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Aus: Ausgabe vom 31.10.2025, Seite 1 / Titel
Gesundheitspolitik

Keine OP für Opa

Kapitalverband präsentiert Horrorkatalog für gesetzliche Krankenversicherung. Sozialverbände kontern und fordern solidarische Versorgung für alle
Von Oliver Rast
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Alte Leier aus dem »Arbeitgeberlager«: Leistungskürzungen für Arme plus höhere Eigenbeteiligung

Sie sind in der Offensive – auch gesundheitspolitisch: Kapitalverbände. Sie organisieren den Angriff auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Ganz unverhohlen. Eigens dafür hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ein fünfzehnseitiges Positionspapier verfasst, das jW vorliegt. Ein Horrorkatalog, aus dem die FAZ in der Donnerstagausgabe zuerst zitierte.

Der Titel klingt harmlos: »Für eine leistungsfähige und finanzierbare gesetzliche Krankenversicherung. Vorschläge für eine ›Gesundheitsreform 2026‹«. Der Inhalt ist es nicht. Demnach sollen GKV-Leistungen auf eine »Basissicherung« reduziert werden. Das bedeutet? Unklar, nicht genau definiert. Aber: »Altersbezogene Leistungsausschlüsse«, etwa Operationen für hochbetagte Senioren, seien möglich. Und: Medizinische Eingriffe nur noch, »wenn deren Nutzen nachgewiesen ist und die wirtschaftlich erbracht werden«. Übersetzt: Keine OP für Opa.

Ein weiterer Vorschlag: Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnern. Die Kapitalbosse wollen aber nicht nur abschaffen, sondern auch wiedereinführen. Etwa die Praxisgebühr, die »Kontaktgebühr« heißen soll. Erhoben – nicht wie früher – im Quartal; nein, besser gleich pro Arztbesuch. »Ärzte-Hopping« ließe sich so vermeiden. Der Mindestbeitrag für die Eigenbeteiligung an Arzneimitteln muss gleichfalls rauf – dann 7,50 Euro statt fünf Euro. Und nicht zuletzt will die BDA die Krankenhauslandschaft »auf bedarfsnotwendige Häuser konzentrieren«. Nicht benötigte Klinikbetten müssten konsequent abgebaut werden. Ein Maßnahmenpaket mit einem »GKV-Einsparvolumen« von jährlich 30 bis 50 Milliarden Euro, behauptet die FAZ in ihrem Bericht.

Das BDA-Papier ist eine Handreichung für die »Finanzkommission Gesundheit«. Ein Gremium, das Bundesgesundheitsministerin Nina ­Warken (CDU) im September einberufen hatte. Um Maßnahmen für eine dauerhafte Stabilisierung der Beitragssätze in der GKV zu erarbeiten. Im Frühjahr kommenden Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen, Ende des Folgejahres ein zweiter Bericht. Denn die Finanzsituation der GKV ist dramatisch: Schon 2026 klafft ein Milliardenloch, ab 2027 drohen Defizite in zweistelliger Höhe.

Wie reagiert der GKV-Spitzenverband auf die Unternehmervorschläge? Defensiv. Es sei wichtig, dass sich gesellschaftliche Gruppen »in die Diskussion einbringen«, sagte dessen Sprecher Florian Lanz am Donnerstag jW. Letztlich brauche es eine Reform, die die Gesundheitsversorgung der 75 Millionen gesetzlich Versicherten gewährleiste und zugleich die Interessen der Beitragszahler wahre.

Auf Konfrontation zur Kapitaloffensive gehen Sozial- und Wohlfahrtsverbände. Die »Arbeitgeber« sollten sich auf bessere Beschäftigungsverhältnisse konzentrieren, betonte die Präsidentin vom Sozialverband VdK, Verena Bentele, gegenüber jW. Schließlich seien miese Jobbedingungen ein Auslöser für Erkrankungen und Fehlzeiten. Und: Wer die Familienversicherung angreife, »überschreitet eindeutig eine rote Linie«.

Joachim Rock setzt nach. Die BDA-Vorschläge seien Rezepte aus der neoliberalen Mottenkiste, »ein reines Sparprogramm zu Lasten von Menschen mit geringem Einkommen«, so der Hauptgeschäftsführer vom Paritätischen Gesamtverband zu jW. Wer sparen wolle, »muss an die Renditen großer Gesundheitskonzerne ran«. Wer Beitragssätze senken wolle, müsse Spitzenverdiener und Privatversicherte in eine solidarische Bürgerversicherung einbeziehen. »Anstatt das Zweiklassensystem zu verschärfen, brauchen wir eine Krankenversorgung für alle.«

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  • Leserbrief von Eva Ruppert aus Bad Homburg (3. November 2025 um 14:24 Uhr)
    Als ich 1991 mit meinem Sohn nach Kuba reiste, um die sozialistisch regierte, von den USA sanktionierte Insel aus der Nähe kennenzulernen, hatte ich eine kleine Spende medizinischer Geräte (z.B. Infusionsschläuche) im Gepäck. Vor dem nächstgelegenen Krankenhaus machten wir Halt. Welche Überraschung: Als nicht bekannte Ausländer wurden wir sofort freundlich empfangen und nach unseren »Beschwerden« gefragt! Ich hatte den Eindruck, man wolle uns sofort behandeln.
    Ein solcher Empfang war mir aus der BRD unbekannt. In der dortigen »Notaufnahme« ist man gewohnt, ungefragt und trotz Schmerzen mehrere Stunden unangesprochen zu warten.
    Doch es soll in Zukunft noch schlimmer werden. Auch Zuzahlungen für Medikamente, falls sie überhaupt verfügbar sind, sollen erhöht werden.
    Die »Finanzkommision Gesundheit« rechnet mit Milliarden Defiziten. Es geht nicht um die Gesundheit der Bürger- jedenfalls nicht der gesetzlich Versicherten- sondern um ein noch schärferes Zweiklassensystem in der BRD.
    Die Aussichten für ältere kranke Menschen, sollen noch schlechter werden als bisher, es sei denn, sie zahlen privat das Vielfache.Doch das kann die Mehrheit alter und kranker Menschen nicht leisten.
    Wie soll auch in einer kapitalistischen Gesellschaft in der nur Gewinne einer riesigen Waffenlobby zählen, Gerechtigkeit für die einzelnen Bürger verwirklicht werden? Mit einer Zweiklassenmedizin kann es niemals Demokratie geben!
  • Leserbrief von E. Rasmus (3. November 2025 um 10:29 Uhr)
    »Anstatt das Zweiklassensystem zu verschärfen, brauchen wir eine Krankenversorgung für alle.« Ich meine, dass diese Feststellung im Bereich der illusionären Wünsche verbleibt. Die nach dem konterrevolutionären Zusammenbruch des Sozialismus erwachsene Imperialismusfreiheit – sich immer deutlicher als nackt brutal lebensfeindliche Geldgewalt entblößend – spiegelt in allen Gesellschaftsbereichen natürlich ebenso krankhaft Wahnungeist gemäß dem Teufelskrisenkreis wider. Da bleibt das Soziale im faulend parasitären Sumpf stecken, wozu die Gesundheitspflege gehört, die in einem zutiefst sterbend kranken System bis zur antisozialen Eskalation nicht anders, als der Charakter des Systems selbst, sein kann. Einst hatte der Separatistenkanzler Adenauer – der er ja im Auftrag des US-Imperialismus samt der aus den USA eingeflogenen Separat-DM-Währung stand – geäußert, dass man gezwungen sei, immer besser zu sein als in der »Ostzone«. Bei Verhandlungen der Gewerkschaften mit den Konzernen wie dem Staat saß also stets, zwar unsichtbar, die DDR mit am Tisch. Das ist nun weggefallen. Die Demagogie ist grenzenlos, nach dem Sprichwort, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Mein 86jähriger Bruder – er war bis zur Rente und sogar noch darüber hinaus Krankenpfleger auf einer Unfallstation – erfährt, allein in Brandenburg wohnend, die Lebensfeindlichkeit durch Bürokratie. Jüngst bekam er auf 15 Seiten die Ablehnung für eine Pflegestufe. Infolge Diabetes mit einer bislang nichtheilenden Fußwunde wurde ihm die Vene aus dem Oberschenkel des linken in den Unterschenkel des rechten Beines verpflanzt. Von der Klinik erhielt er für den krank verbundenen Fuß einen Filzschuh. Bei diesem auch nassen Wetter läuft er also damit, um sich zu versorgen und zum Arzt, übrigens an einem Pankreastumor leidend, und noch von Steuernachzahlung belästigt. Auch wurde ihm schon gegenüber bemerkt, was er denn wolle, er sei doch schon 86 Jahre alt. Fazit: lebens- und friedensfeindliche Normalität!
  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (31. Oktober 2025 um 16:55 Uhr)
    Es wird Zeit dem BDA ein entsprechendes Forderungspapier entgegenzusetzen: Entschädigungslose Enteignung all derer, die sich ihren sozialen Verpflichtungen entziehen und damit die aufgehäuften Geldberge leistungsloser Einkommen noch größer machen wollen. Das ist natürlich nur die Kurzfassung. Man könnte sie dem BDA natürlich auch noch viel konkreter um die Ohren hauen. Wenn der Opa keine Operation mehr braucht, braucht auch das Kapital keine Profite. Schließlich ist es älter und kränker als Opa.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (31. Oktober 2025 um 10:59 Uhr)
    Der inhumane asoziale Sumpf aus Zynismus und Menschenverachtung in diesem Land wird nie austrocknen. Vielmehr wird er immer wieder weiter neue »Moorleichen« fordern. Es gibt nun mal »kein richtiges Leben im falschen« (Th. W. Adorno); ergo: keine soziale Gerechtigkeit im Kapitalismus.
  • Leserbrief von Walter Bornholdt aus Magdeburg (31. Oktober 2025 um 08:30 Uhr)
    Wie gedenken die »Kapitaleigner« mit den für den Kriegsfall erwarteten 1000 Verletzten pro Tag umzugehen? Eine ordentliche Triage und dann eben gleich – mit dem Segen williger Wehrmachtspfaffen – ab ins Massengrab!? Das alles sieht aus, wie der »richtige« Schritt zurück in die »Gute, alte Zeit«, meint Waldi der Wachhund.

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