellen kann.« Macron und sein Regierungschef, beide selbst Schüler katholisch geführter Lehranstalten, tun im Moment viel, dass das so bleibt, dass der Klassenkampf in den Schulen beginnt und für ihre Gesellschaftsschicht erfolgreich bleibt.

Unter dem kuriosen Titel »Choc de savoir« (Wissensschock) stellte Attal jüngst einen Gesetzentwurf vor, der bereits votiert ist und dessen »reformerische« Neuregelungen ab September gelten sollen. Es geht darum, nicht nur bei der Auswahl der Schüler – elitefähig oder nicht – für Gymnasien wie »Henry IV«, »Louis Le Grand« oder Privatschulen wie das »Stanislas« standhaft zu bleiben, sondern die Schüler in den Klassen selbst noch einmal zu sortieren. Macron will es so, und Attal setzte es durch. So soll es – zunächst – in den Fächern Mathematik und Französisch Exzellenzgruppen geben. Aus der Gesamtheit der Klassen sollen die Besten zusammengeführt werden, wer – aus welchen Gründen auch immer – nicht mithalten kann, bleibt mit den anderen intellektuellen Nachzüglern auf der Strecke.

Eine Idee, die auch deshalb nicht zu verwirklichen sei, erklärte die Pariser Junglehrerin Anna B. gegenüber junge Welt, weil dem System schon jetzt Tausende Lehrer fehlen. Für die Gruppierung der »Exzellenten« bräuchte es also »Extralehrkräfte«. Doch darum gehe es auch gar nicht. »Was Macron will«, sagt Anna B., »ist eine noch stärkere Hinwendung zur Privatschule. Adressiert ist die sogenannte Reform an jene Eltern, die ihre Kinder – wie Ouéda-Castéra – dem dann an den öffentlichen Gymnasien mitten im Schulalltag beginnenden Klassenkampf nicht aussetzen wollen. Sie müssen es ja auch nicht, sie haben ja das Geld, um ihren Nachwuchs an eine teure Privatanstalt zu schicken.«

Für den linken Abgeordneten Paul Vannier ist immerhin der Moment gekommen, in dem man »der Bevölkerung« klarzumachen habe, dass das »Modell zu Finanzierung der Privaten« in Frage zu stellen sei. Vannier: »Wir müssen jenem Teufelskreis entfliehen, in dem öffentliches Geld gegen das öffentliche Interesse arbeitet.« Er fordert Strafzahlungen für private Einrichtungen, »die das Interesse und die Möglichkeiten des öffentlichen Systems einschränken«. Dass der LFI-Deputierte Vannier tatsächlich glaubt, solche Ideen wie ein Malus für Private und deren Umsetzung könnten das »Gleichgewicht im System wiederherstellen«, scheinen der »unterbezahlten Lehrkraft«, wie Anna B. sich selbst definiert, allerdings »eher unrealistisch« zu sein.

Hansgeorg Hermann schrieb an dieser Stelle zuletzt am 17. November 2023 über die öffentliche Erinnerung an das Ende der griechischen Militärdiktatur: »Immer die gleichen Oligarchen«.

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