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Aus: Ausgabe vom 05.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Was würde Clara sagen?

Das Potsdamer Theaterkollektiv Triple A zeigt die Aktualität Zetkins
Von Kai Köhler
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Wo sind die Gegner? Clara Zetkin (Anna Keil, r.) und Rosa Luxemburg (Anja Panse)

Clara Zetkin ist zurück. Sie fragt Passanten, wer Zetkin sei, und ist schon zufrieden, wenn einer über diese Kommunistin schimpft. Denn der kennt sie wenigstens. Dann erzählt sie dem Theaterpublikum, was sie gerade gesehen hat, Konsum wie Obdachlosigkeit, und berichtet eine gute Stunde lang über ihr Leben.

Regisseurin und Autorin Anja Panse hat die knapp 76 Jahre von Zetkins Dasein in prägnante Szenen zusammengefasst. Bürgerliche Jugend, der Übertritt zur sozialistischen Frauenbewegung, Exil in Frankreich, die Arbeit als Herausgeberin der proletarischen Frauenzeitung Die Gleichheit, der Kampf gegen den Opportunismus in der SPD, Erster Weltkrieg, die Entwicklung zur Kommunistin – das alles wird deutlich. Anna Keil zeigt Zetkin als Mutter wie als Liebende und Freundin, nämlich Rosa Luxemburgs. Luxemburg, von der Autorin gespielt, ist die einzige Person, die neben Zetkin auf die Bühne kommt. Eine kurze Szene vermittelt die Nähe der beiden Frauen, wobei Luxemburg als überlegene Analytikerin erscheint, Zetkin als weitaus emotionaler.

Dabei schlägt die Aufführung unterschiedliche Töne an. Als sozialdemokratische Rednerin arbeitet Zetkin sehr genau den Zusammenhang zwischen Frauenemanzipation und Abschaffung der Klassenherrschaft heraus, damit auch das Unzureichende der bürgerlichen Frauenbewegung: Kapitalisten verwenden Arbeiterinnen als Lohndrückerinnen. Ja – doch das spricht nicht gegen Arbeiterinnen, sondern gegen die Kapitalisten. Anna Keil weiß als wiederauferstandene Zetkin munter mit dem Publikum zu kommunizieren. Sie vermittelt aber auch die Verzweiflung aus politischen und aus privaten Gründen, die zu diesem Leben gehörte. Diese Verzweiflung ist an diesem Freitagabend im Berliner Ackerstadtpalast vielleicht etwas zu stark gewichtet. Jedoch folgen ihr immer wieder Aufschwünge, der Entschluss, politisch zu arbeiten. Das letzte Wort hat dann Zetkin selbst, mit einer Aufnahme der Rede, mit der sie als Alterspräsidentin den im Juli 1932 gewählten Reichstag eröffnete. Die Stimme war ein knappes Jahr vor ihrem Tod bereits brüchig, der Inhalt aber kompromisslos. Sie forderte den Kampf gegen die Nazis, die in diesem Parlament erstmals die stärkste Fraktion stellten, und schloss mit der Hoffnung auf eine deutsche Räterepublik.

Steht es im Gegensatz dazu, wenn immer wieder Musik den Fortgang unterbricht, wenn die Produktion das intimste der bürgerlichen Genres aufgreift und Keil Lieder von Beethoven und Schumann singt? Sicher nicht. Der emotionale Reichtum dieses Erbes nimmt vorweg, was erst im Sozialismus eingelöst werden kann. Zugleich vermittelt er Zetkins Trauer angesichts dessen, was sie erleben musste.

»Clara Z – Kämpfen wo das Leben ist« wurde vom Potsdamer Theaterkollektiv Triple A erarbeitet. Die Gruppe hat das Genre des »Histopical« erfunden, das »historische Ereignisse und Persönlichkeiten mit der Gegenwart in Beziehung setzt«. Das Zetkin-Stück erfüllt perfekt den Anspruch einer mobilen Inszenierung, die auch in kleinen Räumen und mit beschränkten Mitteln gezeigt werden kann. Das als Ermutigung für Veranstalter. Eine kleine Besetzung, wenige, aber aussagekräftige Requisiten, sparsamer Einsatz von Licht und Ton – das sind Vorteile, die allerdings einen Nachteil haben.

Die Solistin Zetkin hat, außer der Freundin, keine sichtbare Umwelt. Der politische Alltag, so mühevoll wie manchmal, bei kleinen Erfolgen, aufmunternd – er kommt nicht vor. Der Gegner tritt nicht auf, sondern wird nur erwähnt. Damit verschwimmen Gründe für Entscheidungen. Wer versteht die angesprochenen Konflikte? Ästhetisch ist hier Knappheit ein Vorteil (wer wollte eine geschwätzige Zetkin), für die Wirkung erfordert es ein bereits informiertes Publikum.

Und die Gegenwartsbezüge? Streit darüber dürfte vom Theaterkollektiv beabsichtigt sein. Natürlich setzt sich die wiederauferstandene Zetkin mit der Niederlage des Sozialismus auseinander. Dass Lenin richtigerweise die Weltrevolution gewollt habe, Stalin aber falsch auf Sozialismus in einem Land setzte, verkürzt die Sachlage. Spätestens 1923 war klar, dass in West- und Mitteleuropa eine Revolution nicht mehr bevorstand. Stalin stand in dieser Frage nicht gegen Lenin, sondern zog die Konsequenz aus den Tatsachen. Aber Zetkins Erkenntnis, dass die Klassenfrage zentral ist und zugleich die Beteiligung von Frauen an den Kämpfen nicht bloß Nebenwiderspruch – die gilt noch heute und bleibt übertragbar auf andere Konfliktfelder.

Nächste Vorstellungen: 10. März Lindenpark, Potsdam, 16. März Theater im Viertel, Saarbrücken

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  • Leserbrief von Fritz Rau aus Berlin (6. Februar 2024 um 10:46 Uhr)
    »Stalin stand in dieser Frage nicht gegen Lenin, sondern zog die Konsequenz aus den Tatsachen.« Das hat die Logik zum Vergleich: Weil mir ein Bein fehlt, renne ich mit dem anderen dafür doppelt so schnell. Vom Rest mal ganz abgesehen.

Regio:

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