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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Kernkraftenergie

Antiatombewegung als Ausstiegshelfer

Proteste beschleunigten Ende der Kernkraftnutzung. Endlagerung hochradioaktiven Mülls weiter offen
Von Wolfgang Pomrehn
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Republik Freies Wendland: Aufzug der uniformen Staatsmacht im Hüttendorf vor dem »Atomklo« im niedersächsischen Gorleben am 3. Mai 1980

Nach 50 Jahren Widerstand war es vor einem Jahr endlich so weit. Das letzte deutsche AKW ging vom Netz. Seit den 1970er Jahren war die Nutzung der Atomkraft in Westdeutschland wie auch in vielen anderen Ländern auf heftigen, mitunter militanten Protest gestoßen, dem oft mit brachialer staatlicher Gewalt begegnet wurde. 2001 hatte schließlich eine Bundestagsmehrheit aus Sozialdemokraten und Grünen einen schrittweisen Ausstieg beschlossen. Manchem in der seinerzeit schon betagten Antiatombewegung ging das zu langsam, und tatsächlich wurde der Beschluss neun Jahre später im Herbst 2010 von einem nun schwarz-gelb dominierten Parlament wieder kassiert. CDU-Chefin Angela Merkel hatte im vorhergehenden Wahlkampf aus ihrer Absicht keinen Hehl gemacht. Doch dann verheerte am 11. März 2011 ein Jahrhunderterdbeben mit anschließendem Tsunami drei Reaktoren im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, und in Deutschland kam es erneut zu starken Protesten gegen den Weiterbetrieb der Strahlenmeiler. Innerhalb weniger Wochen schwenkte daraufhin die Merkel-Regierung um, legte acht AKW noch im Frühjahr still und kassierte ihren Ausstieg aus dem Ausstieg. So kam es schließlich dazu, dass die bereits 2001 festgelegten Fristen im wesentlichen wieder hergestellt wurden. Eigentlich war die Stillegung der letzten Meiler für Ende 2022 vorgesehen. Doch dann wurde sie kurzfristig noch einmal um ein paar Monate hinausgezögert, nachdem die Einfuhr russischen Erdgases und russischer Kohle als Antwort auf den Ukraine-Krieg gedrosselt und schließlich eingestellt wurde. Indes war die Laufzeitverlängerung eher ein symbolischer Akt. Nennenswert mehr Strom wurde nicht erzeugt. Dafür wäre zusätzlicher Kernbrennstoff nötig gewesen, was aber mindestens ein Jahr Vorlaufzeit gebraucht hätte.

Die Auseinandersetzung um die Atomkraft hat in Westdeutschland und in einigen Nachbarländern jahrzehntelang die energiepolitische Debatte bestimmt. Im benachbarten Dänemark hatte die Umweltbewegung alle AKW-Pläne frühzeitig zu Fall bringen können. Aus dieser Bewegung heraus entstanden dort sowie in Norddeutschland die Anfänge der modernen Windenergienutzung. Derweil entzündete sich hierzulande der Protest an zahlreichen Vorhaben. Bauplätze im baden-württembergischen Wyhl, im nordrhein-westfälischen Kalkar oder im schleswig-holsteinischen Brokdorf waren die Brennpunkte.

Wäre es nach dem Willen der westdeutschen Regierungen gegangen, dann wäre die Republik heute ähnlich vom Atomstrom abhängig, wie es die Nachbarn westlich des Rheins sind. Doch Baustellenbesetzungen und Massenproteste konnten eine Reihe der geplanten AKW und vor allem eine Wiederaufbereitungsanlage verhindern, die die Voraussetzungen für den Atombombenbau geschaffen hätte. Insgesamt wurden 24 Projekte gestoppt. Zum Teil noch in der Planungsphase, wie das Vorhaben in Wyhl, zum Teil entstanden aber auch Investitionsruinen, wie die des Schnellen Brüters in Kalkar, der nie in Betrieb ging und zu einem Vergnügungspark wurde.

Zuletzt sorgten schließlich die trotz erheblicher Polizeigewalt anhaltenden Massenproteste gegen Atommülltransporte im niedersächsischen Wendland dafür, dass das im dortigen Salzstock geplante Endlager verhindert werden konnte. Wassereinbrüche im benachbarten Salzstock Morsleben, wo noch zu DDR-Zeiten ein Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle eingerichtet worden war, oder in der Schachtanlage Asse II bei Wolfenbüttel zeigen, wie ungeeignet diese wenig stabilen geologischen Formationen für eine Endlagerung sind. Hochradioaktiver Müll muss für viele Jahrhunderttausende sicher verwahrt werden, und eigentlich sogar ewig, denn das in ihm enthaltene Plutonium ist selbst nach dem Abklingen der Radioaktivität noch extrem giftig. Wo die Endlagerung letztlich geschehen kann, ist weiter offen. Das Auswahlverfahren für einen Standort wird sich noch etliche Jahre hinziehen, derweil der hochradioaktive Müll oberirdisch an 16 Standorten in nicht ausreichend gesicherten Hallen lagert.

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