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Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Der gewöhnliche Faschismus

Analytik des Raumes: Jonathan Glazers Verfilmung von Martin Amis’ Auschwitz-Roman »The Zone of Interest«
Von Manfred Hermes
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Deutsche Mittelstandskultur in Auschwitz: Alles ist sauber und läuft wie am Schnürchen

»Hoppala«, das hätte glatt ins Auge gehen können. Macht schnell, »zack, zack«, »Gas, Gas, Gas«. Auch wo Brutalität und Greuel zum Alltag gehören, werden noch die gängigen Redensarten verwendet. Jonathan Glazers Film »The Zone of Interest« beginnt allerdings etwas passender mit einer Schwarzkadersequenz und Vogelstimmen, dann löst sich eine pastorale Szene am Fluss heraus. Rudolf Höß (Christian Friedel), der hier mit Freunden und Familie einen entspannten Sommernachmittag verbringt, ist Leiter des Vernichtungslagers Auschwitz. Mit Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den vier Kindern lebt er gleich nebenan in einem gediegenen grauen Haus mit großem Garten. Und hinter dessen Mauern liegt eben »Auschwitz«.

Von unfassbaren Grausamkeiten, millionenfacher Auszehrung, Ausbeutung und Tötung von Menschen wird man in diesem Film allerdings weder viel sehen noch hören. Das alles bleibt außerhalb des Rahmens, den hier eine Kultur des unteren deutschen Mittelstands zieht. Es gibt Besuche, Feste, Ausflüge. Man liebt die Tiere, die schönen Pferde, den großen Familienhund, vor allem den Garten mit seinen Blumen- und Gemüsebeeten. Es werden Salate angesetzt oder Kuchen gebacken. Alles ist sauber und läuft »wie am Schnürchen«. Hedwig Höß beim Nachmittagskaffee: »Schau, was ich gefunden habe: ein Diamant. In einer Zahnpastatube versteckt. Da habe ich mir gleich noch eine Ladung kommen lassen.« Vorher hat sie sich in einem prächtigen Pelz zwischen Spiegeln gedreht und wieder nicht vergessen, nach Wertsachen zu suchen. Weniger kostbares Raubgut wird an die Haushaltshilfen verteilt: »Ihr könnt euch was nehmen. Aber jeder nur eins!«

Der Haushalt als kleiner perverser Wirtschaftskreislauf, während sich, wie man weiß, der große Kreislauf jenseits der Mauer abspielt. Aber die Bilder der Vernichtungslager, das Wissen um die Schrecken sind so sehr in die allgemeine Vorstellung eingegangen, dass es nachgestellte Schreckensbilder nicht braucht, dass jedenfalls Glazer sie nicht braucht, um das Grauen zu aktivieren. Ein Wirbelknochen, der aus dem Fluss gefischt wird, goldene Zahnbrücken als Kinderspielzeug, eine kleine Blechplakette mit Totenkopf an einem Uniformkragen in Nahaufnahme reichen aus. Manchmal hört man zwar auch Schüsse oder Schreie, aber sie sind so abgedämpft wie alles andere Rumoren aus dem Hintergrund. Baulich besteht die »Zone« ohnehin nur aus einem Stück Gebäude, Wachturm oder Schornstein, gelegentliche Verpuffungen werden in Fensterglas oder auf einem Vorhang reflektiert. Fast stärker als Schreckenszeichen funktioniert ein Objekt, weil sich darin eine Radikalisierung des »Form follows function« als reiner Primitivismus zeigt: eine Schubkarre, die aus ein paar Brettern besteht, die mit Blechbändern zusammengenagelt wurden. Der fahle Gärtner, der daraus ein hellgraues Puder auf die Beete streut, wirkt dagegen wie eine beiläufige Randnotiz.

»The Zone of Interest« ist arm an äußerer Handlung. Das dramatischste Ereignis ist noch Höß’ Versetzung ins KZ Oranienburg. Die Freude bleibt einseitig, denn seine Frau will einfach nicht weg. Es gefällt ihr in Auschwitz. »Der Führer hat doch gesagt, wir sollen in den Osten. Ich ziehe hier unsere Kinder groß, hier stellen wir eine gute deutsche Gemeinschaft her.« Und nach dem Krieg wollten sie doch ein Gut bewirtschaften. Wozu hat man denn die viele Zeit und seine ganze Liebe in den Garten gesteckt? Auch die Verschönerung ist ein Beitrag zur Kolonisation des Ostens. Man wird sich doch an den Wochenenden sehen. Sex kann sie zur Not auch mit einem der Gartenhelfer aus dem »Kat Zet« haben (wie Martin Amis diesen Ort lautmalerisch zu nennen beliebte), so wie es auch ihr Mann macht, nur eben mit Frauen. Hedwig Höß ist hier klar die Härtere.

Was ist das für ein Film? Geht es um eine freakige Alltäglichkeit der Greuel­produktion à la Eichmann? Ist es ein Versuch in Sachen Amoralität? Ein böses Märchen? Ein bleierner Traum? Soviel lässt sich sagen: Es ist eine Martin-Amis-Verfilmung ohne den Amis der Erzählebenen, grausamen KZ-Details und des gelegentlichen Sarkasmus. Sein 2014 erschienener Roman war nicht viel mehr als ein Auslöser. Die Beschränkung der Szenerie auf Haushalt und Garten hat Glazer zu verantworten. Sie erst hat die Analytik des Raumes, der Motivationen und der physischen Präsenzen ermöglicht, die seinen Film antreibt. Und nur in einem Film konnten physische Einschaften wie Friedels schlaffe Züge und die teigige Weißheit seiner Haut derart zum Ausdrucksträger werden. So wie natürlich auch die breitbeinige Tapsigkeit, die Sandra Hüller für die Darstellung dieser unsentimental praktischen und machtbewussten deutschen Hedwig gewählt hat.

Dabei ist Glazer sehr gut darin, viel mit wenigem zu erreichen. Er erzeugt eine bedrückende, latent gewalttätige Monotonie, deren kalte Inhumanität an die besten Filme von Kubrick erinnert. Zur Analytik des Raumes gehört hier nicht zuletzt das genaue (und keineswegs humorlose) Erfassen von Lebensweisen, Verhalten und Redewendungen. Es gibt ein »nationalsozialistisches« Lachen. Ein scharfer Rasurschnitt kann den strammen Funktionär von einer sozusagen wohlgeborenen Elite unterscheiden. Erstaunlich ist auch die Akribie, mit der in »Zone« alles »Deutsche« rekonstruiert wurde. Das Szenen- und Kostümbild ist hier geradezu die Basis der visuellen Intensität. Es zeigt sich darin auch ein ästhetisches Vergnügen, das selbst das Styling der Paradeplatten, Cremetorten und Salatschüsseln einschließt. Dieses Vergnügen begründet hier aber auch eine beklemmende Ambivalenz.

Es ist nämlich nicht ganz leicht zu verstehen, worin die Faszination eines britisch-jüdischen oder »jüdischen« Künstlers an diesen sehr spezifisch kleinbürgerlichen Deutschen bestehen könnte. Das gilt auch, könnte man anfügen, für die Ebene der Ausführung, der Täterschaft des Holocaust. Zentral für diese Ambivalenz ist die Haltung, hier zwar eine aberwitzige Aufräumphantasie und obszöne Produktivität zum Tode am Werk zu sehen, die sich aber vor allem als Organisationsproblem einer Kriegs- und Kreislaufwirtschaft manifestiert.

Vielleicht brauchte es da also diese Koda: Am Ende wechselt »Zone« ins reale Auschwitz der Gegenwart, ins Vernichtungslager als Gedenkort, wo Sauberkeit und Ordnung nun eben durchs Museale bedingt sind. Aber es gibt immer noch keine indiskreten Schreckensfotos, es werden nur Haufen von Schuhen, Koffern oder Kämmen in Vitrinen gezeigt. Das ist keine Ausflucht in die Repräsentation. Die Diskrepanz von Einzelfall und großer Zahl bleibt erhalten, die dem Grauen immer noch Nahrung gibt.

»The Zone of Interest«, Regie: Jonathan Glazer, UK/USA/Polen 2023, 105 Min., Kinostart: heute

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  • Leserbrief von Peter Nowak aus Berlin (3. März 2024 um 14:12 Uhr)
    Dem Rezensenten entgeht, dass in dem Film durchaus auch die Profiteure der Shoah gezeigt werden. Dazu gehört die Firma Topf und Söhne aus Erfurt, die die Verbrennungsöfen herstellen und die ihre Produkte wie Staubsaugervertreter anpreisen. Die Firma war lange Zeit vergessen und wurde erst Ende der 1990er bekannt, nachdem junge Linke das Topf-und-Söhne-Gelände in Erfurt besetzt hatten. Sie wurden geräumt, doch dass es dort heute einen Gedenkort gibt, ist auch ihr Verdienst. Später wird im Film auch gezeigt, wie sich die Famile Höß erfreut darüber unterhält, dass sich viele bekannte Firmen jetzt in Auschwitz ansiedeln. Es gibt nur wenige Rezensionen, die darauf eingehen.
  • Leserbrief von Ronald Grunert (29. Februar 2024 um 18:03 Uhr)
    Der Film relativiert den Faschismus nicht. Ein neuer Film zu einem immer aktuellen Thema. Schlimm, dass dieser Film in Magdeburg nicht in den großen Kinos gezeigt wird, bei aller Mainstreambetroffenheit der Öffentlichkeit in der BRD.
  • Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (29. Februar 2024 um 09:54 Uhr)
    Hmm. Ich weiß nicht so recht. Robert Merle (Der Tod ist mein Beruf) und Kazimierz Moczarski (Gespräche mit dem Henker) haben dieses Thema gewissenhaft bearbeitet. Der Verfilmung eines Buches eines 1949 geborenen Briten traue ich nicht über den Weg. Und apropos Robert Merle. Pierre Merles Biografie seines Vaters ist eine Empfehlung wert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (28. Februar 2024 um 22:46 Uhr)
    Manfred Hermes beschreibt zu Recht: »Von unfassbaren Grausamkeiten, millionenfacher Auszehrung, Ausbeutung und Tötung von Menschen wird man in diesem Film allerdings weder viel sehen noch hören. Das alles bleibt außerhalb des Rahmens, den hier eine Kultur des unteren deutschen Mittelstands zieht. Es gibt Besuche, Feste, Ausflüge.« Dieser Film zeigt eine andere Perspektive und die Banalitäten des Naziregimes auf. Die Familie des Lagerkommandanten lebt gleich neben dem Vernichtungslager in einem schönen, großräumigen Haus. Bedienstete (Frauen und Männer) sind Häftlinge. Banalitäten einer deutschen Okkupationsgesellschaft (ich erwähne im Zusammenhang mit dem Film bewusst Gesellschaft und nicht Regime). Es handelt sich nicht nur um den »untere Mittelstand«, der sich hocharbeiten wollte, sondern wie diese Personen ihre Rolle im Aufbau einer germanistischen, kolonialistischen Kultur sehen. Im Film wird keine direkte physische Gewalt gezeigt, aber die indirekte Gewalt und eben diese Banalitäten neben dem Rauchschwaden des KZs wirken brutal.

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