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Aus: Ausgabe vom 04.05.2024, Seite 5 / Inland
1.-Mai-Demonstration in Berlin

DGB kontra Klassenkampf

DGB Berlin-Brandenburg ließ Ordner auf 1.-Mai-Demonstration mit Polizei gegen palästinasolidarische Gewerkschafter vorgehen
Von David Maiwald
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Der »klassenkämpferische Block« wurde von den Ordnern des DGB mehrfach aufgehalten

Am Roten Rathaus in Berlin stehen am 1. Mai Ordner quer auf der Straße. Sie hindern den »klassenkämpferischen Block« am Weiterlaufen. Auf ihren Warnwesten prangt ein DGB-Schriftzug. Ein Mann mit schwarzer Kappe und Sonnenbrille, durch ein Schild auf dem Rücken als Ordnerleitung erkennbar, läuft vor dem blockierten Block auf und ab und ruft in ein Megafon: »Die Demo geht nicht weiter, wir werden Sie jetzt hiermit von der Demonstration ausschließen! Sie sind nicht willkommen!« Ein jW am Freitag zugespieltes Foto zeigt, dass der Mann bei seinem Einsatz offenbar eine Körperkamera trug.

Auf einem Video, das noch am Abend des 1. Mai auf X die Runde machte, ist zudem zu sehen, wie ein Polizist einen Mann aus der vorderen Reihe des blockierten Zuges greift, ihn mit drei weiteren Beamten in die Mangel nimmt und zur Seite zieht. Der Betroffene sei danach rund eine Dreiviertelstunde festgehalten, seine Personalien aufgenommen worden, erklärte Marcel vom »Solidaritätstreff Soziale Arbeit« der Berliner Stadtteilorganisation »Hände weg vom Wedding!« gegenüber jW. Die Polizei habe ihm im Anschluss Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

Mehrere Demoteilnehmer berichteten jW von Entgleisungen diverser DGB-Ordner während der Demonstration. So habe einer während des Aufrufs des Palästinensischen Gewerkschaftsbundes für Frieden in Gaza und ein Ende des Mordens »Stinkefinger« in Richtung des Lautsprecherwagens gezeigt. Die Ordner hätten sich »größtenteils unkooperativ« gezeigt und Ausschlüsse ohne vorherige Diskussion mit Hilfe der Polizei durchgesetzt. »Sich gegen Krieg und Militarisierung und für Frieden einzusetzen ist im Interesse der internationalen Arbeiterbewegung und Grundkonsens in den Gewerkschaften«, kritisierte GEW-Jugendsprecher Urs Kroll im jW-Gespräch.

Die Polizei teilte am Donnerstag mit, Teilnehmende hätten »unter Einstellung aller propalästinensischen Meinungskundgaben in der bestehenden Versammlung« bleiben dürfen oder sich »separieren« müssen. Nachdem es gegen zwölf Uhr mittags zu »propalästinensischen Parolen und dem Zeigen von Plakaten« gekommen war, sei »eine Strafbarkeit erkannt« und ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet worden.

»Wir waren auf der Demonstration, um unsere Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheit zu bekräftigen«, sagte Theo Büsing, GEW-Bezirksleitungsmitglied/Abteilung Berufsbildende Schulen, zu jW. Auf dem zentralen Kundgebungsplatz seien er und »einige gewählte Sprecherinnen und Sprecher« nach der Demonstration von Ordnern umkreist worden, die ihnen den Ausschluss aus der Versammlung erklärten. »Die Ordnerleitung hat mit dem Finger auf mich gezeigt und gesagt ›der da auch‹, daraufhin hat uns die Polizei vom Platz eskortiert«, so Büsing. »Es ist vollkommen gewerkschaftsfremd, dass Gewerkschaftskollegen andere Gewerkschafter von der Polizei aus der Versammlung holen lassen.« Vom DGB erwarte man eine Aufklärung der Vorfälle.

Noch am Donnerstag erklärte die Pressestelle des DGB Berlin-Brandenburg, einige Personen seien »unseren Ordner*innen gegenüber handgreiflich geworden«. Am Freitag teilte Sprecherin Nicole Heroven mit Verweis auf die Polizei mit, aus einem Block der Demonstration seien »Straftaten verübt worden«. Gerate die Durchführbarkeit der Veranstaltung »und die Sicherheit der Teilnehmenden in Gefahr«, könnten Personen von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Es sei Aufgabe der Ordner gewesen, »auf die Einhaltung des Demokonsenses hinzuwirken und diesen durchzusetzen«. Inwiefern der Konsens durch den »klassenkämpferischen Block« gebrochen wurde, blieb unbeantwortet.

Schon vor Beginn der Demonstration habe die DGB-Ordnerleitung mehrere Personen mit Hilfe der Polizei ausgeschlossen oder mit Ausschluss gedroht, erklärte die an diesem Tag für den Kontakt zwischen »klassenkämpferischem Block« und DGB-Ordnern zuständige Person, nennen wir sie Finn, im jW-Gespräch. Auf der Karl-Marx-Allee habe eine Ordnerkette das erste Mal versucht, den Block von der Demonstration abzutrennen. Dabei sei behauptet worden, palästinasolidarische Äußerungen würden dem vereinbarten Demokonsens widersprechen; der Aufzug solle sich Tarifangelegenheiten und Arbeitskämpfen widmen.

Im »Demo- und Kundgebungskonsens«, der jW am Freitag vorlag, findet sich dies nicht. Dafür »kein Sexismus, kein Antisemitismus, kein Rassismus«, außerdem »keine Nationalfahnen, keine Anfeindungen gegen palästinensische und jüdische Teilnehmer*innen«. Als »rote Linien« werden »verbotene Flaggen oder Fahnen, antisemitische Beschimpfungen, Infragestellung des Existenzrechts Israels, rassistische Beschimpfungen und Plakate« definiert. Im jW-Gespräch zeigt sich Finn »verwundert«: »Ich sehe nicht, wo der klassenkämpferische Block gegen den Demokonsens verstoßen haben soll.« Vielmehr sei die Thematisierung Palästinas von den Ordnern konsequent als Bruch mit diesem ausgelegt worden. »So was haben wir in den 15 Jahren, die der Block nun schon mit der Demonstration läuft, noch nicht erlebt«.

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