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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Agro, Chemie, Pharma

Arbeitsplatzvernichtung bei Bayer

Bilanzpressekonferenz in Leverkusen: Chemiekonzern stellt Milliardenschweres Kürzungsprogramm vor, Aufspaltung soll laut Vorstandsvorsitzendem »nicht jetzt« erfolgen
Von Jan Pehrke
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Ein Milliardenkürzungsprogramm soll das Ergebnis des Chemieriesen aufpolieren (Wuppertal, 2.3.2024)

Auf die neuen Geschäftszahlen von Bayer hat bei der Bilanzpressekonferenz am Dienstag kaum jemand gewartet. Der parallel veröffentlichte Nachhaltigkeitsbericht hatte schon in den Jahren zuvor niemanden groß interessiert. Und so standen am Dienstag der um 1,2 Prozent auf 47,6 Milliarden Euro gefallene Umsatz und der um 13,4 Prozent auf 11,7 Milliarden Euro gesunkene Gewinn vor Sondereinflüssen ebenso wenig im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die Kohlendioxidemissionen von nicht weniger als drei Millionen Tonnen, der kaum zurückgegangene Energiebedarf oder der nach wie vor hohe Anteil von fossilen Brennstoffen am Strommix. Spannend war für die Beobachter hingegen, wie sich der Vorstandsvorsitzende William Anderson zur Forderung vieler Finanzmarktakteure nach Zerschlagung des Konzerns verhalten würde. Vor allem die Trennung von der Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Arzneien hatten einflussreiche Investoren verlangt, und deren Leiter Heiko Schipper räumte kurz vor der Bilanzpressekonferenz auch schon mal seinen Posten.

Gleichwohl erteilte der Bayer-Chef den mächtigen Vermögensverwaltern vorerst eine Abfuhr. »Wir sind ein Life­-Science-Unternehmen mit hoher Schlagkraft, das von einer großartigen Mission getragen wird, und wir haben drei starke Divisionen«, erklärte er. Dabei ließ sich die Aktiengesellschaft jedoch alle Optionen offen. »Nicht jetzt« laute die Antwort auf die Frage nach einer möglichen Aufspaltung, womit nicht »niemals« gemeint sei, verlautete es aus der Chefetage.

Akuten Handlungsbedarf sah Anderson zunächst woanders. Er machte Problemfelder wie »den hohen Schuldenstand« und »die hierarchische Bürokratie« aus. Dem hohen Schuldenstand will der Agroriese mit einer Dividendenkürzung auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß beikommen. Gegen die »hierarchische Bürokratie« hat der US-Amerikaner dem Global Player indes ein neues Organisationsmodell namens »Dynamic Shared Ownership« verordnet. Hinter so nebulösen Umschreibungen wie »Bürokratie beseitigen«, »Strukturen verschlanken« oder »Entscheidungsprozesse beschleunigen«, verbirgt sich allerdings ein knallhartes Arbeitsplatzvernichtungsprogramm, dessen Einsparpotential Bayer auf zwei Milliarden Euro pro Jahr ab 2026 beziffert. Entsprechend erbost reagierte die »Coordination gegen Bayer-Gefahren«: »›Arbeitsplatzvernichtung‹ heißt bei Bayer jetzt ›Bürokratieabbau‹. Diese Wortkosmetik kann aber eines nicht verschleiern: Wie immer beim Leverkusener Multi sind es die Beschäftigten, die für Fehler des Vorstands büßen müssen. Sie zahlen jetzt die Zeche für die Unfähigkeit des Managements, mit den Glyphosatgeschädigten eine gütliche und faire Einigung zu finden«, erklärte die Coordination in einer Pressemitteilung.

Der Geschäftsbericht beziffert die Zahl der noch anhängigen Glyphosatklagen auf 54.000. Seit dem ersten Prozess sind bereits mehr als fünf Jahre vergangen, und der Agroriese findet noch immer keinen Umgang mit den Geschädigten des Herbizids. Nach den ersten Richtersprüchen mit millionenschweren Strafen ließ er sich auf ein Mediationsverfahren ein, aus dem er allerdings wieder ausstieg. Anschließend versuchte er vergeblich, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zu seinen Gunsten zu erwirken. Dann verstieg sich die Aktiengesellschaft auf Abschreckungspolitik. Sie brachte besonders erfolgversprechende Verfahren vor Gericht und hoffte darauf, die alten Klägerinnen und Kläger mit leichten Siegen zu kostengünstigen Vergleichen zu bewegen, und potentiell neue von der juristischen Auseinandersetzung abhalten zu können.

Jetzt kündigte der Global Player wiederum »neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle« an. Zu diesem Zweck wurde die Juristin Lori Schechter in den Aufsichtsrat berufen, die, aus Perspektive der Konzernzentrale, bereits für andere Branchengrößen erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben hat. Zu ihr gesellt sich Jeffrey Ubben von der Investmentgesellschaft »Inclusive Capital Partners«, der seinen Anteil am vorzeitigen Abgang von Anderson-Vorgänger Werner Baumann und bereits im vergangenen Jahr Anspruch auf einen Sitz im Aufsichtsrat erhoben hatte. Den Finanzmärkten reichte dies nicht. Der Kurs der Bayer-Aktie sank nach der Bilanzpressekonferenz. »Das ist noch nicht der große Wurf«, bekundete das Portal sharedeals.de.

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