NATO tröstet Kiew
Von Arnold SchölzelNATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg fasste am Donnerstag in Brüssel stolz die Beschlüsse der Verteidigungsminister des Paktes zur Hilfe für Kiew zusammen: Jetzt gebe es in den Mitgliedsländern eine »Hochgeschwindigkeitsproduktion« von Waffen zur Auffüllung der eigenen und der ukrainischen Arsenale. Geplant sei zum Beispiel die Lieferung von einer Million Drohnen. Im übrigen repräsentiere die NATO 50 Prozent der globalen Wirtschafts- und 50 Prozent der militärischen Macht. Das sei die Botschaft an Wladimir Putin und Xi Jinping.
Und zwar fürs Jahrhundert. Auf dem G7-Gipfel im litauischen Vilnius im vergangenen Juli hatten die Staats- und Regierungschefs des westlichen Blocks beschlossen, dass die Ukraine anstelle einer schnellen NATO-Mitgliedschaft »langfristige Sicherheitszusagen« der einzelnen Staaten erhält. Großbritannien hatte am 12. Januar den Anfang gemacht und einen auf zehn Jahre angelegten Vertrag mit Kiew geschlossen. Auf der Website des britischen Premierministers heißt es dazu so mystisch wie zukunftsgewiss: »Das totemistische Abkommen soll der erste Schritt zur Entwicklung einer unerschütterlichen hundertjährigen Partnerschaft zwischen der Ukraine und dem Vereinigten Königreich sein.« An diesem Freitag ziehen Berlin und Paris offenbar nach: Dort soll laut Medienberichten der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beziehungsweise mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron entsprechende Verträge unterzeichnen.
Berlin will aber Spitze beim Waffenrausch werden. Jedenfalls verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag vor den NATO-Beratungen in Brüssel, nach Erreichen des Zwei-Prozent-Zieles müsse der deutsche Anspruch sein, zusammen mit anderen das »konventionelle Rückgrat« der Verteidigung zu sein. Zudem sei Deutschland die »logistische Drehscheibe« der NATO in Europa: »Damit übernehmen wir Führungsaufgaben.« Laut der Internetseite seines Ministeriums erklärte er zudem: »Russland ist die größte Bedrohung im euroatlantischen Raum.« Die Partner und Verbündeten müssten alles dafür tun, um Kiew zu unterstützen. Fast täglich übergebe Deutschland militärische Ausrüstung an dessen Truppe und werde 2024 voraussichtlich das »Drei- bis Vierfache« an Artilleriemunition liefern im Vergleich zu 2023. Pistorius wörtlich: »Der Krieg in der Ukraine wird am Ende auch am Fließband in den Produktionsländern der Welt entschieden.«
Entsprechende Beschlüsse hatte am Mittwoch die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe im »Ramstein-Format« in Brüssel gefasst. Kiews Verteidigungsminister Rustem Umjerow teilte danach auf Facebook mit, er hoffe auf mehr Flugabwehrwaffen, Artilleriemunition, Drohnen und erste westliche Kampfflugzeuge vom Typ F-16. Bei deren Einführung liege man »im Zeitplan«. Die Bundesrepublik wird demnach zusammen mit Frankreich eine »Fähigkeitsallianz« zur Luftverteidigung anführen. Nach der Soforthilfe gehe es jetzt um Langzeitfähigkeiten, erklärte Pistorius bei der Unterzeichnung der Gründungsdokumente. Er kündigte auch eine gemeinsam mit Polen geführte Koalition für Panzerfahrzeuge und weitere für Artillerie, maritime Sicherheit, Entminung und Drohnen an. Umjerow berichtete, die Allianz zur Lieferung von Drohnen werde von Lettland geführt, die für Minenräumung von Litauen.
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Dass Deutschland die »logistische Drehscheibe«, treffender »logistische Zielscheibe« der NATO ist, sollte kein Grund zur Zufriedenheit, sondern zur Sorge sein. Logistische Knotenpunkte sind für Raketenangriffe ein bevorzugtes Ziel, auch dann, wenn die Kriegsfront weit entfernt ist. Diese Ansage von Pistorius wird Wohngrundstücke in der Nähe von militärischen Objekten oder relevanter Infrastruktur bestimmt nicht aufwerten. Die Ankündigung der erweiterten militärischen Unterstützung für Kiew kann von russischer Seit nur als Ansporn zu massiveren Militärschlägen wahrgenommen werden, um einer Erholung des ukrainischen Militärs zuvorzukommen. Am Ende wird sich das in einer höheren Zahl von Toten und Versehrten unter den Ukrainern bemerkbar machen.