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Aus: Ausgabe vom 24.01.2009, Seite 16 / Aktion

Tiefe Furcht vor Rosa Luxemburg

Deutschlandradio enthüllt, daß nicht der Mord an Liebknecht und Luxemburg, sondern das kommunistische Ziel der Opfer ein Verbrechen war
Von Dietmar Koschmieder
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Als vor einem Jahr Jörn Schütrumpf, Chef des Berliner Dietz-Verlages, von der taz gefragt wurde, wie viele Rosa Luxemburgs es denn gäbe, antwortete der Historiker: »Eigentlich hat jeder seine eigene. Rosa Luxemburg ist eine merkwürdige Gestalt des 20. Jahrhunderts. Sie ist gleichermaßen Identifikations- und Haßfigur. Viele ihrer früheren Gegner schmückten sich mit ihr, weil sie zur rechten Zeit ermordet wurde. Das Bild dieser Frau ist sehr schillernd, sehr unklar.« Ein klares Bild dieser Frau hat der ehemalige IBM-Chef und Präsident des BDI Hans-Olaf Henkel: »Man glaubt, sie biete die weiche, gewaltfreie, tolerante Variante des Kommunismus...Unermüdlich rief sie zur deutschen Revolution auf, gründete Spartakusbund und KPD und forderte scharfe Abrechnung mit den Bürgern. Ihr KPD-Programm schloß sie mit dem unmißverständlichen Satz: ›In diesem letzten Klassenkampf der Weltgeschichte ... gilt dem Feinde das Wort: Daumen aufs Auge und Knie auf die Brust!‹ Soweit die gewaltfreie Rosa Luxemburg«, schreibt er in seinem aktuellen Buch.

Der Diskurs war bisher bestimmt durch diese beiden bürgerlichen Positionen: Rosa Luxemburg als brave Demokratin, die von Lenin, Stalin oder der DDR-Führung gerichtet worden wäre, wenn denen nicht die »Freikorps« zuvorgekommen wären. Oder Rosa Luxemburg, die ihr in Wahrheit stalinistisches Wesen ausgelebt hätte, wenn ihr da nicht die Freikorps dazwischengekommen wären.

Unstrittig bisher immerhin, daß die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg (und vieler anderer Spartakisten) Verbrechen waren. Zugegeben wird auch, daß ihre Mörder wie auch deren sozialdemokratischen Hintermänner bekannt sind, aber straffrei blieben. Zuletzt hat das Klaus Gietinger in seinem im Januar veröffentlichten Buch »Der Konterrevolutionär«, einer Biografie über Waldemar Pabst, nachgewiesen. Aus aktuellem Anlaß hat deshalb die Journalistin Liane von Billerbeck für Deutschlandradio mit dem Autor ein Interview geführt. Es sollte genau zum 90. Jahrestag der Ermordung der Revolutionäre am 15.Januar gesendet werden. Zu hören war dann aber nicht Gietinger, sondern der Historiker Hans-Ulrich Wehler. Der sei so interessant gewesen, während man Gietingers Interview nicht hätte senden können, wurde mitgeteilt. Auszüge aus dem Gespräch belegen zumindest ersteres: Wehler: »Ich gehöre nicht zu denen, die diesen Mythos um Liebknecht und Luxemburg teilen...Wer den Bürgerkrieg entfesselt, lebt immer im Angesicht des Todes; wenn er von der Gegenseite erwischt wird, wird er an die Wand gestellt. Wenn Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht korrekt überstellt worden wären, wären sie abends vor ein Standgericht gekommen und erschossen worden. So sind sie greulich erschlagen worden...« Billerbeck: »Aber nun waren doch ihre eigenen Genossen an der Macht.« Wehler: »Ja, was heißt eigene Genossen. Sie waren früher einmal SPD-Mitglieder gewesen und waren ... ausgeschert ... Das ist ja oft so, daß ... feindliche Brüder sich ungleich gehässiger gegenüberstehen als andere ... Die SPD ... mußte alles daran setzen, daß das Land nicht im Bürgerkrieg versank. Also da sehe ich ... überhaupt nicht, wie man heute noch daran zweifeln kann, daß die SPD im Besitz ... der frisch geborenen Macht in der Republik anders handeln konnte, als gegen diese Bürgerkriegspartei vorzugehen.« Billerbeck: »War die SPD-Führung viel enger mit der Reichswehr und der Obersten Heeresleitung verbunden, als bisher angenommen?« Wehler: »...Die SPD hat sich weithin vorbehaltlos drei Jahre mit der Reichsführung und der Kriegsführung identifiziert. Dann schert sozusagen ein linker Flügel aus... Wenn man jetzt die Konstellation sich vergegenwärtigt, ein Heer, rund acht Millionen Männer noch unter Waffen zurückzuführen, die Gefahr, daß die Revolution... das Land weiter in Unruhe versetzt oder wirklich wie im Januar 1919 in Berlin in den Bürgerkrieg stürzen würde, das ist für diejenigen, die nun ganz unerwartet – wie die Gruppe Ebert – die Macht übernehmen, eine ... Bedrohungssituation. Und jeder hatte vor Augen, was in Rußland passiert war, als es dem Premier Kerenski nicht gelungen war, das Land zu stabilisieren und Lenin dann übernommen hatte. Das ist die tiefe Furcht.« Billerbeck: »Das heißt, man wollte den Kommunismus verhindern und hat dafür billigend den Tod von Liebknecht und Luxemburg in Kauf genommen.« Wehler: »So würde ich in einer Diskussion, wenn ich ein Seminar in Gang kriegen müßte, auch mal formulieren. Wenn man in einer solchen Situation handeln muß... dann muß einer, wie Noske immer von sich gesagt hat, da den...« Billerbeck: »Einer muß der Bluthund sein.« Wehler: »Der Bluthund, ja. Einer muß den Bluthund spielen.«

Endlich mal einer, der das ausspricht, was bisher nur Täter wie Nos­ke, Ebert und Pabst zu ihrer Rechtfertigung gesagt haben. Das Verbrechen ist nicht der Mord, sondern das kommunistische Ziel der Ermordeten. Der ständige Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit in der Wortwahl Wehlers unterstreicht zudem, daß angesichts von aktuellen Krisen, Kriegen und wachsender Kapitalismuskritik im Ernstfall auch künftig wie damals gehandelt werden muß. Wer am System rührt, verreckt mit einer Kugel im Kopf. Im besten Fall vollstreckt durch die Schergen eines Standgerichts. Im zweitbesten, also wenn es sich nicht anders richten läßt, von beauftragtem rechten Mob.

www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/904356

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