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13.10.2021 16:02 Uhr

Den Mächtigen trotzen

1973, wenige Monate nach ihrer Freilassung, war die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis Gast der X. Weltfestspiele in Berlin. Im Januar 2005 kommt sie erneut in die Hauptstadt
Von Victor Grossman

War das nicht eine glorreiche Zeit – als Angela Davis aus dem Gefängnis befreit und vor der Gaskammer bewahrt werden konnte? Millionen atmeten auf. Für mich, einen Asylanten in der DDR, ins Exil gegangen aus den USA, werden besondere Erinnerungen wach. Wenn auch fern von meiner Heimat, war ich in dem langen Kampf doch recht engagiert. Ach, du schöne Nostalgie!

Doch unter die Erinnerungen mischt sich auch ach soviel Wehmut. Was glaubten wir damals nicht alles, was hatten wir noch für Hoffnungen! Wie begeistert klingen Angelas Lobesworte für die DDR, die sie 1973 während des Weltjugendfestivals besuchte, wo ihr ein triumphaler Empfang bereitet wurde. Wie dankbar sprach sie davon, wie Tausende, ja Zehntausende von jungen Leuten aus der DDR nach Kalifornien schrieben, um ihre Freiheit zu fordern. Das Bild der Berge von Postsäcken, ins Gerichtsgebäude geschleppt, voller Briefe, Petitionen und Postkarten aus Zittau und Zingst, Bezirk Suhl und Bezirk Schwerin – war das nicht ein beeindruckendes Symbol der internationalen Solidarität?!

Oh ja, in den USA war damals einiges los! Es gab sicherlich viele Märtyrer! Die Erinnerung an Malcolm X, an Martin Luther King jr., an ebenfalls ermordete Black Panther, war sehr frisch und schmerzlich. Aber präsent waren uns auch die Kämpfe, die sie geführt hatten und für die sie gestorben waren. Es ging um die Einheit aller in Armut lebenden Menschen, auch um die Einheit der Linken, egal welcher Hautfarbe oder politischer Couleur, gegen den Rassismus, gegen Atomwaffen, gegen den Vietnamkrieg. Ohne Scham konnte man von Revolution sprechen, wie es Angela nach ihrem Freispruch tat.

Ein Symbol fällt auf, damals ein Ort der Freiheit: Im legendären Madison Square Garden in New York sagte die endlich freie Angela: »Welch ein wundervoller, wundervoller Augenblick. Wer hätte sich vor zweiundzwanzig langen Monaten vorgestellt, daß Tausende, Abertausende von uns hier im Madison Square Garden einen großartigen Sieg des Volkes feiern würden. Nicht meinen Sieg ... Was wir wirklich feiern, Schwestern und Brüder, ist unsere Fähigkeit, den Herrschenden dieses Staates eine machtvolle, unmißverständliche Niederlage bereiten zu können.«

Und heute? Wofür steht dieses Symbol jetzt? Diesmal war die Linke und die Antikriegsbewegung zwar auch zahlreich erschienen, doch sie blieben draußen vor der Tür. Die Tausenden, die Ende August 2004 gekommen waren, um drinnen im Madison Square Garden den Wahlparteitag von George W. Bushs Republikanern zu bejubeln, gehörten zu den reaktionärsten, borniertesten und gefährlichsten Figuren des Landes, die schon ihren kommenden Triumph feiern wollten. Diesmal ist es ihr Sieg geworden, und wenn man ihnen Glauben schenkt, dann ist es auch ihr Land, ihre Welt und ihr Jahrhundert!

Heute herrschen die USA auf dem Balkan, in Asien bis an die Höhen von Altai und Hindukusch, bald schon wollen sie nach eigenem Willen Irak und den Mittleren Osten völlig in ihrer Gewalt haben. Die »changing times«, die Bob Dylan in den Sechzigern besang, haben die Windrichtung geändert und eine andere Entwicklung genommen, als wir damals glaubten und hofften.

Und dennoch fällt mir gerade heute wieder das mutige Wort von Karl Liebknecht ein: »Trotz alledem!« Man kann auch einen so mächtigen Bush stören – und wenn schon nicht von seinem hohen Roß holen, dann ihm doch trotzen, seine Politik hemmen und angreifen immer wieder, und dadurch mehr und mehr Menschen gewinnen. Das sind auch Lehren aus der damaligen Kampagne für Angela. Der Kampf ist heute doch ähnlich, denn die Gegner sind geblieben.

* Vorabdruck aus »Unterwegs zu Angela Davis«, Atlantik-Verlag, 2005, br., 232 Seiten, 15 Euro


* Menschenrechtspreis der GBM für Angela Davis

Die US-amerikanische Kommunistin Angela Yvonne Davis, geboren am 26. Januar 1944 in Birmingham, Alabama) wurde in den 1970er Jahren zur Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen und ist seither als Bürgerrechtlerin, Soziologin und Schriftstellerin tätig. Heute arbeitet Angela Davis als Professorin an der University of California. Sie ist Ehrenbürgerin der Stadt Magdeburg. Für ihr lebenslanges Wirken wird sie von der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) mit dem Menschenrechtspreis 2005 ausgezeichnet – am 8. Januar auf der internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.


* Neuerscheinung

Der Atlantik-Verlag legt aus diesem Anlaß den 1973 von Walter Kaufmann verfaßten Reportage-Band »Unterwegs zu Angela« wieder auf, versehen mit einem aktuellen Vorwort von Victor Grossman. Buchvorstellung am 7. Januar 2005, 20 Uhr, im Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72 in Berlin mit Walter Kaufmann und Victor Grossman.


* Termine

Rosa-Luxemburg-Konferenz, Samstag, 8. Januar 2005, ab 11 Uhr in der FHTW, Treskowallee 8 in Berlin.

»Angela Davis Party«, Sonntag, 9. Januar ab 12 Uhr im Kino International, Karl-Marx-Allee 33 in Berlin. Eintritt: 5 Euro; Karten über GBM: Tel. 030/5578397; Fax 030/5556355; Mail: gbmev@t-online.de

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