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Aus: Ausgabe vom 28.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fotografie

Training für die schlaffe Seele

Melange der Motive: Eine Berliner Ausstellung über die Fotografenfreundschaft von Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank
Von Matthias Reichelt
Gundula Schulze Eldowy: Robert Franks Augen im Rückspiegel, New York 1990
Roger Melis: Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank, Berlin 1985

Zur rechten Zeit am richtigen Ort – so könnte man das Zusammentreffen von Gundula Schulze Eldowy mit dem in der Schweiz geborenen US-amerikanischen Fotografen Robert Frank (1924–2019) beschreiben. Es ist Ausgangspunkt einer aktuellen Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste, die der engen Künstlerfreundschaft gewidmet ist. In »Halt die Ohren steif. Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank« sind vor allem Fotografien aus den Sammlungen der Stiftung F. C. Gundlach sowie von Schulze Eldowy selbst zu sehen.

Der mit seinem kritischen Fotobuch »The Americans« (1958) weltberühmt gewordene Frank, der später auch vielbeachtete Filme wie den hyperrealistischen, aber nur selten gezeigten »Cocksucker Blues« über die 1972er US-Tournee der Rolling Stones drehte, hielt sich 1985 zur Verleihung des Ernst-Salomon-Preises in der BRD auf. Er nutze die Chance und besuchte in Ostberlin in dessen Garten den Kollegen ­Rudolf Schäfer, der per Telegramm noch ­viele Kolleginnen und Kollegen hinzulud. So versammelte sich ein illustrer Kreis, darunter Sibylle Bergemann, Arno ­Fischer, ­Roger Melis, Helga Paris sowie ­Wilmar Koenig und Michael Schmidt aus Westberlin, außerdem die Folkwang-Kuratorin Ute ­Eskildsen und eben Gundula Schulze Eldowy. Sie war eine der letzten, die ihre Arbeiten auf dem Rasen ausbreiteten, wie ein Foto von Roger ­Melis zeigt. Robert Frank bekam unter anderem ihre Serie »Berlin in einer Hundenacht« zu sehen, die momentan im Berliner Bröhan-Museum gezeigt wird. Schulze Eldowy porträtiert darin die Menschen an den Rändern der DDR-Gesellschaft, in der Hauptstadt etwa im Prenzlauer Berg.

Robert Frank erkannte sofort die große Kraft dieser Aufnahmen, den offenen, neugierigen Blick sowie das große Einfühlungsvermögen, mit dem die Fotografin auch die Nähe verschlossener Menschen fand. Fasziniert fragte er Schulze Eldowy, ob sie nicht in New York ausstellen wolle. Das war der Beginn eines regen Austauschs von Briefen und Notizen, oftmals auf Fotografien und Polaroids, der noch in den 1990er Jahren sehr intensiv war. Einige davon finden sich in der Berliner Ausstellung. Ein ­Bukowski-Bonmot kommt einem in den Sinn: »Briefe sind ein gutes Training für die schlaff gewordene Seele.« Die sehr vertraute Korrespondenz berührt auch Fragen der Ästhetik wie der Haltung zur Welt.

Schulze Eldowy hat multiple Identitäten, auf ihrer Homepage stellt sie sich als »Photographin, Poetin, Filme­macherin, Sängerin, Malerin, Pyramiden-Forscherin, Weltreisende, Kunstsammlerin« vor. Ihre Texte sind von einiger poetischer Kraft und zeigen einen Hang zum Spirituellen, den die mittlerweile vor allem in Peru heimisch gewordene Künstlerin über die Jahre entwickelt hat. Auf die Frage bei der Eröffnungspressekonferenz, wie sie sich mit einem Wort bezeichnen würde, folgt die selbstbewusste Antwort »Ich gehöre nur mir.«

Ihr Frühwerk prägen dekuvrierende, doch immer liebe- und respektvolle Schwarzweißfotos individueller Schicksale, sie zeigt die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld. Eine Reise nach New York City wird zur Zäsur. Sie wird von Robert Frank und seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, aufgenommen, lebt die erste Zeit bei ihnen in der durch Greenwich Village führenden Bleecker Street im südwestlichen Manhattan.

Langsam nähert sich Schulze ­Eldowy der Farbe, legte sich eine Video­kamera zu und beginnt zu filmen. Anfangs bleibt sie bei der Straßen­fotografie, versuchte sich auch an Diane-Arbus-Sujets. Doch schon bald beginnt sie mit Doppel- und Dreifachbelichtungen zu spielen, mit den »Bühnen« hinter und vor den Schaufenstern, in deren Spiegelungen sich die diversen Ebenen übereinander schieben und collagenartig vereinen. Diese surreale Melange der Motive kann ästhetisch sehr reizvoll sein, berührt aber längst nicht so stark wie ihre Bilder der randständigen DDR-Milieus. Eine zeitlich verschobene Parallele in den Entwicklungen von Frank wie Schulze Eldowy ist auffällig: Beide bewegten sich weg von der »Straight Photography«. Wobei Frank diesen Weg viel früher einschlug, als er sich von der Fotografie dem Film zuwandte und später zu ihr zurückfand, seinen Polaroids durch Handschrift aber eine weitere Ebene hinzufügte. Das macht die Ausstellung deutlich.

»Halt die Ohren steif! Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank«, bis 1.4.2024, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin

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