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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ökonomischer Balanceakt

Retten, was möglich ist

Chinas Immobilienkrise: Regierung genehmigt Aufkauf von leerstehenden Wohnungen durch lokale Behörden. Aufschub für Bauträger
Von Klaus Fischer
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Auch als soziales Gut bewertet, aber oft noch zu teuer: Neue Wohnungen in Shangzhou

China stemmt sich weiter gegen die Krise am Immobilienmarkt. Einem Medienbericht zufolge will die Regierung in Beijing lokalen Behörden jetzt erlauben, unverkaufte (und zum Teil unfertige) Häuser notleidender Bauträger zu erwerben, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag mitteilte. Details wollten Chinas Wohnungsbauministerium, die Zentralbank, die nationale Finanzregulierungsbehörde und das Ministerium für natürliche Ressourcen am Freitag nachmittag auf einer Pressekonferenz bekanntgeben (nach Redaktionsschluss dieser Seite). Zugleich wurde bekannt, dass der finanziell angeschlagene Immobilienriese Country Garden seine mögliche Auflösung durch ein Gericht in Hongkong vorerst abwenden konnte.

Dem Sanierungsplan vorausgegangen ist laut South China Morning Post ein Treffen regionaler Entscheidungsträger von Staat und Kommunistischer Partei Ende April. Ziel sei es, den wachsenden ungenutzten Baubestand für die Bereitstellung bezahlbarer Wohnungen zu erschließen. Den lokalen Regierungen sei es erlaubt, angeschlagenen Immobilienfirmen Bestände unter Auflagen abzukaufen – allerdings mit deutlichen Rabatten. Staatliche Banken seien angewiesen, den lokalen Organen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.

Die Bewältigung der Immobilienkrise hat sich für die Partei- und Staatsführung als gefährlicher Balanceakt erwiesen. Chinas Aufstieg zum wichtigsten Industriestandort und zur (nach kaufkraftbereinigtem Bruttoinlandsprodukt) stärksten Wirtschaftsmacht weltweit hat im zurückliegenden Vierteljahrhundert auch zu Einkommenssteigerungen weiter Kreise der Bevölkerung und einem Bauboom geführt. So verschwand das soziale Problem des Wohnungsmangels, Wohnungen wurden aber auch zu einem begehrten Gut »am Markt«, also einer Ware. Der Boom linderte das soziale Problem deutlich, schuf aber zugleich ein neues: die Spekulation.

Viele chinesische Familien erwarben Wohneigentum nicht nur als Alterssicherung, sondern spekulierten auch auf weiter rasant steigende Preise. Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge kletterten diese zwischen 2002 und 2020 um das sechsfache. Das war der Punkt, an dem sowohl der Neuerwerb als auch die Mietnutzung kaum noch bezahlbar waren. Das (zum Teil staatlich abgemilderte) Platzen dieser Spekulationsblase erschütterte die bis dahin konkurrenzlos wachsende Wirtschaftsmacht. Die Baubranche war Anfang der 2020er Jahre verantwortlich für etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung des Landes. Die herausragende Bedeutung der Branche veranlasste Beijing schon 2020 zu drastischen Eingriffen.

Strenge Finanzierungsregeln für Immobilienentwickler wurden erlassen, um die steigende Verschuldung der Unternehmen zu stoppen und den Preisauftrieb zu beenden. Banken wurden zudem angewiesen, weniger Immobilienkredite auszugeben. Das allerdings brachte involvierte Unternehmen erst recht in Not. Bauprojekte blieben unvollendet, »Geisterstädte« ohne Mieter – obwohl weiterhin dringend Wohnraum benötigt wurde. Hinzu kam, dass Immobilienentwickler ihr Wachstum auf Fremdwährungsanleihen stützten.

Während der Country-Garden-Konzern aktuell noch einmal eine Gnadenfrist bekam, ging es Anfang 2024 Evergrand – einem der größten Player der Branche – an den Kragen. Ein Hongkonger Gericht veranlasste die Auflösung. Evergrands Schuldenberg wurde mit umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar beziffert – ein kaum ruhmreicher Weltrekord. Dagegen stand ein Unternehmenswert von etwa 20 Milliarden.

Allerdings ist die Volksrepublik anders konstruiert als etwa die USA. Wohnungen werden hier nicht nur als Ware, sondern auch als soziales Gut bewertet. Auch müssen Urteile von Gerichten der Sonderverwaltungszone Hongkong von Beijing bestätigt werden, um Wirksamkeit zu entfalten. Das schafft Spielraum, um die schlimmsten Folgen abzumildern. In diesem Kontext darf man gespannt sein, ob die oben genannten Maßnahmen dazu führen werden, Wohnraum zu sichern, den Wertverlust in Grenzen zu halten und Firmenzusammenbrüche in großem Ausmaß zu verhindern. Der IWF jedenfalls scheint in dieser Hinsicht zuversichtlich: Die in Washington ansässige Finanzorganisation erhöhte kürzlich ihre Wachstumsprognose für Chinas BIP 2024 auf 4,6 Prozent – das Wachstum wäre fast doppelt so hoch wie das der USA.

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