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Aus: Ausgabe vom 20.02.2016, Seite 11 / Feuilleton

Genie aus dem Mief. Thomas Wolfe im Wettbewerb

Von Frank Burkhard

Schau heimwärts, Engel« war ein vielgespieltes Stück in Ost und West. In den 60er Jahren kam es mit Inge Meysel und René Deltgen auf den Bildschirm, in den 70ern mit Erika Pelikowsky und Erwin Geschonneck. Es erzählt von der Familie Grant in den Südstaaten der USA. Die Mutter betreibt, im steten Kampf mit dem trunksüchtigen Vater, eine Pension – Paraderollen für Charakterdarsteller; aber zentrale Figur ist der jüngste Sohn Eugene, der gegen den kleinbürgerlichen Mief aufbegehrt.

Ketty Frings hat das Bühnenstück aus dem Roman von Thomas Wolfe destilliert, und was sie damit für eine Höllenarbeit geleistet hat, lässt sich erahnen, wenn man jetzt in dem Wettbewerbsfilm »Genius« sieht, wie Wolfes Lektor Maxwell Perkins mit dem Autor kämpfen musste, um aus überbordenden mehr als 1.000 Seiten den großen Roman zu schaffen, der autobiographische Züge hat. »Der Eugene bin ich!«, erklärt Tom frei heraus seinem Lektor Max (so sprechen sich die beiden im Film an).

Das Filmdebüt des Bühnenregisseurs Michael Grandage bietet geschliffene Dialoge, aber es gibt auch was zu sehen. Das betrifft vor allem die Hauptdarsteller. Jude Law spielt den Wein, Weib und Gesang goutierenden Exzentriker Thomas Wolfe. Colin Firth geht als sein Gegenspieler gewohnt zurückhaltend, ja stoisch durch den Film und wirkt dabei trotzdem vielsagend. Wie er das macht, ist sein Geheimnis!

In Berlin erklärte Firth, er würde gern auch mal einen Actionhelden oder Groteskkomiker spielen. Das wünscht man ihm, aber er sollte dann doch unbedingt wieder zu seinem angestammten Rollenbild zurückkehren! Ein Kabinettstück entwickelt sich, wenn die beiden Männer in Tom Wolfes frühere Bude eindringen. Oder wenn Max von Tom in eine verrauchte Kneipe geschleift wird, in der Afroamerikaner hinreißenden Jazz spielen. Faszinierend, wie Firth sich der seiner Figur zunächst völlig fremden Musik langsam hingibt!

Neben dieser beruflich grundierten Männerfreundschaft haben es die Frauen im Film schwer. Doch Nicole Kidman spielt ihre Rolle der Kostümbildnerin Aline Bernstein (ebenfalls eine historische Figur) erfreulich differenziert. Etwas Würze fügen Guy Pearce als F. Scott Fitzgerald mit Schreibblockade und nervlich zerrütteter Ehefrau sowie Dominic West als Karibikfan Ernest Hemingway hinzu. Doch bei der Frage nach dem Silbernen Bären für den besten Darsteller steht Colin Firth weit oben auf der Liste.

»Genius«, Regie: Michael Grandage, GB / USA 2016, 104 min, 20. u. 21.2.

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