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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: UNRWA

Von Jörg Kronauer
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Zum Ziel israelischer Streitkräfte geworden: Das Hauptquartier der UNRWA in Gaza

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge ist eine der ältesten und größten UN-Organisationen. Gegründet wurde es mit der Resolution 302 (IV) der UN-Generalversammlung vom 8. Dezember 1949, um diejenigen Palästinenser zu versorgen, die im Krieg während der israelischen Staatsgründung 1948 vertrieben wurden oder flohen. Sein offizieller Name lautet United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, kurz: UNRWA. Die UNRWA ist älter als der Posten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), der erst am 14. Dezember 1950 geschaffen wurde. Sie hat zudem ein anderes Mandat. Führt sie hauptsächlich Dienstleistungen für palästinensische Flüchtlinge durch – vor allem im Bildungs- und im Gesundheitsbereich –, so kümmert sich der UNHCR zeitlich beschränkt um Schutz und Unterstützung für Flüchtlinge allgemein; er zielt letzten Endes darauf ab, ihre Rückkehr zu ermöglichen bzw., wenn das nicht realisierbar ist, ihre Eingliederung in die Gesellschaft des Fluchtlandes zu fördern.

Die UNRWA, die, als sie zum 1. Mai 1950 ihre Arbeit aufnahm, um die 750.000 Flüchtlinge zu versorgen hatte, kümmert sich heute um 5,9 Millionen Menschen, darunter zumeist Nachkommen der ursprünglichen Flüchtlinge in diversen Generationen. Dabei stellt sie Dienstleistungen in 58 Flüchtlingslagern bereit, zwölf davon im Libanon, neun (plus drei inoffizielle) in Syrien, zehn in Jordanien, 19 im Westjordanland und, jedenfalls bis zum 7. Oktober 2023, acht im Gazastreifen. In den aktuell 706 UNRWA-Schulen lernen mehr als 540.000 junge Menschen, in den 140 Gesundheitsstationen des Hilfswerks wurden zuletzt mehr als sieben Millionen Patientenbesuche pro Jahr registriert. Faktisch übernimmt die UNRWA für beinahe sechs Millionen Menschen quasistaatliche Funktionen. Im Jahr 2023 hatte sie dafür 848 Millionen US-Dollar zur Verfügung, die zu 90 Prozent von Geberstaaten und von der EU stammten; größter Geber waren die USA, Nummer zwei war die Bundesrepublik. Der Hauptanteil ihres Budgets, gut 58 Prozent, gingen in das Bildungssystem, 15 Prozent in das Gesundheitswesen.

Streit um die UNRWA gehört seit jeher zum politischen Alltag, was wohl strukturell unvermeidlich ist, weil sich in ihr und um sie herum die eine Seite des israelisch-palästinensischen Konflikts organisiert. Ärger gab es häufig etwa wegen der Schulbücher, die das Hilfswerk in seinen Schulen nutzt und in denen sich antisemitische Inhalte fanden. Nun verwendet die UNRWA die Schulbücher der Länder, in denen sie tätig ist – die des Libanons, Syriens, Jordaniens oder der Palästinensischen Nationalbehörde. Ihre Verteidiger fragen zudem oft, ob man Menschen, die unter einer Besatzung leben, vorwerfen kann, dass sie die Besatzungsmacht nicht in den schönsten Farben preisen. Allerdings fragt sich auch, ob man deshalb wirklich Kindern »die Juden« pauschal als korrupte »Feinde des Islam« präsentieren muss, die mit ihrer Finanzmacht angeblich die Welt beherrschten – und das in Büchern, die in der Regel nicht reflexhaft, sondern mit reiflicher Überlegung produziert werden.

Letztlich wird der Streit um die UNRWA wohl nur mit einer Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern beizulegen sein. Bis dahin liegt es nahe, dass alle Kräfte – und zu diesen gehört die Hamas – das Hilfswerk auch für ihre Zwecke einzuspannen suchen, wenngleich dessen Leitung glaubwürdig beteuert, die über 30.000 zumeist palästinensischen Mitarbeiter und deren Aktivitäten unter den gegebenen Verhältnissen so penibel wie möglich zu durchleuchten. Auf die Lösung des Konflikts aber hat die UNRWA keinerlei Einfluss; sie verwaltet lediglich seine Folgen. Und das müsste, wer sie auflösen will, ebenfalls tun, mit einer Organisation, die sich in exakt derselben Lage befände.

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