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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 2 / Inland
Zivilklauseln an Hochschulen

»Jede Wissenschaft kann Frieden schaffen«

Hessen: Friedensaktivisten diskutieren an der Goethe-Universität Militarisierung der Wissenschaften. Ein Gespräch mit Ari Alba Marquez
Interview: Milan Nowak
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Demonstration gegen die Militarisierung der Lehre am 11. Juli 2019 in Düsseldorf

An diesem Sonnabend beginnt an der Goethe-Universität Frankfurt am Main der zweitägige Zivilklauselkongress. Worum handelt es sich bei diesen Klauseln?

Sie sind Selbstverpflichtungen von Hochschulen, nicht für militärische Zwecke zu forschen – in Präambeln, Grundordnungen und Leitbildern verankert, durch Ethikkommissionen und Gremien überwacht. Hochschulen bekunden damit den Willen, zum Frieden beizutragen.

Und wie werden die Zivilklauseln in Frage gestellt?

Nach der »Zeitenwende« im Zuge der Eskalation im Ukraine-Krieg 2022 veröffentlichte der Thinktank Acatech ein Strategiepapier, das Politik und Wissenschaft empfahl, für die Landessicherheit die Zivilklauseln zu tilgen. An einigen Hochschulen wird offen diskutiert, sie abzuschaffen. In Hessen fordert der Koalitionsvertrag von CDU und SPD, Hochschulleitungen zu unterstützen, bestehende Zivilklauseln zu überprüfen. Die Abschnitte davor und danach zu wissenschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und Rüstungskooperation zeigen, dass es in Wahrheit um die Streichung geht. In Bayern fordert Markus Söder ein Kooperationsgebot für Unis mit der Bundeswehr. Jüngst beantragte die AfD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, die seit Jahren bestehenden und von unten erkämpften Zivilklauseln zu streichen. Flankiert wird das von Robert Habeck, der deutsche Forschung an den USA und Israel orientieren möchte, wo Wissenschaft viel mehr mit dem militärisch-industriellen Komplex verschränkt ist.

Auf dem Kongress sprechen Sie auch über Antifaschismus. Wie hängt das mit der Zivilklausel zusammen?

Sie ist eine Lehre aus 1945. Die Alliierten wollten Kriegsforschung in Deutschland verhindern. Sie verankerten eine strenge Trennung von Grundlagen- und Anwendungsforschung. 1971 wurde in Bremen – nach Protesten gegen die Militarisierung der Raumfahrtforschung – die erste Zivilklausel Deutschlands eingeführt. Auch in der Friedensbewegung der 1980er Jahre, bei den Protesten gegen den Golfkrieg 1991 und den Studentenprotesten 2007 wurden immer mehr Zivilklauseln eingeführt. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 70. Sie stehen für friedensbewegte Wissenschaft in sozialer Verantwortung. Das ist wissenschaftlicher Antifaschismus!

Und was ist Ihr Gegenentwurf zur Rüstungsforschung?

Die Zivilklausel ist nicht nur eine Restriktion gegen Militärforschung, sondern eine Friedensklausel. Sie bringt die Friedensfrage an die Unis, fördert interdisziplinäre Forschung – denn jede Wissenschaft kann Frieden schaffen –, und sie steht für internationale Zusammenarbeit, auch mit Russland. Kooperationen dürfen nicht abgebrochen, sondern müssen aufrechterhalten werden. Als Teil der Völkerverständigung helfen sie Konfliktparteien, sich respektvoll zu begegnen, und tragen zur Friedensbildung bei. Das ist auch im Krieg in Israel/Palästina sehr wichtig. Die Zivilklausel steht für eine Wissenschaft, die im Interesse der Allgemeinheit zur globalen Krisenbewältigung beiträgt.

Wie stellen Sie sich der Militarisierung der Wissenschaft entgegen?

Wir streiten für den Erhalt und Ausbau von Zivilklauseln, genau mit dieser positiven Bestimmung. Wir bringen friedensbewegte Wissenschaft voran und organisieren Ringvorlesungen wie in Kassel oder bald auch in Frankfurt am Main. Wir sprechen über ein breiteres Verständnis von Wissenschaftsfreiheit, gegen ihre Einschränkung durch Unterfinanzierung und Drittmittelförderung. Wir streben auch mehr internationale Wissenschaftskooperationen, mehr Diplomatie von unten an.

Welche Formen der Unterstützung wünschen Sie sich?

Man kann unseren offenen Brief für die Zivilklausel verbreiten. Und wir freuen uns über rege Teilnahme am Kongress am Wochenende, wo wir mit Wissenschaftlern, Studenten, Gewerkschaftern und Friedensbewegten sprechen. Es ist zudem wichtig, an den eigenen Hochschulen für den Frieden zu streiten. Unter www.zivilklausel.de findet man lokale Initiativen. Gemeinsam können wir für die Befreiung der Wissenschaften im Sinne einer friedlichen Welt kämpfen.

Ari Alba Marquez ist aktiv in der bundesweiten Zivilklauselinitiative

Anmeldung: zivilklausel-kongress.dfg-vk.de

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