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21.09.2021 12:44 Uhr

Der Kräfteverschieber

Essay: »Arbeitgeber«-Chef Dieter Hundt wurde gestern aus seinem Amt verabschiedet. Seine Leistung ist der Machtzuwachs des Kapitals und die verschärfte Ausplünderung der Beschäftigten
Von Bernd Riexinger
Von sozialpartnerschaftlicher Gestik anderthalb Jahrzehnte eingelullt: Die DGB-Gewerkschaften brauchten lange Zeit, um den neoliberalen Umbau der BRD zuungunsten der Beschäftigten zu verstehen (BDA-Präsident Dieter Hundt mit DGB-Chef Michael Som
Der BDI-Chef Hans-Olaf Henkel spielte während seiner Amtszeit die Rolle des Bösewichts, während sein scheinbarer Rivale, BDA-Präsident Hundt, den moderaten Sozialpartner mimte (Berlin, 27.11.2009)
• Heute konferiert in Berlin der sogenannte Deutsche Arbeitgebertag. Erstmals nach 17 Jahren wird die Jahrestagung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) nicht vom Industriellen Dieter Hundt mit eröffnet. Der bisherige Präsident der wichtigsten Kapitalvertretung stand, wie angekündigt, gestern nicht erneut für das Amt zur Verfügung. Bernd Riexinger, ­Vorsitzender der Partei Die Linke, rekapituliert Hundts Jahre des Klassenkampfs von oben aus gewerkschaftlicher Sicht.




Kurz vor Schluß durften die alten Kämpen noch mal ran: Die Stuttgarter Zeitung bot am 26. Oktober dem zu dem Zeitpunkt Noch-BDA-Chef Dieter Hundt und fünf Tage später seinem Widersacher Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die Bühne für einen letzten Schlagabtausch.

Dieter Hundt legte vor und teilte aus. Bei seiner Wahl zum Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) im Jahr 1996, hätte er eine gespaltene Unternehmerschaft vorgefunden, die zu großen Teilen die Gewerkschaften und die Tarifautonomie abgelehnt hätte. Maßgeblich verantwortlich sei dafür der damalige Chefindustrielle Henkel gewesen. Gegen dessen Widerstand habe Hundt seitdem – so der Präsident über sich – die »Sozialpartnerschaft wieder zu einer wichtigen und funktionierenden Säule unsere Marktwirtschaft« gemacht. Henkel nimmt die Vorlage dankbar auf und keilt zurück: Hundt habe sich schon als Chef der baden-württembergischen Metallarbeitgeber Anfang der 1990er Jahre an der Wirtschaft vergangen, indem er mit der IG Metall hohe Tarifabschlüsse vereinbart habe. Besonders schädlich sei die Arbeitszeitverkürzung gewesen. Bis 1995 wurde diese in der Metall- und Elektroindustrie schrittweise auf 35 Stunden verkürzt. »Zehntausende von Arbeitsplätzen« seien vernichtet worden, schäumt Henkel. Nur seinem und dem Widerstand vieler Mittelständler, die sich die Abschlüsse von Hundts »Tarifkartell« nicht haben leisten können, sei es zu verdanken gewesen, daß in der Folgezeit Korrekturen zur Flexibilisierung der »starren Tarifverträge« vorgenommen wurden. Gelernt habe Hundt aus seinen Fehlern jedoch nicht. So seien mit dessen Zustimmung diverse Branchenmindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt worden. Damit hätte Hundt dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, wie er jetzt vor der Tür steht, erst den Weg geebnet. Und das sei ja »der bisher größte Angriff auf die Tarifautonomie«, so BDI-Chef Henkel.

Für den »Standort Deutschland«

Auf den ersten Blick ist klar, wer von den beiden der bösere Bube ist. Henkel, der Gewerkschaftsfresser. Flächentarifverträge, gar gesetzlich verallgemeinert, seien marktwidrige Eingriffe in das Spiel von Angebot und Nachfrage, die Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten nach sich ziehen. Die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie, so Henkel, sei gewahrt, wenn sich »Arbeitnehmer und Arbeitgeber« im Betrieb auf Entgelte und Arbeitsbedingungen einigten.

Vor einem solchen »Häuserkampf« hatte Hundt frühzeitig gewarnt. Deswegen erscheint er vielen als fairer Gegenspieler, der zwar die Interessen der Kapitalseite vertritt, aber zugleich das Existenzrecht von Gewerkschaften anerkennt und mit ihnen Vereinbarungen im beiderseitigen Interesse trifft. So würdigte DGB-Chef Michael Sommer etwa Hundts »kluge Argumentation«, nach der die Preisgabe des Vorrangs von Tarifverträgen vor Betriebsvereinbarungen auch nicht im Sinne der Unternehmen wäre, da diese dann jederzeit mit Streiks ihrer Belegschaften rechnen müßten. Der spätere Arbeitsminister Walter Riester, der als Gewerkschaftssekretär seinerzeit mit Hundt über die 35-Stunden-Woche verhandelt hatte, würdigt dessen Aufrichtigkeit: Hundt habe immer zu dem gestanden, was er vereinbart hatte. Ein Mann, ein Wort! – sozusagen.

Schaut man sich die Bilanz der beiden Wirtschaftsführer an, entsteht ein anderes Bild. Dann ist Henkel der Maulheld, der verbal die große Keule schwingt, jedoch dadurch den geschlossenen Widerstand der Gewerkschaften provoziert und unterm Strich nicht viel bewegt hat. Hundt hingegen setzt zwar auf deutlich moderatere Töne, kann auf der Habenseite aber deutlich mehr verbuchen.

Sein größter »Erfolg« – wohlgemerkt als Interessenvertreter der Kapitalseite – dürfte sein, prominent daran mitgewirkt zu haben, den Korporatismus der Bonner Republik neoliberal abgelöst und das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten des Kapitals verschoben zu haben.

Während Henkel die Brechstange herausholte, setzt Hundt auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes im Einvernehmen mit Politik und Gewerkschaften. Dazu mußten diese und die SPD zunächst einmal davon überzeugt werden, daß »Lohnzurückhaltung«, weniger Rente und Arbeitslosengeld, Abbau der Beschäftigtenrechte und vieles andere im gemeinsamen wohlverstandenen Interesse lagen. Dazu wurde die »Globalisierung« zum Sachzwang erhoben, Deutschland zum »kranken Mann Europas« erklärt und Gewerkschafter wie Sozialdemokraten in Betonköpfe und Modernisierer sortiert. Die Wurzeln dieser Strategie gehen weit in die 1970er Jahre zurück, Ende der 1990er Jahre trug sie Früchte. Der »Standort Deutschland« wurde zum neuen Fixstern, ihn zu hegen, galt fortan als gemeinsames Interesse von Staat, Arbeit und Kapital. Eine neue »Sozialpartnerschaft« wurde ausgerufen, und Dieter Hundt war ganz vorne dabei.

Nun könnte man meinen, Hundt habe lediglich alten Wein in neue Schläuche gefüllt. Schließlich gehörte die auf Konsens orientierte Aushandlung zwischen den Interessenvertretern von Kapital und Arbeit sowie dem Staat bereits zum Markenzeichen der alten Bonner Republik. Tatsächlich aber haben Wirtschaftslobbyisten wie Hundt neuen Wein in alten Schläuchen angeboten. Und das mit einigem Erfolg.

Solange die DGB-Gewerkschaften über ausreichend Stärke verfügten, konnten sie in einer Mischung aus Streikdrohung, Streik und Verhandlung wichtige Interessen durchsetzen: Lohnsteigerungen über das verteilungspolitisch neutrale Maß hinaus und deutliche Arbeitszeitverkürzungen. Mit dem Ende der Systemkonkurrenz, einer zunehmenden internationalen Flexibilität des Kapitals, ausufernder Erwerbslosigkeit und der Hinwendung der Sozialdemokratie zum Marktliberalismus ließen die Kräfte der Gewerkschaften nach. Damit geriet auch der korporatistische Interessenausgleich aus der Balance. Immer häufiger führte die Suche nach einem Konsens mit den Kapitalvertretern und der Politik nicht zum Erfolg. Dennoch benötigten die Gewerkschaften fast anderthalb Jahrzehnte, sich auf die neue Situation einzustellen. In der Zwischenzeit ließen sie sich von Kapital und Politik nicht wenige Male über den Tisch ziehen, getrieben von der Illusion, das Festhalten am Verhandlungsmodus würde ihnen wie in alten Zeiten weiterhin zum Erfolg verhelfen.

Illusion Sozialpartnerschaft

Hundt und seinesgleichen haben an dieser Illusion kräftig mitgebaut – und davon profitiert. Ihr Lob der »Sozialpartnerschaft« hat suggeriert, man befände sich noch immer auf dem Boden einer offenen und fairen Aushandlung von Kompromissen im beiderseitigen Interesse. Tatsächlich hat man den Gewerkschaften ein vergiftetes Angebot nach dem anderen unterbreitet: Den »Standort Deutschland« wolle man im beiderseitigen Interesse aufhübschen, wozu eine »Flexibilisierung« des Arbeitsrechts notwendig sei; das »Bündnis für Arbeit« sollte mittels »Lohnzurückhaltung« Arbeitsplätze sichern; Arbeitsplätze mit niedriger Produktivität sollten durch eine Absenkung der »Lohnnebenkosten« gefördert werden; mit »Steuererleichterungen« für Unternehmen und Großverdiener sollten Investitionen angekurbelt werden. Kurz: Mit der »neuen Sozialpartnerschaft« wurden den Gewerkschaften die Interessen des Kapitals als gemeinsame Interessen verkauft. Und das recht erfolgreich: Große Teile der Beschäftigten mußten Reallohnverluste hinnehmen, Belegschaften wurden in Kerne und Entbehrliche gespalten, die Renten-, Arbeitslosen- und Gesundheitsversicherung wurden nachhaltig geschwächt etc. – ein verlorenes Jahrzehnt für die Beschäftigten.

Das alles wäre wiederum nicht ohne das ideologische Gewitter von Henkel und Konsorten möglich gewesen. Erst vor dem Hintergrund der aggressiven Angriffe des BDI-Chefs konnte sich Hundt als besonnener, die Gegenseite anerkennender Verhandlungspartner inszenieren und das Bild von den gemeinsamen Interessen zeichnen, als diese schon weitgehend erodiert waren.

Verhandlungsergebnisse und Kompromisse erfordern immer Gegenmacht und eigene Stärke. Verschiebt sich das Verhältnis zuungunsten der Gewerkschaften, wie dies seit 1990 der Fall war, wird aus einer Win-Win- eine Win-Lose-Situation. Hundt hat die Kräfteverschiebung klug auszunutzen gewußt.

Und warum sollte er die bisher so erfolgreiche Strategie ändern? Solange man Politik und Öffentlichkeit in dem Glauben halten kann, die eigenen Interessen seien identisch mit denen der Allgemeinheit, so lange wird das Lied gespielt. Dafür reicht die beständige Wiederholung einfacher Wahrheiten, vorgetragen aus verschiedenen Richtungen. »Viele Stimmen für eine Botschaft« heißt das Prinzip bei der neoliberalen »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«. Finanziert wird die Lobbyistentruppe von Gesamtmetall, Hundts früherem Arbeitgeber, dem Interessenverband der Metall- und Elektro­industrie.

Aktuell wird für das geplante Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA getrommelt, das in den Worten des nun Expräsidenten des BDA »zum Vorteil der deutschen Wirtschaft, zum Vorteil unserer Beschäftigung und damit unseres Wohlstandes« ist. Was schert es da, daß der »freie Handel« Löhne und Sozialstandards unter Druck setzt? Nichts natürlich. Das gleiche Muster findet sich bei allem, was dem zuwider läuft: Aus eigenen Interessen werden solche der Allgemeinheit. Beispiel Mindestlohn: »Gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn wehre ich mich im Interesse unserer Wirtschaft und unserer Beschäftigungssituation, nicht im Interesse unseres Verbandes«, so Hundt kürzlich im Interview mit der Südwest-Presse. Noch einfacher geht es, wenn der gesellschaftliche Widerstand nicht groß und/oder die Betroffenen nicht stark sind. Mehr Burnout durch steigenden Arbeitsstreß? »Im Gegenteil: Arbeit wirkt sich deutlich häufiger positiv als negativ auf die psychische Gesundheit aus.« Zunehmende Altersarmut? »Das Thema Altersarmut wird überschätzt.« Ende der Durchsage.

Lohndrückerei

Man sollte das nicht mit Schlichtheit oder Ignoranz verwechseln. Es ist vielmehr ein effizienter Einsatz der eigenen Ressourcen. Wenn es dicke Bretter zu bohren gilt, widmen sich die Wirtschaftslobbyisten durchaus intensiv einer Sache. Und dabei ist auch Kreativität gefordert. Ende der 1990er Jahre verlor die Debatte um die Globalisierung an Dynamik. Das Argument, die Beschäftigten müßten sich um der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft Willen mit »moderaten« Lohnzuwächsen bescheiden, verlor an Zugkraft, die Gewerkschaften hatten dem Druck nachgegeben. Viel mehr Honig ließ sich aus Sicht des Kapitals aus der »Globalisierung« nicht saugen. Die Lobbyisten drehten die Schraube weiter: »Vor zehn Jahren war ich persönlich in Gesprächen der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder anwesend. Da haben wir anerkennend auf die Beschäftigungssituation im Niedriglohnsektor in anderen Ländern geschaut. Jetzt haben wir diese Situation verbessert«, so Hundt in der Rückschau. Wenn mit allgemeiner Lohndrückerei nichts mehr rauszuholen war, dann ginge ja vielleicht noch etwas, wenn man die Belegschaften spaltete. Dazu wurde der in Deutschland unterentwickelte Niedriglohnsektor entdeckt. Die passenden Instrumente lieferte die neoliberal gewendete SPD mit den »Hartz«-Gesetzen: Leiharbeit, Befristungen, Mini­jobs und Hartz IV.

Die Gewerkschaften sahen in der »Flexibilisierung« der Arbeit zunächst auch Chancen, Lohn und Arbeitsplätze der Kernbelegschaften zu schützen. Zwischenzeitlich ist der Pferdefuß der ganzen Operation wohl allen klar: Der Ausbau der Niedriglohnbeschäftigung zieht die Tariflöhne nach unten. Lange Zeit ging die Strategie von Hundt und Co. jedoch auf, mit Hilfe der »Sozialpartnerschaft« die eigenen, gänzlich unpartnerschaftlichen Interessen durchzusetzen. Die in der Tradition des Korporatismus stehenden DGB-Gewerkschaften konnten sich von den sozialpartnerschaftlichen Zumutungen nicht im notwendigen Maß absetzen, anders als von Frontalangriffen à la Henkel.

Grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn sich Wirtschaftsvertreter wie Hundt positiv auf die Institution des Tarifvertrages beziehen. Damit ist ein Rahmen gesetzt, der die kollektive Interessenvertretung begünstigt. Zudem ist ein kulturvoller Umgang eine Leistung, auch unter Klassengegnern. Und wenn solche Umgangsformen sich einprägen, zu Institutionen werden, werden dafür Namen gefunden. Diese Namensgebung wiederum ist nie frei von Interessen, versteht es aber häufig, die der Beteiligten zu verschleiern. So verhält es sich auch bei der von Hundt gefeierten Sozialpartnerschaft. Nur einlullen darf man sich davon nicht lassen.

Denn wenn es ums Geld geht, sind die »Sozialpartner« aus dem Wirtschaftslager genauso unerbittlich wie die Hardcore-Neoliberalen. Und wenn das Kapital leichter ans Ziel kommt, indem es die Gewerkschafter als Partner lobt, statt sie als Betonköpfe zu brandmarken, dann tut es dies eben. In der Sache sind sich die Wirtschaftslobbyisten ja meistens einig. Ob bei der Ablehnung des Mindestlohns, der Deregulierung des Arbeitsmarktes oder bei Sozialkürzungen – überall zieht man am gleichen Strang: Die Löhne müssen runter!

Auch darf bezweifelt werden, daß der Anspruch auf Partnerschaft wirklich nicht weit reicht. Der BDA etwa fährt gerade eine PR-Kampagne für familienfreundliche Arbeitszeiten, weil man »auf die Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen nicht verzichten« könne, so Hundt. Und er findet warme Worte für freiwillige betriebliche Vereinbarungen. Ungesagt bleibt, daß solche Vereinbarungen in der Regel nur in einem Bruchteil der Betriebe zustande kommen. Statt dessen geht Hundt scharf mit den Plänen von Union und SPD ins Gericht, ein Recht auf befristete Teilzeit für Eltern einzuführen. Damit würde »Unfrieden in die Belegschaft getragen«, weil »Mitarbeiter immer den Ausfall von Arbeitszeit durch Mehrarbeit ausgleichen müssen«. Das ist natürlich abwegig. Wenn ein Unternehmen Teilzeitbeschäftigung organisieren will, dann wird es ihm gelingen, egal aus welchem Grund die Beschäftigten verkürzt arbeiten. Und wenn ein Unternehmen das noch nicht kann, dann wird es das lernen müssen. Ohne dies wird es eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie nicht für alle Beschäftigten geben. An diesem Beispiel zeigt sich auch, daß Hundt den Begriff der Sozialpartnerschaft mitunter recht eigentümlich auslegt: Stifte Unfrieden in den Unternehmen, indem du behauptest, einige würden auf Kosten der anderen leben. Das hält die Ansprüche klein, und die Chefs haben ihre Ruhe.

Patriarch alter Schule

In Hundts eigenem Unternehmen, den Allgaier Werken, ist es mit der von ihm gelobten Sozialpartnerschaft mitunter ebenfalls nicht weit her. So hat der Karosseriebauer mit Verweis auf die Konkurrenz Anfang 2011 entschieden, zukünftig 15 Prozent der Beschäftigten durch Leiharbeiter zu ersetzen, nachdem bereits 110 Beschäftigen gekündigt worden war. Selbstredend waren der Belegschaft zuvor bereits Gehaltskürzungen und der Verzicht auf Sonderzahlungen abgenötigt worden. Das übliche Spiel also. Der zuständige IG-Metall-Bevollmächtigte spricht deshalb von einem »Kulturwandel«. Mit Hans-Olaf Henkel könnte man sagen: Mit ein bißchen weniger sozialem Frieden geht es auch. Hundt ist also in diese Richtung lernfähig. Allerdings gibt es Grenzen. Die Beteiligung der Beschäftigten am eigenen Unternehmen etwa, wie sie von anderen Mittelständlern als zeitgemäße Form der Mitarbeiterbindung und -motivation propagiert wird, ist für Hundt nicht der Rede wert. Statt dessen erhöhte er seinen Anteil und den seiner Kinder am Unternehmen zu Beginn dieses Jahres auf 100 Prozent. Sozialpartnerschaft hin oder her, der Patriarch weiß schon, was gut für seine Schäfchen ist.

Allen Bekenntnissen zu Sozialpartnerschaft, Tarifverträgen und sozialem Frieden zum Trotz ist in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren Europas größter Niedriglohnsektor entstanden und prekäre Beschäftigung für ein Drittel aller Beschäftigten »normal« geworden. Diese Lohndrückerei ist mitverantwortlich für den Niedergang der Sozialversicherungen, die sinkende Binnennachfrage und für die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum. Wie konnte es soweit kommen, wo Hundt und Co. sich doch zugutehalten, die Gewerkschafts- und Sozialstaatshasser vom BDI unter Henkel zurückgedrängt zu haben?

Die Sache liegt ganz ähnlich wie im Feld der Politik: Union und FDP hätten sich in den 1990er Jahren aus Angst vor einem Aufstand der Gewerkschaften nie getraut, den Sozialstaat frontal anzugreifen. Das konnte sich erst die SPD unter Gerhard Schröder erlauben, die die Gewerkschaften in einer Mischung aus Drohung vor einer erneuten schwarz-gelben Regierung und ideologischem Gerede vom Dritten Weg betäuben konnte. Und als das Gift nachließ, waren Hartz IV, Rentenkürzungen und Einschnitte ins Gesundheitssystem schon in trockenen Tüchern. Ähnlich verhält es sich bei den Wirtschaftslobbyisten. Die Lautsprecher vom BDI hatten die Parolen, aber das Feld bestellt haben die »Sozialpartner« von der BDA mit ihrer kumpelhaften Tour.

Wer nicht untergebuttert werden will, der braucht vor allem eins: eigene Stärke. Erst dann hat man die Chance auf Erfolg. Und das ganz gleich, ob der Gegner auf Konfrontation aus ist oder sich als dein »Sozialpartner« ausgibt. Das gilt für Gewerkschaften wie für die Linke im allgemeinen. Und im speziellen gilt es auch für die Partei Die Linke. Wenn wir schwach sind, wären Opposition oder Koalition nur Label, durchsetzen könnten wir in beiden Fällen nichts. In der Opposition könnten wir laut tönen, in einer Koalition könnten wir das Fähnchen von der »linken Mehrheit« schwenken. Die Musik würde aber anderswo gespielt. Beides sollte uns nicht widerfahren.



Bernd Riexinger ist Gewerkschafter und Vorsitzender der Partei Die Linke. Er nimmt an einem Podiumsgespräch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz teil.

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