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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Ballett

Schöner als der alte Graf

Alexandr Trusch debütiert beim Hamburg Ballett als Graf Wronski
Von Gisela Sonnenburg
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Geschmeidigkeit, die ihresgleichen sucht: Alexandr Trusch

Der schöne Graf hat ein neues Gesicht. Alexandr Trusch tanzte vergangenen Freitag (26.4.) beim Hamburg Ballett die Rolle des gräflichen Liebhabers Wronski in »Anna Karenina« von John Neumeier: ein bejubeltes Debüt. Wronski verliebt sich mit all seiner Körperkunst – und die ist beim Ballerino Trusch enorm – in die Politikergattin Anna, getanzt von Anna Laudere, die ihre Rolle auch kreierte. Ihr ursprünglicher Partner Edvin Revazov ist verletzt, und so kam jetzt »Sasha« ins Spiel.

Dunkelbraune Augen, tiefschwarzes Haar. Feine Nasenflügel, ein weicher, voller Mund. Eine Zahnlücke wie Madonna. Und Muskeln, wie gemeißelt: Manche erinnert der 34jährige an Rudolf Nurejew, diesen Gott des Balletts. Alexandr Trusch stammt aus der Ukraine und kam als Kind mit seiner Familie nach Pinneberg in Schleswig-Holstein. Doch dort fehlte ihm der Auftrieb durch den gewohnten Folkloretanz. Flugs steckte man ihn in die ballettöse Talentschmiede von John Neumeier in Hamburg. Was für ein Glück.

Ersten Auftritten folgten bald Hauptrollen. Seit 2014 ist er Erster Solist im Hamburg Ballett. Er ­verkörperte schon Romeo, Puck und etliche Prinzen, den Liebhaber Armand, den Helden Odysseus, den Tänzer Nijinsky, den König in »Illusionen – wie Schwanensee«. In den »Bernstein Dances« von John Neumeier heißt er einfach »Love«, Liebe. Warum auch nicht. So hübsch und so hingebungsvoll, so sanft und doch so stark wie Trusch sollte die Liebe sein, das stimmt.

Besonders breite Schultern und kräftige Hände, definierte Füße, kraftvolle Beine und eine Geschmeidigkeit, die ihresgleichen sucht: Seine Fans erkennen Trusch in jedem Kostüm. Mal viel nackte Haut, wie in »Josephs ­Legende«, dann wieder ein Frack wie in der »Kamelien­dame«. Anmut und Sprungkraft, Präzision und Lebhaftigkeit, Niedlichkeit und doch auch Männlichkeit prägen seine Auftritte. Seine Schüler nannten ihn nach Puschkin »Truschkin«: weil er so viele Bücher las.

Heute baut Trusch in seiner Freizeit Automotoren auseinander und wieder zusammen. Dass die Zeit dazu ausreicht, ist verwunderlich. Denn wenn er nicht gerade selbst tanzt, leitet er ein klassisches Training: mal für die Kollegen, mal beim Workshop, mal an der Schule, die er einst selbst besuchte. So prägt er den Nachwuchs, und das ist genauso wichtig wie die Liebe, wenn er sie darstellt.

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