Verschaukelei des Tages: Einheitswippe
Von Arnold SchölzelDer schlechte Witz begann beim Namen: »Freiheits- und Einheitsdenkmal« sollte heißen, was 1998 als »Denkmal des historischen Glücks und der Freudentränen« aufs Tapet und 2000 in den Bundestag kam, wo 2007 der Bau beschlossen wurde. Da ballerte die Bundeswehr schon sechs Jahre für Landesverteidigung am Hindukusch – Deutschland wieder im Glück. 2009 brach die Jury den ersten Wettbewerb wegen zu vielen Schrottentwürfen ab, dann holte eine begehbare Schale von 50 Meter Länge, 150 Tonnen Gewicht und 700 Quadratmetern begehbarer Fläche mit Platz für 1.400 Menschen den Sieg. Zum Krieg war inzwischen die Weltwirtschaftskrise getreten – Freudentränen überall. Nach allerhand Baustopps und Lustlosigkeit sollte die »Metapher aus Edelstahl« (RBB 24 Inforadio) 2019, 2020, 2022 usw. fertig werden. Am Dienstag meldeten Berliner Lokalmedien: Der Direktor der »Stiftung Berliner Mauer«, Axel Klausmeier, habe am Montag am Rande einer Pressekonferenz zu »35 Jahre Friedliche Revolution und Mauerfall« gemeint, die Wippe müsse neu ausgeschrieben werden. Im Februar ist nämlich die ostwestfälische Stahlbaufirma in Insolvenz gegangen, die schon 120 Tonnen gewuppt hat, aber die nicht rausrücken will.
Das ist ein Zeichen, endlich der »Zeitenwende« künstlerisch Genüge zu tun. Aus der Wippe lässt sich mit Leichtigkeit zum Beispiel unser »Super-Tool«, ein oben offener TAURUS-Marschflugkörper schmieden. Beim Runterschaukeln (wahlweise Sturzflug) könnten Doppelwummse die Glücks- und Freudentränen begleiten, etwa bei »TAURUS im Kreml« oder »TAURUS in Kaliningrad«. Statt Blücher, Scharnhorst und Gneisenau gehören Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Boris Pistorius auf Podeste Unter den Linden, wo endlich Panzerparaden stattfinden müssen. Heißt das Ganze schließlich »Kriegstüchtigkeitsdenkmal«, ist der Witz hinreichend blutig.
2 Wochen kostenlos testen
Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!
Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.
Mehr aus: Ansichten
-
Streiks müssen weh tun!
vom 27.03.2024
Wie beträchtliche Teile des Volkes nach 1989 bis heute zum Ausdruck bringen, dazu muss nur den Menschen aufs Maul geschaut werden. Daran ist nichts zu erfinden, schönzureden, es kann wohl nicht gern gehört werden. Gemessen an den großen Voraussagen ist bis heute nicht nur nicht viel Demokratie und Freiheit geblieben. Menschenrechte sind einem unvorstellbaren Menschenhass gewichen. Unzufriedenheit ist heute nicht an Banane oder anderen DDR-typischer Unzufriedenheit zu messen. Sind es keine beträchtlichen Unzufriedenen, die seit Jahren zunehmend Protest auf die Straßen tragen und das trotz der angeblich demokratischen und freiesten Wahlen? Hatte die DDR nur Millionen existentiell Unzufriedene? Wie 1989 die wenigsten Kapitalismus wollten, wollen Mehrheiten keinen DDR-Sozialismus zurück. Nicht zu leugnen aber, das Wir (!) in einer DDR haben viele in bester Erinnerung gegenüber dem gnadenlosen Ich-Ego dieser Gesellschaft. Wenn viele Helden und Revolutionäre heute mit der Entwicklung hadern, ist es zu verstehen, wie zu verstehen ist, auch hier und heute gibt es zufriedene Menschen wie in einer DDR. Friedliche Revolution hier und heute spielen zu wollen, das dürfte ungleich schwieriger werden. Noch ist Gleichgültigkeit übermächtig, das individualistische Denken und Handeln, was Mehrheiten schnell wieder ergriffen hat. Was interessiert das Unglück, Sorge, Not, Armut, Schicksal der anderen, was interessieren die Schlachtfelder der Welt, solange es ich sie nur im Wohnzimmer sehe. Was interessieren Lebensumstände in fernen und fremden Ländern, an denen wir unseren Anteil haben.
Mensch, Menschsein, menschlich denken und Handeln ist etwas, was in dieser Gesellschaft nicht vorgesehen ist und so begegnen uns auch heute mehr Leute als Menschen, Leute, die weit entfernt davon sind, das Wort »Mensch« zu erfassen, womit sich große Denker schon Jahrtausende beschäftigt haben. Es hat Generationen in Deutschland gegeben, die zumindest einen Blick in eine andere Zukunft gewagt haben, das Gespür empfunden, erahnt haben, was Menschwerdung heißt, eine Zufriedenheit, die viele bleibend in sich tragen.