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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Prozess in Budapest

Antifaschisten wollen sich stellen

Von ungarischer Justiz gesuchte Nazigegner verlangen Zusicherungen. Behörde kontert
Von Henning von Stoltzenberg
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»Stoppt die Verherrlichung von Nazis«: Demo gegen jährlichen Aufmarsch Rechtsextremer in Budapest (10.2.2024)

Im Februar 2023 waren in Budapest mehrere Neonazis angegriffen worden, die an dem alljährlichen SS-Gedenkmarsch teilgenommen hatten. In diesem Zusammenhang werden mehrere Antifaschistinnen und Antifaschisten aus der BRD von den Ermittlungsbehörden gesucht. Nun möchten sich einige der Verfolgten den Behörden stellen, wie ihre Eltern gegenüber dem MDR erklärten. Vor dem Hintergrund der Bilder aus dem Gerichtssaal in Budapest, in den die Angeklagten Ilaria S. und Tobias E. Ende Januar – zum Teil an Händen und Füßen gefesselt – geführt wurden, wagen sich die Angehörigen an die Öffentlichkeit, um eine Auslieferung nach Ungarn zu verhindern.

Die gesuchten Antifaschistinnen und Antifaschisten wollen diese Zusicherung von den Behörden als Bedingung, bevor sie sich stellen, wie der Vater eines Angeklagten dem Sender sagte. Die Forderung sei den Eltern durch die Anwälte mitgeteilt worden, zitierte der MDR-Bericht vom 21. Februar den Mann. Dessen Kind befinde sich in der JVA Dresden in Untersuchungshaft. Unter den neun Betroffenen sind auch zwei Männer, die von Ermittlern dem Umfeld der in Dresden wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu mehreren Jahren Haft verurteilten Antifaschistin Lina E. zugerechnet werden. Andere sind junge Aktivistinnen und Aktivisten aus Sachsen und Thüringen, die bisher zumindest nicht offiziell dem Konstrukt der kriminellen Vereinigung zugeordnet werden.

Über die Zustände in ungarischen Gefängnissen wurde insbesondere in Italien umfangreich berichtet, nachdem die von dort stammende Gefangene Ilaria S. einen Brief an ihren Vater geschrieben hatte, der in Auszügen in den Medien veröffentlicht wurde. Darin beklagte sie, dass ihre Zelle nur knapp drei Quadratmeter groß und von Bettwanzen sowie Kakerlaken befallen sei. Sie bekomme nur unzureichende Nahrung und Hygieneartikel. Diese seien ihr wiederholt verwehrt worden. Ein großes Problem seien neben den politischen Zuständen auch das gesamte Gefängnissystem, das durch Überbelegung und Personalmangel gekennzeichnet sei, berichten Experten von Menschenrechtsorganisationen. Dies soll auch Konflikte zwischen Wärtern und Gefangenen zusätzlich verschärfen.

Obwohl die Bundesrepublik grundsätzlich Menschen ins EU-Ausland ausliefert, gibt es klare Möglichkeiten der Einschränkung. Diese bestehen, wenn es im Falle einer Auslieferung sicher zu einer Menschenrechtsverletzung kommen würde oder auch nur das Risiko dazu besteht. Darunter fällt auch die Gefahr, kein faires Verfahren zu erhalten, gefoltert oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden. Unwürdige Haftbedingungen sind eine typische Begründung, um eine Auslieferung abzulehnen. Die Gefahr muss von der jeweiligen Verteidigung der Angeklagten allerdings ganz konkret im Einzelfall nachgewiesen werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden verlange den Eltern zufolge, dass die Beschuldigten bei ihrer Festnahme sofort umfangreiche Geständnisse ablegen. Von den Betroffenen kann diese Forderung als eine Art Erpressung aufgefasst werden. Und wie immer stellt sich die Frage, wie verbindlich solche behördlichen Zusagen sind. Der vom MDR zitierte Vater eines Angeklagten protestiert dagegen und verweist auf die Unschuldsvermutung. Man könne nicht fordern, dass Menschen gestehen. Der Vater pochte auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren für die Beschuldigten.

Die Generalstaatsanwaltschaft selbst äußert sich bisher nicht zu diesem Vorgang. Um »die sachgemäße Durchführung des laufenden Verfahrens« nicht zu gefährden, wie es heißt. Ob die Auslieferung nach Ungarn tatsächlich abgewiesen werden kann, dürfte auch eine Frage des öffentlichen Drucks auf die Behörden sein.

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