Christlich asozial
Von Ralf WurzbacherMit einer Frontalattacke gegen das sogenannte Bürgergeld holt die CDU zum nächsten Schlag gegen alle Armen und Schwachen aus. Am Montag vormittag beschloss die Parteispitze ein Papier, das für die Abschaffung des staatlichen Unterstützungssystems zugunsten einer »neuen Grundsicherung« und eine verschärfte Drangsalierung von Langzeiterwerbslosen plädiert. Vermeintliche »Totalverweigerer« sollen demnach »schneller, einfacher und unbürokratischer« sanktioniert und Leistungsmissbrauch durch »einen vollständigen Datenaustausch zwischen den Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden« bekämpft werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor setzte schon im Vorfeld den Ton: »Statt immer mehr Stütze fürs Nichtstun braucht Deutschland endlich eine neue Agenda für die Fleißigen.« Die Botschaft des sogenannten Christdemokraten: In puncto asozial macht uns keiner was vor.
Das kommt Vertretern der Ampelregierung wie gerufen. Obgleich sie mit ihrer »Zeitenwende«-Politik massenhaft Menschen in finanzielle Nöte getrieben haben, inszenieren sie sich jetzt als Retter des Sozialstaats. Die Union spiele arbeitende Menschen gegen diejenigen aus, »denen es gerade nicht so gut geht«, äußerte sich der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil. »Die Höhe des Bürgergeldes ist durch einen Verfassungsgerichtsbeschluss festgelegt. Das ist jetzt umgesetzt worden, übrigens mit Zustimmung der Union«, zitierte ihn am Sonntag das Onlineportal des Spiegels. CDU/CSU betrieben »Panikmache auf dem Rücken der Verletzlichsten«, erklärte Ricarda Lang, Chefin von Bündnis 90/Die Grünen, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Montag. Die CDU zementiere »dauerhafte Armut für Kinder und Eltern – wie schäbig«, verbreitete SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast via Bild am Sonntag.
»Der Name ›Bürgergeld‹ führt in die Irre und ist Ausdruck des politischen Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens«, heißt es in besagter CDU-Vorlage. Ziel ist demnach ein radikaler Umbau des Systems im Falle einer Regierungsübernahme und ein Zurück zum »Fördern und Fordern« nach dem Muster von Hartz IV. Mit dessen Überwindung wurde wenigstens in Teilen der Druck von den Betroffenen genommen, jede noch so widrige und schlecht bezahlte Stelle anzunehmen. Kaum ein Jahr ist das Gesetz in Kraft, schon droht die Union mit dem Rollback. Lehne ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab, wird laut Beschluss davon ausgegangen, »dass er nicht bedürftig ist« – ein Anspruch auf Zuwendungen bestehe dann nicht mehr. Der Ampel wirft die CDU eine Politik vor, die die Menschen »alimentiert und lähmt«, damit werde die Bereitschaft zur Solidarität geschwächt. Man wolle nur mehr diejenigen unterstützen, »die wirklich Hilfe brauchen«.
Während bereits nach unlängst geänderter Rechtslage bei wiederholter Ablehnung von Arbeitsangeboten ein zweimonatiger Totalwegfall von Hilfen möglich ist, will die CDU die Gelder selbst bei der Nichtwahrnehmung von Terminen im Jobcenter beziehungsweise dann komplett streichen, wenn sich Betroffene drei Monate lang nicht melden. Ferner soll übergangslos auf Erspartes zurückgegriffen werden müssen, sobald Menschen ihren Job verlieren. Derzeit besteht eine Karenzzeit von zwölf Monaten, bevor vorhandenes Vermögen auf Leistungen angerechnet wird. Die CDU will nun vom ersten Tag an eine Vermögensprüfung vornehmen und die Grenzen für das sogenannte Schonvermögen senken. Gut findet all das Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des CDU-»Arbeitnehmerflügels« (CDA). »Ich glaube, dass auch SPD und Grüne einsehen müssen, dass das jetzige Bürgergeld vom Namen her falsch ist, falsche Anreize setzt«, bemerkte er vor den Beratungen der Parteiführung. Das schließlich verabschiedete Papier nannte er »ausgesprochen ausgewogen«.
Auf die Frage, mit welcher Partei man die Forderungen umsetzen wolle, befand CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn: »Mit den Vernünftigen im nächsten Deutschen Bundestag.« Bei den Freidemokraten hört man das gerne. »Es ist schön zu sehen, dass die CDU der FDP jetzt programmatisch folgt«, sagte Vizefraktionschef Christoph Meyer der Nachrichtenagentur AFP.
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Als ehemaliger Bevollmächtigter der Regionalverbände Bremen und Weser-Ems im Bundesverband der Bilanzbuchhalter e. V. (BVBB), Bonn, und Mitglied im Redaktionsteam Bilanzbuchhalter, Fachzeitschrift für Führungskräfte im Finanz- und Rechnungswesen (Herausgeber heute: C. H. Beck-Verlag, München), wundert mich schon, dass CDU/CSU Tatsachen aus Karlsruhe nicht zur Kenntnis nehmen will. Letztlich ist der Staat grundgesetzlich verpflichtet, beispielsweise in der Grundsicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit (Bürgergeld) die tatsächlichen Heizkosten für die Bürger/innen zu übernehmen.
Steuergerechtigkeit sollte keine hohle Phrase sein! Das deutsche Steuersystem ist bis zum heutigen Tage nicht verfassungskonform reformiert worden. Ein handlungsfähiger Staat muss zusätzliche Steuereinnahmen auch für Investitionen in dem stärker zu fördernden sozialen Wohnungsbau, in den Erhalt von Schienen, Straßen, Schulen, Kitas usw. verwenden.
Da bekanntlich der Spitzensteuersatz bereits von 49 Prozent auf aktuell 42 Prozent von der ersten »rot-grünen« Bundesregierung 1998 unter Gerhard Schröder (SPD) gesenkt wurde. Gerade Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat bis zum heutigen Tage seine Hausaufgaben nicht gemacht, die ihm Karlsruhe auferlegt hat: Kapitalerträge mit dem persönlichen Einkommensteuersatz statt mit 25 Prozent mit bis zu 42 Prozent sofort zu versteuern. Dies würde zu erhebliche Mehreinnahmen für die entsprechenden Haushalte der nächsten Jahre führen.