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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Kapital

Von Klaus Müller
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Realabstraktion im Kapitalverhältnis: Geld

Karl Marx erklärt in seinem Hauptwerk auf über 2.500 Seiten, was Kapital ist. Es erscheint als eine Häufung von Dingen: Maschinen, Werkzeuge, Fabri­ken, Rohstoffe, Material. Der englische Ökonom Robert Torrens (1780–1864) hatte zuvor schon folgendes geschrieben: »In den ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft (…), in den ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehen (…), sehen wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so – den Ursprung des Kapitals.« »Aus jenem ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu erklären«, sagt Marx, »warum ›stock‹ im Englischen synonym mit Kapital ist.«

200 Jahre später setzt der US-amerikanische Ökonom Paul A. Samuelson (1915–2009) das Kapital mit den Mitteln gleich, die dazu dienen, Produkte herzustellen, also mit den Produktionsmitteln. Der Faustkeil, den Steinzeitmenschen vor Millionen Jahren gebrauchten, und das digital gesteuerte Fließband bei VW, sie wären bei allen Unterschieden wesensgleich: Mittel, von Menschen geschaffen, um sich mit ihnen die Arbeit zu erleichtern. »Aber das Kapital«, schreibt Marx, »ist kein Ding, sondern ein (…) einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis«. Es ist das Verhältnis zwischen den Kapitalisten, die Eigentümer der Produktionsmittel sind, und den Lohnarbeitern, die den Mehrwert schaffen, den sich die Kapitalisten unentgeltlich aneignen. Kapital ist Wert, der mehr Wert bringt, indem Lohnarbeiter ausgebeutet werden, ist »Mehrwert heckender Wert«. Die Arbeitskräfte schaffen in der Produktion mehr Wert, als sie selbst besitzen. Sie schöpfen neuen Wert. »Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andre, wie der Wucherer und (der) Verschwender sich wechselseitig bedingen.«

Ist Kapital gleich Geld? Nein, Geld ist nicht per se Kapital. Das Geld ist das letzte Produkt der Warenzirkulation und es ist die erste Erscheinungsform des Kapitals. »(N)och jetzt betritt jedes neue Kapital die Bühne in der Gestalt von Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll«, schreibt Friedrich Engels. Welche Prozesse sind das? Das Geld als Geld unterscheidet sich vom Geld als Kapital durch seine Zirkulationsform. Für die einfache Warenzirkulation gilt: W – G – W (Ware – Geld – Ware). Eine Ware wird verkauft, um eine andere zu kaufen. Das Geld vermittelt den Prozess, dessen Ausgangs- und Endpunkt jeweils eine Ware ist. Die Zirkulation des Geldes als Kapital dagegen beginnt und endet mit einer Geldgröße: G – W – G' (Geld – Ware – mehr Geld). Ziel der Transaktion ist das Geld selbst, ist mehr Geld, als am Anfang in die Zirkulation geworfen wurde. Die Formel für die Zirkulation des Geldes als Kapital lautet: G – W – G', wobei G' = G + g', G die vorgeschossene Geldmenge und g' der Geldzuwachs sind. Das Geld als Kapital verkörpert das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern, das es ermöglicht, durch Vorschuss einer Geldsumme eine größere Geldsumme zurückzuerhalten.

Im Unterschied zur Bewegung des Geldes als Geld, W – G – W, deren Ziel die Konsumtion einer Ware ist und mit ihr endet, ist die Bewegung des Geldes als Kapital nie abgeschlossen. Kapital ist Wert, der sich verwertet, rastlos, endlos. Das Kapital ist gierig nach Profit. »Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv, waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.« Kapital kennt kein Pardon: Ihre Träger, die Kapitalisten, täuschen und manipulieren auf der Jagd nach Profit. Sie plündern, morden und führen Kriege zu allen Zeiten.

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  • Leserbrief von Günter Buhlke aus Berlin/Zürich (14. März 2024 um 14:26 Uhr)
    Danke für den Aufklärungstext in einer Zeit der Inflation und wachsender Staatsschulden, wo die Bewegung des Geldes Unruhen verbreitet. Gut zu wissen, dass das Geld in unserem Leben vielgestaltig auftritt.
    Erfunden wurde es in Mesopotamien vor etwa viertausend Jahren als ein äquivalentes Tauschmittel. Der Handel wurde durch das Geld enorm vereinfacht. Ein Sack Hirse gegen ein Beil wurde auf den Märkten Vergangenheit.
    Die Welt kennt heute bis zu acht Eigenschaften des Geldes. Nach seiner Erfindung wurde das Geld zum Bewertungs- und Zählmittel, sowie zugleich Zahlungsmittel. In der Arbeitswelt ist es übliches Lohngeld oder Gehalt.
    In der Wirtschaft, bei Banken und Versicherungen wurde es Buchgeld, Kreditgeld, Schuldgeld und es geistert durch die Betriebswirtschaften und Börsenkursen. Auch der Staatshaushalt arbeitet mit Buchgeld und Schulden. Im internationalen Waren- und Leistungsaustausch trägt es den Namen Währung.
    In allen Zeiten ist es zum Antriebsmittel der Menschen geworden, um viel Geld zu besitzen. Das kapitalistische System trieb das Geld in unmoralische bis strafwürdige Gefilde (Steuerflucht, Cum-Cum-Konstrukte u. a.). Die Geldform als Kapital erreichte Auswüchse, die zum Kolonialismus und Kapitalismus führte, wo zur Politik Kriege zur Kapitalvermehrung gehörten. Niedriglohn und Leiharbeit gehören zu den Auswüchsen des Kapitals. Die Kriegshandlungen in der Ukraine treiben durch Waffenlieferungen die deutschen Staatshaushaltsschulden in die Höhe. Geld kennt eine Unzahl von Zusammenhängen. Marx und Fellower haben sie trefflich analysiert.
  • Leserbrief von I.b. (13. März 2024 um 16:42 Uhr)
    »Das Kapital ist gierig nach Profit.« – Moralisierende Bewertungen (des Kapitals als gieriges Subjekt und die restliche Palette an moralisch verwerflich befundenem menschlichen Verhalten, dann auch gerade gerne einzig bei der Kapitalistenklasse entdeckt) im letzten Absatz leitet leider Kapital-Verständnis weiterhin fehl; Profit ist eine der kapitalistischen Produktionsweise systemlogische Notwendigkeit ebenso wie die Konkurrenz sowohl zwischen wie auch innerhalb der Klassen – Punkt!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (14. März 2024 um 12:29 Uhr)
      Wieso sollte die moralische Bewertung systemlogischer Verhältnisse falsch sein? Sklaverei war auch einst systemlogisch. Entzieht sie das etwa der moralischen Bewertung? Eine Wissenschaft, die sich der moralischen Bewertung verweigern will, ist keine Wissenschaft, sondern Flickschusterei.

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