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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Die Maus und der Brocken

Vom Geist der Schwere: Denis Villeneuves Filmepos »Dune: Part Two«
Von Peer Schmitt
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Wie eine friedliche Landschaft ließ sich sein Geist von allen Seiten einsehen: Timothée Chalamet als Messias Paul Atreides

Wer liebt schon die Wüste? In der Wüste werden schließlich Leichenhaufen verbrannt. Die Leichen, die man gegen Ende von Denis Villeneuves »Dune« produziert hat, werden von den Verursachern, der Besatzungsarmee der Harkonnen, gleich zu Beginn der direkten Fortsetzung – »Part Two« – mit der Hilfe von Flammenwerfern entsorgt. Schwarze Asche auf grellgelbem Sand, die Brutalität der Besatzung und die Schärfe der Kontraste, alles drin.

Das Leben in der Wüste ist aber mehr als nur Guerillakrieg und Müllentsorgung, es hat auch seine niedlichen Seiten. Meine Lieblingsszene in »Dune: Part Two« zeigt eine (digital auf »außerirdisch« aufgehübschte) Wüstenwühlmaus in Großaufnahme. Fast wirkt sie wie ein Zitat aus dem Disney-Tierdokuklassiker »Die Wüste lebt« (»The Living Desert«, James Algar, 1953). Über der zunächst unerschrockenen Wüstenmaus schwebt plötzlich ein gewaltiger Schatten. Der Schatten eines Raumschiffs der Harkonnen im Landeanflug. Die Wüstenmaus verzieht sich natürlich. Die Kameraperspektive wechselt sogleich in die Halbtotale. Das Raumschiff, dessen Schatten einen Großteil der Wüsten­fläche im Bildausschnitt einnimmt, schwebt über dem Boden und suggeriert die Schwere, wie sie für Villeneuves Filme samt ihrer eigenwilligen Mischung aus Schocktherapie und Grübelei so typisch ist. Die Gesetze der Gravitation gelten auch für die Raumfahrer in »Dune« zwar nicht übermäßig, um so mehr aber die Gravität suggestiver Bildgestaltung.

Dass die Raumschiffe hier eher schwebende Felsen sind als Fortbewegungsmittel, ist stellvertretend für das Statische, um nicht zu sagen Statuarische dieser Filme. Die aus dem Schatten flitzende Wüstenmaus ist da ein willkommener Kontrast. Es gibt ein Entkommen aus dieser Schwere, flüchtige Momente. Sie sind leider nicht allzu häufig.

Maus und massiver Schatten in der Wüstenei: Das pastorale Epos kennzeichnet eine Äquivalenz von Seele und Landschaftswelt. So wie in romantischer Malerei oder halt im Western (zumindest so, wie der Kritiker Bernard Dort ihn beschrieben hat, in einer Anmerkung zitiert bei Gilles Deleuze’ »Das Bewegungs-Bild«). Die Seele, die in den beiden »Dune«-Filmen auf dem Spiel steht, ist die des Muad’dib, der T.-E.-Lawrence-Reinkarnation, des »White saviour«, des Messias – Paul Atreides (Timothée Chalamet). Leser des Romans von Frank Herbert (1965) wissen, dass der Rahmen der Erzählung von den Tagebuchnotizen, gleichsam eine kommentierende Chronik, der Prinzessin Irulan (Florence Pugh) gebildet wird, Tochter des noch amtierenden Weltraumimperators (Christopher Walken). In der Verfilmung sind es Offkommentare der Prinzessinnenstimme, die darauf anspielen. Über den Messias heißt es im Text: »Er war Mystiker und Krieger, Ungeheuer und Heiliger, Fuchs und Unschuldslamm, ritterlich, schonungslos, geringer als ein Gott, aber mehr als ein Mensch.«

Die Heiligkeit und die Dummheit, Tugend und Stupidität haben schon oft produktive Allianzen gebildet. Die Religion und ihre phantasmagorischen (in »Dune« von der blauen Droge, dem Spice, evozierten) Bilder kommen bekanntlich verdächtig oft ebenfalls aus der Wüste. Um die Religion, ihre Aufspaltung in Fundamentalisten, Häretiker, Priesterkaste, Agnostiker usw. geht es dann auch zwangsläufig. Es sind quälend lange Passagen, Wüsten der Initiation und der politischen Intrige.

Da es sich bei dieser Religion, folgt man der Logik der Erzählung, um eine buchstäblich (und nicht nur im Nietzsche­schen Sinn) gezüchtete, den aufständischen Wüstenbewohnern von einer konspirativen Priesterinnenkaste gleichsam eingeimpfte Religion handelt, ist ihr politischer Missbrauch praktisch schon in ihrem Ursprung angelegt.

Das ist das erste Problem des Messias und seiner unmittelbaren Umgebung: Er ist Unfall und Zuchtprodukt zugleich. Das zweite ist grundsätzlicher Natur: »die Unmerklichkeit« (Hans Blumenberg) des Messias. Er hat im Verborgenen zu handeln. Je unscheinbarer desto effektiver. Daher braucht er lustige Gefolgsleute wie den Fremenkrieger Stilgar (Javier Bardem), die humorvoll genug sind, der Logik der Verneinung zu folgen: Nur der Messias wird die Bescheidenheit vorgaukeln, nicht der Messias zu sein. Das ist ungefähr so wie »Monty Python’s Life of Brian«. Man kommt an diesem Kelch oder dem Tiefblau der Spice-Augen (so blau wie die Augen von Peter O’Toole in »Lawrence of Arabia«) einfach nicht vorbei. Stilgars Humor rettet Teile des Films genauso effektiv wie seine Religion.

Die Unmerklichkeit des Messias führt nebenbei auch zur Basisformel der ideologischen Wirksamkeit: Man weiß ja, dass sich etwas nicht so verhält wie behauptet, denkt es trotzdem und verhält sich entsprechend.

Der Zufall der Besichtigungsreihenfolge wollte es nicht anders, dass ich »Dune: Part Two« nur noch als Supplement von Bruno Dumonts Film »L’Empire« verstehen konnte, den ich eine Woche vorher im Wettbewerb der Berlinale sehen durfte. Da sieht man scheinbar ganz normale Leutchen (Laiendarsteller) in einem leicht heruntergekommenen Küstendorf in der Normandie. Sie verhalten sich plötzlich so, als wären sie Protagonisten eines im »Dune«- und/oder »Star Wars«-Universum angesiedelten ewigen Krieges. Also ziemlich bizarr. Die Raumschiffe dort sind alte Architekturmodelle (gotische Kathe­dralen oder barocke Parks) und leugnen ihr Zusammengestohlensein nicht. Der große intergalaktische Krieg implodiert am Ende »in einem schwarzen Loch« und hinterlässt nichts weiter als ein paar Trümmer in den Vorgärten. »L’Empire« ist die angemessene Zustandsbeschreibung des Kinos angesichts der Verheerungen von »Dune«. Im Vergleich zu diesem Brocken ist »L’Empire« natürlich nur eine winzige Maus. Und das Kino generell, wie der große Kritiker Serge Daney bereits zu Beginn der 1980er bemerkte, beinahe eine ästhetische Wüste.

»Dune: Part Two«, Regie: Denis Villeneuve, USA/Kanada 2024, 166 Min., bereits angelaufen

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