junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Freitag, 17. Mai 2024, Nr. 114
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Am Rande der Tanzfläche

Das richtige Statement: »Nonetheless«, das neue Album der Pet Shop Boys
Von Alexander Kasbohm
10.jpg
Könnten nicht einmal, wenn sie es wollten, ein schlechtes Album machen: Pet Shop Boys

Längst Elder Statesmen des Pop, verfügen die Shop Boys immer noch über eine natürliche Eleganz, eine Größe, die man mit dem Alter zu erklären geneigt sein könnte, wenn sie sie nicht schon immer gehabt hätten. So was wird nicht mehr gebaut. Die beiden wirken wie ins London der 1960er versetzte edwardianische Gentle­men. Oder, wie Neil Tennant es in »A New Bohemia« (reimt sich bei ihm hervorragend auf »free and easier«) sagt, wie »silent movie stars / In 60s Hollywood / No one knows who you are / In the hipster neighbourhood«.

Die Pet Shop Boys waren ja nie Bestandteil der Jugendkultur. Sie waren immer die erwachsenen Begleitpersonen. Als »West End Girls« 1986 zum Hit wurde, war Tennant bereits 30 und hatte eine Karriere als Musikjournalist hinter sich. Was ihn und Chris Lowe immer auszeichnete, selbst bei ihren Ibiza-Party-Hits, war ihre Distanz. Sie waren wohlwollende Beobachter. Mal amüsiert, mal melancholisch, meist beides zugleich. Die Vorstellung, ­Tennant inmitten schwitzender Tänzer zu sehen, mutet absurd an. Folgerichtig sind die Stücke, die Jahre später noch am stärksten nachhallen, weniger die Fetenhits, sondern die langsamen, nachdenklichen. »Rent« und »Being Boring« etwa gehören auf vielen Ebenen zum Besten, was die Popmusik der 1980er hervorgebracht hat.

Je älter die Aging Pet Shop Gentlemen werden (Tennant wird am 10. Juli 70), je größer der Altersabstand zur Jugendkultur wird, desto mehr sind es genau diese reflektiveren Songs, die zu Höhepunkten der Alben werden. Die zweite Säule ihres Erfolges, die ­Disco-Stomper, sind auf »Nonetheless« vergleichsweise schwachbrüstig. Aber selbstverständlich halten sie an ihnen fest, und selbstverständlich ist das auch gut so. Auch wenn ein Pet-Shop-­Boys-Album ohne Tanz-Stücke vermutlich stärker wäre. Aber das Festhalten, das Nicht-loslassen-können, ist es, was die besondere Weltsicht der Pet Shop Boys ausmacht – dieser Blick auf frühere Jahre, auf erlebte Ausgelassenheit, verpasste Chancen, gemachte Fehler.

Nach ihrer »Berlin-Trilogie« mit Produzent Stuart Price (Zoot Woman, ­Madonna), in der sie ihre aktuelle Dancefloor-Relevanz zu betonen suchten, sind sie auf »Nonetheless« am Bilanzieren, was ihnen sehr gut steht. Produziert von James Ford, der auch das letzte Depeche-Mode-Album betreute, haben wir hier zehn voll orchestrierte Popsongs, einige zum Tanzen, andere um am Rande der Tanzfläche oder weit ab davon ganz anderen Gedanken nachzuhängen. »New London Boy«, ein Stück über das Ankommen in der Hauptstadt in den 1970ern, namecheckt David Bowie und Roxy Music und verweist stilistisch mehrfach auf »West End Girls«. »The Schlager Hitparade« ist in seiner Schlichtheit etwas zu nah an seinem Sujet (aber dann doch wieder nicht nah genug), um Spaß zu machen. Doch direkt im Anschluss bilden das große »The Secret of Happiness«, »Bullet for Narcissus« (aus der Perspektive eines Leibwächters von Donald Trump) und die Ballade »Love Is the Law« einen nahezu perfekten Abschluss.

Es ist nicht alles Gold auf »Nonetheless«, es glänzt nicht mal alles, aber die Pet Shop Boys wären vermutlich nicht einmal, wenn sie es drauf anlegten, in der Lage, ein wirklich schlechtes Album zu machen. Diese lebensherbstliche Bestandsaufnahme ist genau das richtige Statement zur Zeit – zwischen Verlässlichkeit und Brillanz.

Pet Shop Boys: »Nonetheless« (Parlophone)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Feuilleton