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10.01.2021 09:58 Uhr

Stefano Azzarà: Universalismus des Westens falsch und verkürzt

XXVI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz: Pandemiebekämpfung und Liberalismus
Liveschalte zu Stefano Azzarà nach Italien

Plötzlich ist die ganze hektische Normalität der kapitalistischen Ordnung erschüttert. Die Staaten des Westens haben die Pandemie ganz offensichtlich nicht im Griff. Doch die führenden Ideologen des Westens sind selbstredend außerstande, die »freie Welt« kritisch unter die Lupe zu nehmen. Was stimmt nicht mit ihrem Liberalismus, mit ihren weltweiten Menschenrechtsinterventionen, mit ihrem Universalismus?

Per Livestream aus Italien während der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend aus Berlin zugeschaltet ist Stefano Azzarà. Er ist Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Urbino und Autor mehrerer Bücher auch zur deutschen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, entwickelt auf Grundlage seines jüngst erschienenen Buchs »Il virus dell’Occidente. Universalismo astratto e sovranismo particolaristico di fronte allo stato d’eccezione« die These, dass der Universalismus des Westens falsch und verkürzt sei, da dieser Universalismus das westliche Interesse als das Interesse der ganzen Welt ausgibt. Das schließe die Fähigkeit aus, Unterschiede und Besonderheiten zu erkennen. Etwa wie in China. Dieses Land, gesellschaftlich anders organisiert, ist offensichtlich in der Lage, dem Virus Herr zu werden. Für etliche liberale Ideologen eine Horrorvorstellung.

Giorgio Agamben, eine der führenden Stimmen im intellektuellen Diskurs Italiens, wähne angesichts der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die subjektive Freiheit in Gefahr, glaubt, man wolle uns »alle zu Chinesen machen«. Doch eine solche libertäre, gar anarchistische Kritik am Maßnahmenstaat, sagt Azzarà, konvergiere mit dem Neoliberalismus selbst. Das sei eine Absage an den Wohlfahrtsauftrag des Staates, eine postmoderne Form des »Edelanarchismus« (Lenin). Angesichts solcher Töne falle es schwer, noch zu erkennen, was links und was rechts sei. Einige Linke flüchteten sich angesichts dieses abstrakten Universalismus in einen nicht minder problematischen Souveränismus, der partikularistisch verkürzt sei, sich auf Gemeinschaft und Nation beschränkt und sich um den Rest nicht schert. Eine ernstzunehmenden Linke werde erst dann wieder entstehen, wenn sie die Klassenkämpfe gegen die Repräsentanten des Kapitals führt. (db)

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