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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 4 / Inland
1. Mai

Konsequente Entpolitisierung

Maikundgebungen in Deutschland: Konflikte am Rande von Berliner DGB-Demo. Linke Demo in Stuttgart aufgelöst
Von Kristian Stemmler
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Ein bisschen Klassenkampf: Teilnehmer der Demo in Berlin-Grunewald am Mittwoch

Der diesjährige 1. Mai hat deutlich gemacht, dass die Debatten um die Rolle der Gewerkschaften in den sich zuspitzenden politischen und sozialen Auseinandersetzungen an Schärfe zunehmen. Insbesondere bei der traditionellen Demonstration des DGB in Berlin kam es am Mittwoch durchweg zu Konflikten am Rande des Blocks linker Gewerkschafter und linker Organisationen, weil Gewerkschaftsfunktionäre und Ordner, zum Teil in Zusammenarbeit mit der Polizei, politische Äußerungen vor allem zum Gazakrieg zu unterbinden versuchten. Nach jW-Informationen wurden mehrere Demonstranten durch Ordner und Funktionäre von der Demo verwiesen. Es gab auch Versuche, den gesamten Block von der Demo auszuschließen. Teilnehmer berichteten von einzelnen Ingewahrsamnahmen durch die Polizei. Auf Entpolitisierung bedachte Ordner sollen Teilnehmer immer wieder darauf hingewiesen haben, dass es bei dieser Demonstration allein um Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfe gehen soll.

Das offizielle Programm der zahlreichen Kundgebungen des DGB rollte mit den gewohnten Themen ab. Bei der zentralen Kundgebung des DGB in Hannover, zu der sich nach Gewerkschaftsangaben mehr als 10.000 Menschen versammelten, prangerte DGB-Chefin Yasmin Fahimi die Tarifflucht vieler Unternehmen an. Diese verursache einen volkswirtschaftlichen Schaden von 130 Milliarden Euro jährlich, sagte sie und forderte ein Bundestariftreuegesetz. Die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, nannte in Erfurt Investitionen »das Gebot der Stunde«. Gewerkschaften und ihre Mitglieder müssten sich immer häufiger gegen die Verlagerung von Arbeitsplätzen und Stellenabbau wehren. Verdi-Chef Frank Werneke erklärte, Sozial- und Infrastrukturpolitik dürften nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Deswegen müsse auch die Schuldenbremse ausgesetzt oder zumindest reformiert werden.

Lebhafter ging es bei den zahlreichen linken Kundgebungen zu. Die Berliner Initiative »My Gruni« hatte erneut eine Demo unter dem Motto »Razzia im Grunewald – Kapitalverbrechen aufklären« organisiert. »Spezialenteignungskräfte« simulierten in dem Villenstadtteil Ermittlungen gegen die »kapitalextremistische Szene«. Nach Polizeiangaben nahmen mehr als 2.000 Menschen an der Demo teil. Mit ähnlicher Ausrichtung zog in Hamburg das Bündnis »Wer hat, der gibt« durch die Nobelquartiere westlich der Außenalster. Am Mittag demonstrierte das anarchistische Bündnis »Schwarz-roter 1. Mai« mit mehr als 1.000 Teilnehmern unter dem Motto »Solidarisch. Selbstbestimmt. Herrschaftsfrei« durchs Schanzenviertel. In Stuttgart wurde die »Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration« von Polizisten mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert und später aufgelöst. Es sei zu Straftaten und Auflagenverstößen gekommen, behauptete die Polizei. In der Nacht zum 1. Mai hatte es Demos in Berlin und Hamburg gegeben, die zum Teil von Frauengruppen organisiert worden waren. Sie verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Mit einer gewissen Anspannung erwartet wurde die für den späten Nachmittag und Abend (nach jW-Redaktionsschluss) angesetzte »Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration« in Berlin, bei der es auch einen Palästina-Block geben sollte. Polizei und Teile der Hauptstadtpresse machten im Vorfeld Stimmung gegen die Demo. Vielfach zitiert wurde die »Einschätzung« der Polizei, der Aufzug werde bewusst durch die Sonnenallee in Neukölln geführt, um eine möglichst große Beteiligung »propalästinensischer Demonstranten« zu erreichen. Gerechnet wird mit »antisemitischen« Parolen, als die palästinasolidarische Losungen konsequent bezeichnet werden. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik drohte vorab, die Polizei werde »mit niedriger Einschreitschwelle durchgreifen«. Bundesinnenministerin Nancy Faeser feuerte sie beim Kurznachrichtendienst X an: »Die Polizei muss sofort hart durchgreifen, wenn es rund um den 1. Mai zu Krawallen, Gewalttaten und Judenhass auf unseren Straßen kommt.« Mit der denunziatorisch als »Judenhass« qualifizierten Palästina-Solidarität war kürzlich bereits das Verbot des Palästina-Kongresses begründet worden. 5.500 Beamte standen nach Polizeiangaben in Berlin bereit.

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