junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Dienstag, 14. Mai 2024, Nr. 111
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Kerneuropa gespalten

Macron fordert Debatte über Atomwaffen
Von Jörg Kronauer
imago0449045442h.jpg
Emmanuel Macron will eine neue »Atomstrategie« für Westeuropa

Geht die Debatte um nukleare Aufrüstung in der EU in die nächste Runde? Einiges deutet darauf hin. Erst erklärte Polens Präsident Andrzej Duda in der vergangenen Woche, sein Land sei bereit, US-Atomwaffen auf seinem Territorium zu stationieren. Am Freitag abend äußerte sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron, Frankreich biete an, mit der Force de frappe die atomare Abschreckung der EU zu übernehmen. Plädierte Duda implizit für einen Ausbau der militärischen Kooperation mit den USA, so ordnete Macron seinen Vorstoß in die Forderung aus seiner Rede am Donnerstag an der Sorbonne ein, es gelte den Aufbau einer »glaubwürdigen Verteidigung des europäischen Kontinents« zu forcieren – einer eigenständig operierenden, die unabhängig von den Vereinigten Staaten sei. Dazu brauche es, behauptete Macron, auch eine nukleare Komponente; denn mit Russland habe man es schließlich mit einer Atommacht zu tun.

Macrons Vorstoß hat mehrere Ebenen, und diese haben in der einen oder anderen Form alle mit der alten kerneuropäischen Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich zu tun. Eine davon: Berlin ist es gelungen, beim Aufbau eines europaweiten Flugabwehrsystems Paris komplett auszubooten. Von der kostspieligen European Sky Shield Initiative (ESSI), die Bundeskanzler Olaf Scholz im August 2022 initiierte, profitieren deutsche, israelische und US-Rüstungskonzerne, französische aber nicht. Paris, das bisher auch politisch nicht an der ESSI beteiligt ist, versucht seit einiger Zeit, sich noch im nachhinein einen Platz in ihr zu verschaffen. Macron erklärte am Freitag, zu einer wirklich umfassenden Flugabwehr müsse auch die Abwehr russischer Atomraketen gehören; ein Teil des Defensivprogramms aber müsse nukleare Abschreckung sein. Diese wiederum könne – als einzige Atommacht in der EU – nur Frankreich realisieren. Setzt Macron sich damit durch, dann erhielte Paris in der heute deutsch dominierten europäischen Flugabwehr eine starke Präsenz.

Es kommt hinzu, dass Berlin mit dem Umstand, dass es nicht über Kernwaffen verfügt, seit langem äußerst unzufrieden ist. In einer nuklearen Welt, so hört und liest man immer wieder, sei nur ein Staat, der Atombomben besitze, machtpolitisch wirklich souverän. Solange man keine habe, müsse man mit der transatlantischen nuklearen Teilhabe vorliebnehmen und sei, Stichwort Donald Trump, abhängig von den Launen der USA. Immer wieder hat die Bundesrepublik versucht, Frankreich eine Mitbestimmung über die Force de frappe oder wenigstens eine Mitfinanzierung abzuringen; man weiß ja: Wer zahlt, entscheidet. Paris lehnt den Schritt, mit dem Berlin zumindest indirekt zur Nuklearmacht aufstiege, seit je strikt ab. Gelänge es Frankreich nun, sich als die alleinige nukleare Garantiemacht der EU zu etablieren, wäre Berlin auf atomarem Feld nicht mehr nur Washington, sondern auch Paris nachgeordnet. Die Forderung nach einer deutschen Bombe ist seit Jahren immer wieder laut geworden. Sie könnte schon bald wieder zu hören sein.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Die deutsch-französische Brigade präsentiert das Gewehr (Müllhei...
    12.03.2015

    Neuer Schub für EU-Armee

    Vorstoß von Kommissionspräsident Juncker zum Aufbau einer europäischen Truppe stößt auf große Zustimmung in Berlin. SPD zu »100 Prozent« einsatzbereit

Mehr aus: Ansichten