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Aus: Ausgabe vom 01.02.2024, Seite 12 / Thema
Südostasien

Im Kreuzfeuer

Myanmars Militärjunta kämpft an mehreren Fronten gegen verschiedene Rebellengruppen und gerät dabei immer stärker in Bedrängnis
Von Thomas Berger
In der Offensive. Milizionäre der Myanmar National Democratic Alliance Army im an China grenzenden Shan-Staat, November 2023

Eine Weile schien es, als habe das jahrzehntelang herrschende Militär in Myanmar ernsthaft eine Transformation zu zivilen und demokratischen Formen des politischen Systems zulassen wollen. Doch vor drei Jahren, am 1. Februar 2020, beendeten die Generäle den Übergang und putschten sich wieder an die Macht. In den folgenden Wochen stand der zwischen Indien wie Bangladesch im Westen und Thailand wie China im Osten gelegene Vielvölkerstaat mit seinen allein laut Verfassung anerkannten 135 ethnischen Minderheiten vorübergehend im Fokus der Weltöffentlichkeit. Zu Zehntausenden gingen Menschen in Yangon und Mandalay wie auch in kleineren Provinzstädten auf die Straße und protestierten gegen die neualten Machthaber. Das Militärregime ließ umgehend auf die Demonstranten schießen.

Doch anstatt auf diesem Wege den Widerstand gegen den Putsch im Keim zu ersticken, haben sich die Massenproteste zu einem veritablen Bürgerkrieg entwickelt. Dabei kämpfen einerseits Milizen ethnischer Minderheiten, die die Herrschaft der Militärs nie anerkannt haben, andererseits die »Volksverteidigungskräfte« (PDF) der im Exil ansässigen Parallelregierung »National Unity Government« (NUG). Als einigermaßen gesichert gilt: Das Regime von Min Aung Hlaing ist angeschlagen und steht stärker unter Druck als je zuvor in den vergangenen drei Jahren. Ein Sturz der Generäle in nächster Zeit steht zwar nicht bevor, aber die Entwicklung in den vergangenen Wochen hat selbst höchste Kreise in Unruhe versetzt. Die Hauptstadt Naypyidaw – als Planstadt etwa in der Landesmitte gelegen und während der Diktatur der vorherigen Machthaber um Senior General Than Shwe 2005 errichtet – ist quasi zur Festung geworden. Dort liegen das militärische Hauptquartier und die Villen der Generalfamilien. Inzwischen sind einzelne Rebelleneinheiten bis auf 100 Kilometer Luftlinie an die neue Hauptstadt herangerückt. Manchen Schätzungen zufolge kontrolliert das Militär nicht einmal mehr ein Viertel des Territoriums, während die Koordination zwischen PDF und den Milizen der ethnischen Minderheiten immer enger zu werden scheint.

Massenrepressionen

Derweil lässt die Repression der Militärjunta unter General Min Aung Hlaing nicht nach. Erst jüngst wurde die preisgekrönte Filmemacherin Shin Daewe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Los teilt sie mit Tausenden anderen, die eine regimetreue Justiz zum Teil für Jahrzehnte weggesperrt hat. Insgesamt sind seit dem Putsch 25.904 Personen festgenommen worden, von denen 19.973 weiter hinter Gittern sitzen. Etliche der Insassen haben die Zustände in den Knästen nicht überlebt. Allein im Jahr 2023, teilten das Myanmar Political Prisoners Network und die derzeit aus dem thailändischen Exil agierende Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) mit, sollen mindestens 34 politische Häftlinge gestorben sein – darunter rund die Hälfte, weil ihnen eine notwendige medizinische Versorgung verweigert wurde.

Im Juli 2022 ließ die Militärjunta vier politische Gefangene unter dem Vorwurf des Terrorismus hinrichten – es waren die ersten Exekutionen seit fast dreieinhalb Jahrzehnten. Unter den Getöteten befanden sich Kyaw Min Yu alias Ko Jimmy, ein Veteran der Demokratiebewegung, und Phyo Zeya Thaw, bekannter Rapper und vormaliger Abgeordneter der bis zum Putsch regierenden Nationalen Liga für Demokratie (NLD). Die frühere NLD-Vorsitzende und faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die ebenso wie Expräsident Win Myint 2021 umgehend von den Putschisten festgesetzt wurde, ist in mehreren Prozessen inzwischen zu einer Gesamthaftstrafe von mehr als 30 Jahren verurteilt worden. Wie es der gesundheitlich angeschlagenen Friedensnobelpreisträgerin von 1991 aktuell geht, ist nicht bekannt. Im Juni 2022 war sie nach anfänglichem Hausarrest in eine Gefängniszelle verlegt worden. Jüngst wurde gemeldet, dass am 20. März die Villa in Yangon, die nach der Unabhängigkeit ihrer 1988 gestorbenen Mutter (der Witwe von Nationalheld Aung San) überschrieben worden war und in der Suu Kyi die 15 Jahre ihres Hausarrestes unter der früheren Diktatur verbracht hat, versteigert werden soll. Mindestgebot: umgerechnet 82 Millionen Euro.

Die AAPP, die regelmäßig Statistiken veröffentlicht, spricht von insgesamt 4.468 Todesopfern, die unmittelbar auf das Konto der Junta gehen. Dabei handelt es sich aber nur um eindeutig überprüfbare Angaben – in Wahrheit könnten es noch etliche mehr sein. Denn seit der immer weiteren Ausbreitung des faktischen Bürgerkrieges ist es nochmal schwieriger geworden, verlässliche und verifizierbare Meldungen aus allen Ecken des Landes zu sammeln.

Rebellenoffensive

Im Kampfgeschehen zwischen Militärs und Rebellen ist mittlerweile erkennbar eine Wende eingetreten. Sie geht zurück auf die »Operation 1027«, die, wie der Name andeutet, am 27. Oktober des vergangenen Jahres von der sogenannten Brotherhood Alliance gestartet wurde. Zu diesem Dreierbündnis hatten sich schon Mitte 2019 die aus der Volksgruppe der Kokang hervorgegangene Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA), die Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und die Arakan Army (AA) zusammengeschlossen. Die älteste dieser drei Rebellengruppen ist die MNDAA, die schon seit 1989 existiert und sich einst mit der Zentralmacht auf ein Abkommen verständigt hatte, das rund zwei Jahrzehnte hielt. Nur unwesentlich jünger ist die 1992 gegründete TNLA, die sich aus der Volksgruppe der Palaung rekrutiert, während sich die AA seit ihrer Gründung 2009 mittlerweile zu einer der stärksten Rebellenarmeen der ethnischen Minderheiten entwickelt hat. Sie ist nicht nur in ihrer Heimatregion, dem westlichen Teilstaat Rakhaing, aktiv, sondern unterstützt auch ihre beiden Allianzpartner mit nicht unerheblichen Kräften im an China grenzenden Shan-Staat. Dort hatten alle drei Ende Oktober mit ihrer Offensive begonnen, nahmen mehrere Hundert Militärstützpunkte ein und brachten wichtige Handelsrouten in die Volksrepublik unter ihre Kontrolle. Zeitverzögert griffen auch die AA-Haupttruppen in Rakhaing an, wo es zuvor ein eher informelles Stillhalteabkommen zwischen Rebellenführung und Junta gegeben hatte.

Auch im an Indien grenzenden Chin-Staat wird an etlichen Orten gekämpft, dort hat insbesondere die Chin National Army (CNA) als einer der lokalen Hauptakteure markante Geländegewinne gegen die Junta-Truppen erzielt. Diese 1998 gegründete Gruppierung, als bewaffneter Arm der Chin National Front (CNF) agierend, galt schon mal als »gebändigt« und war 2015 dem früheren nationalen Waffenstillstandsabkommen beigetreten. Unmittelbar nach dem Putsch war die CNF aber eine der ersten Kräfte, die sich daran nicht mehr gebunden fühlte und ein Bündnis mit der im April 2021 gebildeten Gegenregierung der Nationalen Einheit (NUG) einging. Am 11. und 12. Januar hatte die Luftwaffe der Junta zwei Bombardements auf das CNF-Hauptquartier Camp Victoria unweit der indischen Grenze geflogen.

Die Kachin Independence Army (KIA) kämpft ebenfalls auf seiten der Gegner des Militärregimes in einem Krieg, der an immer mehr Fronten stattfindet. Der KIA gelang es am 3. Januar, just einen Tag vor den Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstags, einen Armeehelikopter abzuschießen. Der aus russischer Produktion stammende Mil-Mi-17 sei im nördlichen Kachin-Staat an der Grenze zu China niedergegangen. Am 16. Januar, wurde der Abschuss eines Jets gemeldet. Für die KIA, deren Stellungen rund um ihr Hauptquartier immer wieder Ziel von Luftangriffen der Junta sind, waren diese Abschüsse ein nicht zu unterschätzender Erfolg. Die Rebellen der Karenni National Progressive Party (KNPP) im an Thailand grenzenden Kayah-Staat, die am 11. November nach dem Vorbild der Brotherhood Alliance ihre eigene »Operation 1111« gestartet hatten, vermeldeten wiederum schon direkt zu Beginn der Militäraktionen den Abschuss eines Kampfjets und eine Woche darauf die Festnahme eines der beiden Piloten, der sich per Schleudersitz gerettet hatte.

Geschwächte Streitkräfte

Die oberste Führungsriege der Junta reagiert zusehends dünnhäutiger auf das stetige Vorrücken ihrer Gegner. Selbst ranghohe Militärs der zweiten Reihe müssen nunmehr um ihre Posten bangen. Mitte Januar traf es Generalmajor Hla Moe, den Chef des Eastern Command, der auf einen Reserveposten versetzt wurde. Sein Nachfolger, Generalmajor Zaw Min Latt, war zuvor Kommandant der renommierten Defense Services Academy (DSA) in Pyin Oo Lwin, einer Kleinstadt rund 70 Kilometer östlich von Mandalay. Dort werden bereits seit sieben Jahrzehnten Kadetten als künftige Führungskräfte ausgebildet. Dass sogar hochrangige Offiziere aus solchen Stellungen, die über keine explizite Kampferfahrung verfügen, nun als Kommandeure an die Front beordert werden, zeigt einerseits wachsende personelle Mängel, ist aber andererseits auch intern umstritten. Schließlich sind es gerade Einheiten der Armee unter solcher Führung, die sich bei einer anrückenden Rebellenmacht teils kampflos ergeben.

Dieses Verhalten schlägt auf Min Aung Hlaing zurück. Ein regelrechter Tabubruch war es zuletzt, als Maung Maung, in den sogenannten sozialen Medien einer der lautesten Propagandisten mit großer Gefolgschaft, tatsächlich die Frage aufzuwerfen wagte, ob der oberste Machthaber für diesen Posten noch fit sei. Inzwischen, so das Newsportal The Irrawaddy, gebe es mehrere regimetreue Betreiber von Onlinekanälen, die offen über einen etwaigen Führungswechsel diskutieren.

Laut unterschiedlichen Berichten soll das Regime seit Beginn der Offensive mehr als 2.400 Angehörige seiner Streitkräfte verloren haben, darunter 400 Offiziere, eingeschlossen sechs Brigadegeneräle. Indiens Armeechef General Manoj Pande gab Mitte Januar öffentlich bekannt, dass allein im November und Dezember 418 myanmarische Soldaten und Offiziere, deren Stellungen von Rebelleneinheiten (AA und CNF) überrannt wurden und die über die Grenze in die indischen Unionsstaaten Manipur und Mizoram geflüchtet waren, von den indischen Behörden umgehend per Lufttransport ins Heimatland zurückgebracht worden seien. In den ersten zwei Januarwochen habe man 157 Soldaten nach Sittwe, Regionalhauptstadt des Rakhaing-Staates, ausgeflogen. Von den sechs Brigadegeneralen, die sich ergeben hatten, wurden dieser Tage drei von Militärgerichten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Gegen die übrigen drei, darunter die vormaligen Militärchefs der gefallenen Garnison Laukkai und der Selbstverwaltungszone Kokang sowie der Befehlshaber der dort eingesetzten 55. Division, wurden sogar Todesurteile ausgesprochen. Wann die Hinrichtungen vollstreckt werden sollen, ist unklar.

Millionen Binnenvertriebene

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hatte kurz nach dem Jahreswechsel abermals seine amtliche Statistik zu Myanmar aktualisiert und listet inzwischen 2,59 Millionen Menschen als Binnenvertriebene auf. Mehrere hunderttausend, vor allem Frauen und Kinder, hatten im Vorjahr wegen der erheblich intensivierten Kämpfe ihre Heimatorte fluchtartig verlassen müssen. Damit vergrößerte sie die Zahl derer, die schon seit zehn Jahren und länger in Flüchtlingslagern, wie zum Beispiel im Kachin-Staat, unter schwierigsten Bedingungen hausen und wo eine neue Generation Kinder heranwächst, die noch nie etwas anderes als den Lageralltag kennengelernt hat. Weit an der Spitze bei den Entwurzelten liegt demnach mit allein 1,08 Millionen, das sind über 40 Prozent der dortigen Bevölkerung, die zentrale Sagaing-Region. Inzwischen sind dort weite Landstriche faktisch unter Kontrolle der PDF und lokaler Milizen, doch gibt es immer wieder Kämpfe und Überfälle von Regierungstruppen auf Dörfer, die vom Widerstand gehalten werden. Auch der Rakhaing-Staat und die Magwe-Region weisen gemäß UN-Angaben mit 326.000 beziehungsweise 231.000 Binnenvertriebenen erhebliche Zahlen auf.

140.000 Geflüchtete in der zentralen Region Bago künden davon, dass Rebellenverbände nun auch in diesem zuvor noch ruhigen Gebiet vorrücken und die lokale Bevölkerung, wenn ihre Orte umkämpft sind, anderswo Sicherheit sucht. Die Visualisierung solcher Daten in Karten zeigt deutlich, dass es mittlerweile nahezu an allen Ecken und Enden des Landes brennt. Selbst in der Wirtschaftsmetropole Yangon ist man nicht sicher vor Gewaltexzessen. Handlanger der Junta fahnden in der größten Stadt des Landes weiter nach Oppositionellen, während auch der Widerstand gegen die Junta zu gezielten Mordanschlägen gegen Regimekräfte führt. Dass Zivilisten mehr und mehr unter dem Zusammenbruch jeglicher politischer Ordnung zu leiden haben, zeigen Vorwürfe in Richtung von PDF, verbündeten Milizen und ethnischen Rebellengruppen. Im Visier steht dabei insbesondere die MNDAA, die die aktuelle Offensive anführt. Ihre militärischen Erfolge seien zum Teil mit Kriegsverbrechen erkauft, heißt es. Die MNDAA müsse insbesondere die Praxis der Zwangsrekrutierungen stoppen, forderte kurz vor Weihnachten Elaine Pearson, die Asienverantwortliche der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Mehrere Rebellenarmeen stehen zudem schon länger unter Verdacht, auch Minderjährige in ihren Einheiten zu haben.

Die Militarisierung des Landes schreitet stetig voran. Während sich unzählige Berufstätige und Studenten in den vergangenen drei Jahren den Rebellen anschlossen und zur Waffe griffen, bildet auch das Regime weitere Kräfte aus. Radikale Mönche haben Anfang Januar verkündet, wenn es notwendig werden sollte, werden sie der Militärjunta sogar mit Waffengewalt beistehen. Dies meldete das Nachrichtenportal Myanmar Now unter Verweis auf eine Erklärung der Union of Patriotic Monks.

Das kommt nicht überraschend. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ein größerer Teil des Hunderttausende Mitglieder zählenden buddhistischen Klerus, vor allem in der institutionellen Führung, mit den Putschisten offen sympathisiert, die Bühne teilt, Truppenteile segnet etc. Einzelne besonders extremistische Mönche unterhalten sogar eigene Milizen. Während Min Aung Hlaing vor einem Jahr den berüchtigten Ashin Wirathu, der wegen seiner gegen Minderheiten gerichteten Hasstiraden zu demokratischen Zeiten sogar im Gefängnis saß, mit einer der höchsten Auszeichnungen bedachte, gibt es etliche weitere, die ihre rote Robe notfalls gegen ein Khaki-Outfit tauschen würden. Umgekehrt gibt es aber auch jede Menge buddhistische Mönche, die ebenso wie christliche und muslimische Würdenträger inhaftiert wurden. Und Regierungstruppen lassen keine Gnade walten, wenn ein Kloster und seine Bewohner unter Verdacht stehen, mit dem Widerstand zu kooperieren. Unzählige Mönche sind unter den Tausenden von Toten.

Außenpolitisch nicht isoliert

Der Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN) hatte sich in den drei Jahren, die seit dem Putsch vergangen sind, nicht auf eine gemeinsame Einschätzung verständigen können, wie mit der politischen Entwicklung des Mitgliedsstaates Myanmar umzugehen sei. Unklar ist zum Beispiel, wie sich Indonesien nach dem Regierungswechsel infolge der Wahlen in zwei Wochen positionieren wird – bisher gehörte Jakarta neben Singapur innerhalb des Zehnerbunds jedenfalls zu den schärfsten Kritikern des Regimes, wie Nochpräsident Joko Widodo und seine Außenministerin Retno Marsudi wiederholt unter Beweis stellten. Minimalkonsens war bisher in der ASEAN, ranghohe Vertreter der Junta von den regionalen Gipfeltreffen auszuschließen. Dass es dennoch ganz »normale« Kontakte jenseits solcher Abgrenzungen gibt, hat sich gerade erst Mitte Januar gezeigt, als sich General Songwit Noonpakdee, seit Oktober neuer Oberkommandierender der thailändischen Streitkräfte, mit Min Aung Hlaing bei einem Onlinemeeting über diverse Themen austauschte. Mit dabei waren auch Thailands Luftwaffenchef Chakorn Tawanjang sowie Ye Win Oo vom myanmarischen Generalstab. Während der frühere thailändische Premier Prayuth Chan-ocha, selbst Exarmeechef und 2014 durch einen Putsch an die Macht gelangt, ein recht gutes Verhältnis zur Junta im Nachbarland pflegte, dürfte Bangkok unter dem heutigen Regierungschef Srettha Thavisin von der liberalen Partei Pheu Thai (PT) offiziell etwas deutlicher auf Distanz achten.

Als Nachbar will man aber zumindest Ruhe an den Grenzen – das gilt insbesondere für China, traditionell wichtigste Schutzmacht Myanmars. Beijing, das auch enge Beziehungen zur MNDAA und zu anderen ethnischen Rebellengruppen unterhält, steckt aber in einer Zwickmühle. Dass die am 13. Januar unter chinesischer Vermittlung ausgehandelte Waffenruhe zwischen der Brotherhood Alliance und der Junta gleich in den Folgetagen von letzterer durch neue Angriffe gebrochen wurde, kann als Niederlage Chinas gewertet werden, seinerseits mäßigend auf die im Nachbarland immer weiter eskalierende Lage einzuwirken. Derweil scheint Russland auf verhaltene militärische Kooperation mit dem Regime zu setzen. Anfang November 2023 legten drei russische Zerstörer im Hafen von Yangon an, um mit Myanmars Marine ein erstes bilaterales Manöver durchzuführen.

Jüngste Erfolge der vereinten Regimegegner: Am 25. Januar fiel Pauktaw, eine etwa 20.000 Einwohner zählende Kleinstadt im Rakhaing-Staat, endgültig an die Arakan Army. Mitte November hatte die AA dort mit den Angriffen begonnen, wegen der Nähe zur Regionalhauptstadt Sittwe hatte die Junta aber bis zum Schluss erbittert gekämpft. Nun sei Pauktaw frei von Regimetruppen, heißt es. Am selben Tag erklärte die Grenzschutzeinheit im Kayin-Staat (BGF), dass sie ihre Verbindungen zum Regime kappe und fortan neutral sei. Die Einheit besteht aus früheren Aufständischen der Democratic Karen Buddhist Army (DKBA), die als »befriedet« galten. Auch dieser Verlust eines ethnischen Bündnispartners trifft Min Aung Hlaing schwer – nicht einmal seinem Vizegeneral Soe Win gelang es, die BGF-Führung bei einem Treffen umzustimmen. Überdies erklärte am Freitag die Pa-O National Liberation Organisation (PNLO) im Shan-Staat, dass sie die 2015 aufgenommenen Friedensgespräche, die auch nach dem Putsch weitergingen, abbrechen und in den Kampf gegen die Junta eintreten werde.

Thomas Berger schrieb an dieser Stelle zuletzt am 24. Juli 2023 über den jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Sri Lanka.

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