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Aus: Ausgabe vom 04.05.2024, Seite 2 / Ausland
Verhandlungen in Sicht?

800 Tage Ukraine-Krieg

Russland materiell und technisch überlegen. Tschassiw Jar vor Einkreisung
Von Reinhard Lauterbach
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Strategisch auf einem Hügel gelegen: Die mittlerweile stark zerstörte Stadt Tschassiw Jar am 29. April

Der stellvertretende Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR, Wadim Skibizkij, hat erstmals eingeräumt, dass Friedensverhandlungen mit Russland über kurz oder lang unumgänglich sein würden. Gegenüber dem Economist sagte Skibizkij am Donnerstag, ein militärischer Sieg werde immer unwahrscheinlicher. Selbst dann aber, wenn es der Ukraine gelingen sollte, Russland auf die ukrainischen Grenzen von 1991 zurückzudrängen, komme Kiew um Verhandlungen nicht herum. Der beste Zeitpunkt hierfür wäre die zweite Jahreshälfte 2025, so Skibizkij. Seine Äußerungen unterscheiden sich sowohl vom Standpunkt seines Chefs Kirilo Budanow, der einen jahrzehntelangen Konflikt mit Russland voraussieht, als auch von dem des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Dieser hat Verhandlungen mit Moskau ausgeschlossen, solange Wladimir Putin Präsident ist.

Nach 800 Tagen Krieg spielt Russland derweil seine materielle und technische Überlegenheit an den Fronten weiter aus. Die Welt alarmierte am Donnerstag, dass ein neues relativ weitreichendes Abschusssystem für Raketen mit Vakuumsprengsätzen einsatzbereit sei. Es habe eine Reichweite von 15 Kilometern und sei damit für ukrainische Drohnen praktisch nicht mehr erreichbar. Jede seiner Raketen könne einen ganzen Häuserblock dem Erdboden gleichmachen. Am Mittwoch war von russischer Seite ein Video ins Netz gestellt worden, das zeigt, wie zwei »Himars«-Abschussvorrichtungen im Gebiet Charkiw durch Raketen zerstört wurden. Ukrainische Experten wiesen darauf hin, dass der Angriff über 40 Kilometer hinter der Front passiert sei; das zeige, dass russische Drohnen offenbar recht unangefochten das Hinterland der ukrainischen Armee auskundschaften könnten. Auch eine Abschussrampe des deutschen Flugabwehrsystems IRIS-T wurde nach russischen Angaben im Gebiet Charkiw getroffen.

Für den Donbass bestätigen auch US-Militärexperten, dass russische Truppen südlich der Stadt Tschassiw Jar in der Oblast Donezk über einen dort unterirdisch verlaufenden Kanal zur Trinkwasserversorgung nach Westen vorgestoßen seien und davor stünden, die Stadt zu umzingeln. Die ukrainische Armee versuche alles, um die Einnahme Tschassiw Jars zu verhindern, sagte Heereskommandeur Olexander Pawljuk der britischen Times, aber die Lage sei für seine Truppen sehr schwierig.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Mai 2024 um 13:11 Uhr)
    Es ist erhellend, dass einige ukrainische Führungskräfte langsam die Möglichkeit von Verhandlungen in Betracht ziehen möchten. Allerdings benötigen sie dafür die Kooperation ihres Gegners, Russland. Doch Moskau ist sicherlich nicht gewillt, unter ukrainischen Bedingungen zu verhandeln, insbesondere angesichts der dramatischen militärischen Lage entlang der Frontlinie der Ukraine. Selbst im Hinterland ist die ukrainische Flugabwehr nicht mehr in der Lage, den russischen Luftschlägen standzuhalten und Widerstand zu leisten. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass alle Kriege letztendlich durch Verhandlungen enden, jedoch stets unter Berücksichtigung der Realität an der Front. Dennoch plant die Ukraine eine Friedensinitiative mit Unterstützung des Westens in der Schweiz im Sommer, jedoch ohne die Einbindung Russlands. Die Erwartungen an ein solches Vorhaben bleiben mir rätselhaft. Die einseitige Verurteilung und Sanktionierung Russlands ist bereits gescheitert und gehört der Vergangenheit an. Der im Artikel genannte optimale Zeitpunkt für Verhandlungen in der zweiten Jahreshälfte 2025 erscheint äußerst unwahrscheinlich, insbesondere angesichts eines jahrzehntelangen Konflikts mit Russland. Letzteres mag für die USA zwar erstrebenswert sein, doch weder die Ukraine mit ihrem geschulten militärischen Personal noch ihre europäischen Partner könnten finanziell einen langwierigen Krieg über Jahre hinweg durchhalten. Der Kreml wird Biden und den US-Wählern bis November genau zeigen, wo der Hammer hängt!

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