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Aus: Ausgabe vom 04.05.2024, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Unkonkretes Ultimatum

Gazakrieg: Netanjahu will Feldzug auch bei Vereinbarung zu Waffenruhe weiterführen, während Hamas Garantien für Beendigung fordert
Von Knut Mellenthin
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Bereit zum Einsatz: Israelische Panzer am Rande des Gazastreifens (2.5.2024)

Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Gefangenenaustausch und eine 40tägige Waffenruhe scheinen zum Stillstand gekommen, obwohl sie dennoch weitergeführt werden sollen. Das Kriegskabinett in Jerusalem droht, den mehrmals verschobenen Großangriff auf die Stadt Rafah zu beginnen, wenn die Hamas sich nicht »bald« den israelischen Forderungen unterwirft, hat aber bisher kein konkretes Ultimatum verkündet.

Die Führung der stärksten palästinensischen Widerstandsorganisation agiert mit kontroversen Signalen. Am Donnerstag wurde der in Katar lebende Hamas-Vorsitzende Ismail Hanija mit der Aussage zitiert, die Verhandlungen verliefen »in einem positiven Geist«. Bezeichnend ist, dass er dies in einem Telefongespräch mit dem Chef des ägyptischen Geheimdienstes gesagt haben soll: Die Beziehungen zu Kairo sind, soweit es die Auslandsführung der Hamas angeht, intensiv.

Andererseits rechnet das von Benjamin Netanjahu geführte Kriegskabinett mit einer Ablehnung des letzten »Angebots« durch den Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahja Sinwar. Der israelische Privatsender Kanal 12 berichtete am Donnerstag abend ausführlich und präzise, dass Sinwar drei Haupteinwände gegen den aktuellen Entwurf habe. Der Sender beruft sich für seine Darstellung auf anonyme »Quellen« in der Hamas. Das ist zwar keine solide Grundlage, doch klingen die behaupteten Einwände in diesem Fall plausibel.

Erstens fordere Sinwar statt einer zeitlich begrenzten Waffenruhe eine schriftliche Garantie Israels, den Krieg bedingungslos zu beenden. Im Entwurf ist nur davon die Rede, am 16. Tag nach Inkrafttreten eines Abkommens Gespräche über einen »tragfähigen Ruhezustand« zu beginnen. Netanjahu hat das, was er darunter versteht, in letzter Zeit mehrmals mit der klaren Ansage verbunden, auch nach Zustandekommen einer vorübergehenden Waffenruhe Rafah anzugreifen und den Krieg bis zur »Vernichtung« des palästinensischen Widerstands fortzusetzen.

Sinwar lehnt Kanal 12 zufolge zweitens die israelische Absicht ab, nach dem angestrebten Abkommen freizulassende palästinensische Gefangene, »die Blut an den Händen« haben, in den Gazastreifen oder ins Exil zu verbannen. Drittens fordert der Hamas-Kommandeur angeblich, die im Entwurf des Abkommens enthaltene Liste der Materiallieferungen für den Wiederaufbau des Gazastreifens zu erweitern. Kanal 12 kommentierte das mit dem Verdacht, Hamas wolle seine Tunnel und andere militärische Infrastruktur wiederherstellen.

Das US-Außenministerium wirbt für den aktuellen Entwurf mit der einseitigen Propaganda, es handele sich um ein »sehr großzügiges Angebot« Israels, und die Hamas sei das einzige Hindernis, das einer Einigung im Wege steht. Das glaubt aber nicht einmal die Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit, die Netanjahu vorwirft, die überlebenden Geiseln seinen Kriegsplänen zu opfern. Außerdem lehnen seine extrem rechten Partner den Entwurf ab und drohen, die Koalition platzen zu lassen, falls auf dieser Grundlage ein Abkommen zustande käme.

In der Onlinetageszeitung Times of Israel hieß es spät am Donnerstag: »Selbst wenn Hamas den Deal bedingungslos akzeptieren würde, wäre nicht klar, ob Israel ihm zustimmen würde.« Das ist wahr, denn anders als von US-Außenminister Antony Blinken suggeriert, geht es zunächst nur um Grundsätze einer Einigung. Die wichtigsten Fragen, zum Beispiel nach Zahl und Zusammensetzung der freizulassenden palästinensischen Gefangenen, sind mit Netanjahus »großzügigem Angebot« noch gar nicht beantwortet.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Mai 2024 um 21:24 Uhr)
    Es scheint, dass nichts klar ist, wenn beide Seiten darauf aus sind, den anderen zu vernichten. Unter solchen Bedingungen ist eine echte Friedensvereinbarung praktisch unmöglich!

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