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Aus: Ausgabe vom 30.03.2010, Seite 13 / Feuilleton

Big Herbolzheimer

Der Jazzmusiker Peter ­Herbolzheimer ist tot. Er starb am Samstag in der Kölner Universitätsklinik im Alter von 74 Jahren. Herbolzheimer, 1935 in Bukarest geboren und 1951 nach Westdeutschland übergesiedelt, war einer der besten deutschen Big-Band-Leader, von denen den meisten nur der König der Hobbykeller James Last und ein paar Bundeswehr­söldner bekannt sind.

In den 70ern schuf Herbolzheimer einen neuen Bigband-Stil, eine funkige Melange aus Jazzrock und Latin, getragen von einer erweiterten Bläsersektion (acht Mitglieder) und zwei Keyboards. Die Siebziger waren die goldene Zeit der Bläser, nachdem Blood Sweat & Tears damit in der Rockmusik der späten Sechziger Millionen­umsätze erzielt hatten. Bands wie Kool & the Gang schalteten daraufhin von Jazz auf Rock um und entwickelten gefällige Tanzweisen, während Rockbands wie Compost mit Jazz anfingen, und sich schnell im aufkommenden Fusion-Geniedel verloren. Ganz zu schweigen von Billy Cobhams Kommerzklöppeleien, mit denen er den Free Jazz hinter sich ließ. Und dann kam endlich Disco aus Philadelphia und löste überbordendes musikalisches Virtuosentum pragmatisch auf. Auch wenn man es kaum noch weiß: Disco begann mit Orchestern. George Clinton brachte das ironisch auf die Formel: »Who says, a jazzband can’t play dance music?«

Pragmatisch war Herbolzheimer immer. Der Autodidakt an Gitarre und Posaune studierte kurz am Nürnberger Konservatorium und ging dann für mehrere Jahre in die USA, wo er sich als Arrangeur für mehrere Orchester ausprobierte. Er absolvierte anschließend Lehrjahre des Easy Listening im Ensemble von Bert Kaempfert und gründete 1969 die Band Rhythm Combination & Brass. 1972 arrangierte er das Lied für die einmarschierenden Athleten bei den Olmypischen Spielen in München und schuf dann seine All Star Big Band, die alljährlich in den Jazz-Zeitschtriften die Polls für die beste Big Band gewann. Auf Tourneen begleitete man Nat Adderley, Stan Getz und Clark Terry. Im allgemeinen bespielte Herbolzheimer ähnlich wie sein Jazzrock-Kollege Klaus Doldinger die heile, progressiv-beschauliche Fernsehwelt der 70er und 80er Jahre (»Bios Bahnhof«, »ZDF Jazzclub«). Auch kümmerte er sich um die Bläserarrangements des ehemaligen Doldinger-Schlagzeugers Udo Lindenberg. Bei Herbolzheimer bliesen Fachkräfte wie Art Farmer, Joe Gallardo oder Palle Mikkelborg. Er leitete das 1987 gegründete Bundesjazzorchester bis 2007, aus dem Musiker wie Till Brönner, Roger Cicero, Hubert Nuß oder Michael Wollny hervorgingen. Herbolzheimer stand für den guten Mitwipp-Mainstream.

(jW)

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