Andenken an einen Gerechten
Von Freja WedenborgDer dänische Whistleblower und Exgeheimdienstler Anders Kærgaard ist am 5. Februar im Alter von 51 Jahren gestorben. Das gab seine Ehefrau auf Facebook bekannt. Auch schrieb sie, dass er selbst den Gang in die Dunkelheit angetreten habe, gegen die er lange gekämpft hatte.
Als einziger bestraft
Es ist zehn Jahre her, dass Kærgaard die Redaktion der Zeitung Arbejderen mit Dokumenten aus seiner Zeit als Geheimdienstoffizier im Irak aufsuchte. Es ging darin um die Operation »Green Desert«, an der er beteiligt gewesen war. Betroffene hatten damals das Verteidigungsministerium verklagt, weil sie Dänemark als mitverantwortlich für Folter und entwürdigende Behandlung ansahen, die sie in irakischen Gefängnissen erleiden mussten. Kærgaard konnte nicht länger schweigen. Er hatte gesehen, wie ein Journalist von Arbeijderen Tag um Tag den Prozess verfolgte. Ein Video, das er mitbrachte, zeigt, wie dänische Soldaten Iraker schlagen und treten. Aus einem Bericht, den er angefertigt hatte, war ersichtlich, dass der Bataillonsführung bewusst war, dass es sich um unschuldige Zivilisten handelte.
Bei Arbejderen, wo ich damals Nachrichtenchefin war, bildeten Kærgaards Informationen in den folgenden Jahren einen Mittelpunkt der Arbeit. Auch in den übrigen Medien des Landes wurde ausführlich über den Fall berichtet. Für Kærgaard, der aus einer Familie von Militärs stammte und sein ganzes Erwachsenenleben in der Armee verbracht hatte, hatte sein Schritt verheerende Folgen. Er verlor sein soziales Umfeld und den Kontakt zu großen Teilen seiner Familie. Er musste fortan mit Drohungen und Anfeindungen leben. Auch musste er ein langes Gerichtsverfahren mit Haftandrohung über sich ergehen lassen, weil er sich weigerte, den Namen des Kollegen preiszugeben, der ihm das Video gegeben hatte. Am Ende hatte er eine Geldstrafe zu entrichten, womit er der einzige war, der im Fall »Green Desert« verurteilt wurde.
Kærgaard löste eine Debatte über die Kriegsbeteiligung aus. Als der Oberste Gerichtshof urteilte, dass die irakischen Opfer zu entschädigen seien, legte das Verteidigungsministerium Berufung ein, in der Furcht, dass die Teilnahme an Militäroperationen im Ausland unmöglich würde, wenn es bei dem Urteil bleibe. Es wurde wieder aufgehoben, und der Prozess wird heute vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fortgesetzt.
Gleichzeitig führte der Fall zu einer Diskussion darüber, wie Whistleblower behandelt werden. Für Kærgaard hatte es eine große Wirkung, als Arbejderen 2014 eine Reihe von Parlamentspolitikern zu einer Anhörung über die Rechte von Hinweisgebern einlud, zusammen mit Amnesty International und anderen NGOs. Zum ersten Mal hatte Kærgaard den Eindruck, dass man ihm zuhörte. Von der vordersten Front der Kriege im Irak und in Afghanistan kommend, wurde er zu einem der schärfsten Kritiker des Krieges. Er lernte die Solidarität schätzen, die er in der Friedensbewegung fand, und hielt Reden bei der jährlichen 4.-Mai-Parade in Kopenhagen und auf der XIX. Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt. Später waren Kærgaard und ich Mitbegründer der Organisation VERON, die Whistleblowern zur Seite steht.
Schwer traumatisiert
Immer wieder erzählte Kærgaard seine Geschichte. Er tat dies, obwohl es ihn viel Kraft kostete – wie viele andere Soldaten war er mit tiefen Narben aus dem Krieg heimgekehrt. Aber er war entschlossen, die Ungerechtigkeiten, die er in der Gesellschaft sah, zu beseitigen. Das hat sich ausgezahlt: Im Jahr 2021 wurde das »Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern« verabschiedet. Das letzte Mal sah ich Kærgaard im vergangenen Jahr, als wir gemeinsam eine neue Klasse von Journalismusstudenten an der Süddänischen Universität (SDU) über Quellenschutz und den Umgang mit vertraulichen Informationen unterrichteten.
Anders Kærgaard erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, unter anderem den Ehrenpreis des Rates für Menschenrechte. Oft habe ich mit ihm über seine Befürchtung gesprochen, dass sein ganzes Engagement umsonst war. Das ist unbestreitbar nicht der Fall. Er hatte eine enorme Wirkung: für die Iraker, für künftige Whistleblower, für die Rechtsstaatlichkeit, für mich und für die vielen anderen, die seine ergreifende Geschichte hörten. Er wird am Mittwoch in Aarhus bestattet.
Freja Wedenborg ist Dozentin für Journalismus an der Süddänischen Universität in Odense und war früher Nachrichtenleiterin von Arbejderen. Wir danken Autorin und Zeitung dafür, dass wir den Nachruf übernehmen konnten. Übersetzung: jW.
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