junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Dienstag, 7. Mai 2024, Nr. 106
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 3 / Titel
Militärisch-industrieller Komplex

Ballern, bis die Rohre glühen

Immenser Bedarf an Munition: USA lagern Rüstungsproduktion ins Ausland aus – auch in die BRD
Von Jörg Kronauer
3.JPG
Geschosse sind rar geworden im Westen: Ukrainischer Soldat in der Region Saporischschja (März 2023)

Nie wieder Munitionsmangel! Das ist die Maxime, die derzeit eine besondere Form der Rüstungskooperation zwischen den Vereinigten Staaten und Australien antreibt. Munition ist rar geworden im Westen, seit die Streitkräfte vor allem der Ukraine, inzwischen jedoch auch Israels, sie in kaum vorstellbaren Mengen verschießen und die Geschossfabriken der USA und Europas mit der Produktion für die aktuellen Kriege nicht mehr nachkommen. Zwar sind die Hersteller auf beiden Seiten des Nordatlantiks dabei, ihre Fertigung nach Kräften zu steigern. Ihr Ausstoß reicht allerdings längst noch nicht aus, um den irren Bedarf zu decken. Was aber, wenn künftige Waffengänge, womöglich noch deutlich größere als die gegenwärtigen, gar noch mehr Munition verschlingen? Völlig klar: Neue Fertigungsstandorte müssen her. Und da die US-Rüstungsproduktion ohnehin schon auf Hochtouren läuft, hilft nur eines: Verbündete einspannen. Australien zum Beispiel.

Als sich am 29. Juli 2023 im australischen Brisbane die Außen- und Verteidigungsminister Australiens und der Vereinigten Staaten trafen, da vereinbarten sie – neben allerlei anderem –, bei der Herstellung von Munition eng zusammenzuarbeiten. Konkret sagte Washington zu, man werde Fabriken in Australien Zugang zu technischen Daten etwa für die Fertigung von 155-Millimeter-Granaten gewähren, wenn diese dafür ihre Produktion für die derzeitigen Kriege und für die Auffüllung der US-Bestände hochführen. Außerdem solle die Kooperation zwischen den USA und Australien in dem australischen Unternehmen Guided Weapons and Explosive Ordnance Enterprise (GWEO) ausgeweitet werden. Die Firma, gegründet im März 2021, arbeitet unter führender Beteiligung des US-Produzenten Lockheed Martin daran, GMLRS-Raketen (Guided Multiple Launch Rocket System) zu fertigen, wie sie Himars-Raketenwerfer abfeuern. Der Bedarf vor allem in der Ukraine ist immens.

Perspektivisch will Australien laut einem Bericht der New York Times jährlich rund 3.000 GMLRS-Raketen herstellen. Beliefern soll es damit, so sehen es die US-Pläne vor, nicht zuletzt Taiwan. Die Insel hat in den vergangenen vier Jahren 29 Himars-Raketenwerfer in den Vereinigten Staaten bestellt, kommt jedoch beim Kauf von Munition nicht so rasch zum Zuge, wie ihre Regierung und die Streitkräfte es sich wünschen: Die Ukraine hat aktuell Vorrang. GWEO könnte Abhilfe schaffen – und als Lieferant für Taiwan ist die Firma schon aus geographischen Gründen gut positioniert. Da Lockheed Martin an ihr beteiligt ist, ist sie zudem fest in die rüstungsindustrielle Basis der USA eingebunden. Und: Es muss nicht bei der gemeinsamen Herstellung von 155-Millimeter-Granaten und GMLRS-Raketen bleiben. Im Rahmen des AUKUS-Bündnisses hat Canberra längst einen weiteren Ausbau seiner Rüstungsproduktion in Zusammenarbeit mit der US-Industrie im Blick. Australien sei dabei, »der 51. US-Bundesstaat in der Verteidigungsproduktion zu werden«, urteilte die New York Times.

Washington hat begonnen, auch weitere Länder einzuspannen. Polen etwa hat mit dem US-Rüstungskonzern Northrop Grumman Vereinbarungen getroffen, die die Herstellung von US-Munition durch Unternehmen aus der polnischen Rüstungsholding PGZ vorsehen, darunter 120-Millimeter-Panzergeschosse. Lockheed Martin wiederum hat sich schon im September mit PGZ geeinigt, in Kooperation mit polnischen Firmen »Javelin«-Panzerabwehrwaffen zu produzieren. Japan hatte schon im Jahr 2005 die Lizenz erlangt, Flugabwehrraketen für »Patriot«-Abwehrsysteme herzustellen. Lieferungen an die Ukraine scheitern bis heute an den strikten japanischen Exportbestimmungen, die die Ausfuhr in Kriegsgebiete verbieten. Es ist Washington aber im Dezember gelungen, Tokio zur Ausfuhr von PATRIOT-Raketen in die Vereinigten Staaten zu veranlassen, die daher Kiew nun stärker aus ihren eigenen Beständen versorgen können. Die Fertigung von US-Rüstungsgütern in japanischen Fabriken soll jetzt ausgeweitet werden. Das ist das wohl zentrale Thema des geplanten Treffens zwischen Präsident Joseph Biden und Ministerpräsident Kishida Fumio am 10. April.

Washington hat seine Fühler auch nach Deutschland ausgestreckt – mit Erfolg: Rheinmetall wird in seiner neuen Fabrik im niederrheinischen Weeze Rumpfmittelteile für exportierte US-Kampfjets »F-35« fertigen. Das sichert dem deutschen Konzern zusätzlichen Profit, bindet ihn aber auch enger als bisher in die US-Produktionsketten ein und entlastet die US-Industrie, die sich anderen Aufgaben in der boomenden Rüstungsbranche zuwenden kann. Indem die US-Industrie Fabriken in verbündeten Staaten zur Herstellung ihrer Produkte nutzt, gelingt es ihr übrigens nicht nur, den Ausstoß zu erhöhen: Sie sichert sich gleichzeitig die Kontrolle über wachsende Teile des westlichen Rüstungsmarkts.

Das heißt freilich nicht, dass es ihr damit zuverlässig gelänge, Konkurrenten abzuschütteln. Rheinmetall etwa wirkt zwar am F-35 mit, arbeitet aber in der Munitionsherstellung gänzlich auf eigene Faust – und könnte als größter Munitionsproduzent Europas 2024 im Alleingang an den Vereinigten Staaten vorbeiziehen. Das Handelsblatt jedenfalls berichtete unlängst von Prognosen, laut denen Rheinmetall in diesem Jahr bis zu 450.000 Artilleriegranaten herstellen könnte, die USA aber womöglich nur 430.000. Die Düsseldorfer Waffenschmiede konnte im vergangenen Jahr ihren Umsatz um 12 Prozent auf 7,1 Milliarden Euro steigern und hofft dieses Jahr auf einen Umsatz in der Größenordnung von 10 Milliarden Euro. Unmöglich ist das nicht: Der Auftragsbestand von Rheinmetall sprang im vergangenen Jahr von 26,6 Milliarden Euro auf 38,3 Milliarden Euro nach oben. Krieg schafft Bedarf.

Australien als US-Basis

Dass Australien eine wichtige Rolle für die – potentielle – US-Kriegführung und auch für die Versorgung der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten mit Waffen spielt, ist nicht neu. Im Zweiten Weltkrieg nutzte Washington das Land nicht nur, um – überwiegend im Norden und im Osten – Militärstützpunkte auszubauen, Truppen zu stationieren und die Versorgung der im Pazifik kämpfenden Einheiten zu sichern. Alles in allem sollen sich bis zu einer Million US-Soldaten in Australien aufgehalten haben. Darüber hinaus nutzten die USA Australien aber auch als Standort für die Rüstungsproduktion. So schafften sie beispielsweise Maschinen nach Mulwala, einen kleinen Ort weit im Inland südwestlich von Canberra, um dort Treibstoffe für Waffen herzustellen. Damit versorgten sie sich wie auch ihre Alliierten.

In Mulwala werden heute noch Treib- und Sprengstoffe hergestellt. Mittlerweile gehört die Fabrik zum australischen Ableger des französischen Rüstungskonzerns Thales, der heute eng mit dem US-Konzern General Dynamics Ordnance and Tactical Systems (General Dynamics OTS) kooperiert. Der Standort in Mulwala soll auch in die Herstellung von 155-Millimeter-Granaten eingebunden werden, die Australien in hohem Tempo hochfahren will, um den kriegsbedingt im gesamten Westen dramatisch gestiegenen Bedarf an Geschossen zu decken. Und so rutscht Australien auch rüstungswirtschaftlich wieder in seine alte Rolle während des Zweiten Weltkriegs hinein, die es militärisch längst wieder innehat: Es stellt den US-Streitkräften Stützpunkte vor allem im Norden des Landes zur Verfügung, kooperiert mit ihnen wie auch mit anderen Armeen aus dem westlichen Bündnis – darunter die Bundeswehr – und richtet seine eigenen Truppen auf Operationen gegen den gemeinsamen Gegner aus. Der hat sich allerdings geändert: Heute geht es nicht mehr gegen das faschistische Japan, sondern gegen die Volksrepublik China. (jk)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Verkaufsschlager der US-Rüstungsindustrie: Kampfjet »F-35« des H...
    12.03.2024

    Pulverfass ohne Boden

    Neue Daten: US-Rekord im Rüstungsexport. Deutschland bleibt weltweit auf Platz fünf der Lieferanten großer Waffen
  • Waffenschmiede Rheinmetall will Herstellung von Mordwerkzeug dra...
    06.03.2024

    Rüstige Krieger

    EU-Kommission legt »Strategie für die Verteidigungsindustrie« vor. Künftig 50 Prozent der Waffen aus kontinentaler Produktion
  • US-Präsident Joseph Biden am 6. Dezember in Washington: Massensc...
    08.12.2023

    Schießwut in Washington

    Weitere US-Militärhilfe für Kiew vereinbart. Republikaner blockieren Zusatzforderung des US-Präsidenten. Der spricht von direktem Krieg gegen Russland