Westen weiß, wer’s war
Von Reinhard LauterbachNach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny in einem nordrussischen Straflager will der kollektive Westen den Vorgang maximal ausnutzen. Der britische Außenminister David Cameron sagte dem Fernsehsender Sky News, es »sollte Konsequenzen geben«, wenn solche entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen stattfänden. Großbritannien prüfe, ob einzelne Personen dafür verantwortlich seien und ob individuelle Maßnahmen ergriffen werden könnten. Das Königreich werde darüber mit seinen Partnern beraten.
Allerdings gibt es offenbar Schwierigkeiten mit der praktischen Durchsetzung solcher »Konsequenzen«. Alle bisherigen Sanktionen haben keine abschreckenden Wirkungen gehabt. Eine andere ist, dass China den Tod Nawalnys als innere Angelegenheit Russlands eingestuft hat. Entsprechend erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die beste Weise, Nawalnys Andenken zu ehren, bestehe darin, weiter die Ukraine militärisch und politisch zu unterstützen und auch die von China ausgehenden Gefahren nicht aus dem Blick zu verlieren. Witwe Julija Nawalnaya erhielt auf der Konferenz – zu der sie noch zu Lebzeiten ihres Mannes eingeladen worden war – Standing Ovations für ihre Forderung, Wladimir Putin persönlich für den Tod ihres Mannes zur Verantwortung zu ziehen. Die Außenminister der G7-Staaten forderten die russischen Behörden auf, die Todesumstände vollständig aufzuklären.
Der Tod Nawalnys wurde inzwischen auch von seinem Anwalt und seiner Mutter bestätigt. Beide waren in die Stadt Charp im Nordural gereist, wo sich das Straflager befindet. Die Leiche Nawalnys wurde ihnen aber nicht gezeigt; das zuständige Leichenschauhaus in der Bezirksstadt Salechard war über das Wochenende geschlossen und kein Mitarbeiter erreichbar.
In Russland gab es am Wochenende in über 30 Städten Gedenkveranstaltungen für den Verstorbenen. Leute legten Blumen vor seinem Bild nieder. Das Internetportal OVD-Info sprach am Sonnabend von 401 Verhaftungen in 36 Städten zwischen St. Petersburg und Jakutsk. Zu den Teilnehmerzahlen der Demonstrationen machte die Seite keine Angaben. In einer Erklärung der Redaktion hieß es, es habe wahrscheinlich keinen direkten Mord an Nawalny gegeben, aber die extrem schweren Haftbedingungen hätten ausgereicht, seine Gesundheit zu ruinieren. Er habe in den 37 Monaten seiner Inhaftierung 296 Tage – also knapp zehn Monate – in Isolationshaft oder im Karzer verbracht. »Es reichte, zu warten.«
Weiter ging der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. Er erklärte im Sender Welt, die Tötung politischer Widersacher gehöre zum Repertoire russischer Geheimdienste; man kenne zwar die genauen Todesumstände Nawalnys noch nicht, aber es falle schwer, im Zusammenhang mit der Münchener »Sicherheitskonferenz« an einen Zufall zu glauben.
Alexej Nawalny hatte sich nach einem Stipendienprogramm für »Nachwuchsführungskräfte« in den USA seit etwa 2011 mit der Organisation von Protesten gegen mutmaßliche Wahlfälschung und Korruption in der russischen Führung einen Namen gemacht und galt zuletzt als führender Oppositioneller gegenüber Putin. 2018 hatte er bei der Bürgermeisterwahl in Moskau mit 27 Prozent einen Achtungserfolg erzielt. 2020 zeigte er auf einem Flug innerhalb Russlands Vergiftungssymptome und wurde zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. Dort stellte er seine letzte Videodokumentation fertig, in der er Putin vorwarf, er habe sich in einem Naturschutzgebiet an der Schwarzmeerküste einen Palast bauen lassen. Bei Nachrecherchen zeigte sich allerdings, dass es sich bei den gezeigten luxuriösen Innenräumen um mit Innenarchitektensoftware hergestellte Fakes gehandelt haben muss; das russische Fernsehen zeigte unverputzte Säle anstatt der vergoldeten Säulen, bestätigte aber dadurch indirekt, dass es ein Bauprojekt für dieses Objekt zumindest zu diesem Zeitpunkt gab. Anfang 2021 war Nawalny nach Russland zurückgekehrt und sofort festgenommen worden. Er verbüßte eine für insgesamt 19 Jahre angedachte Haftstrafe. Sympathisanten der russischen Opposition bedauerten den Tod ihrer zentralen Führungspersönlichkeit.
Der Nachruf »Ein Querfrontagitator« ist auf jungewelt.de zu finden
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Am 18. Februar, fand die diesjährige Sicherheitskonferenz (genauer: Kriegskonferenz, also nicht Siko, sondern Kriko) in München statt. Wie selbstverständlich dürfen Vertreter Russlands nicht teilnehmen. Wer möchte sich schon gern in die eigene Suppe spucken lassen? Nicht einmal inländische Vertreter der AfD und der BSW mit Sahra Wagenknecht dürfen teilnehmen. Statt ihrer und Zufall oder nicht: die Frau des am Tag zuvor verstorbenen »Regime«-Kritikers Nawalny befand sich im Hotel im Bayerischen Hof und wartete auf das Signal des Konferenzleiters Christoph Heusgen, der ihr Just-in-time die Bühne für einen weniger tränenreichen, stattdessen aber einen gegen Russland gerichteten hassgetränkten Auftritt überlassen hat.
Kleiner Zeitsprung nach hinten: Nachdem Wladimir Putin, im Jahr 2007 seine Rede auf der Siko/Kriko beendet hatte, schlug ihm blanker Hass entgegen. Er bediene einzig und allein die Sprache des Kalten Kriegs. Allerdings war nicht er es, sondern diejenigen, die von imperialen Wünschen getrieben, die Rede Putins in ihrem Interesse richtig verstanden haben. Die kleine Zeitreise nach vorne führten zum Maidan und zum vom Westen initiierten gesteuerten Krieg, der nicht nur kalt blieb.
In diesem sich erhitzenden »Spiel« wurde Nawalny die Hauptrolle in einer Inszenierung für eine neue Farbenrevolution zugedacht. Er nahm sie, als von Eitelkeit getriebener Schauspieler, dankbar an. Unterstützt von Hohepriestern des westlichen Werteregimes hielt er sich vergleichbar dem Nibelungen-Siegfried für unwiderstehlich und unbesiegbar.
Die Geduld der russischen Regierung wurde arg strapaziert; sie wurde von Nawalny und seinen Unterstützern aus dem Westen teils unter-, teils überschätzt. In Abwandlung der bekannten Redewendung muss es hier heißen: »Der Zweck heiligt das Mittel.« Dieses in der Person Nawalny: ein Märtyrer, ein Opfer, ein Täter? Greifen Sie zu.
Wer wirklich Mut gezeigt hat und sein Leben riskiert, das ist Julian Assange. Er hat in Worten und mit Bildern die Kriegsverbrechen der USA der Weltöffentlichkeit präsentiert. Er wusste, dass seine Enthüllungen ihm das Leben kosten würde. Er nahm die Herausforderung an. Ein wahrer Held!