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Aus: Ausgabe vom 08.05.2024, Seite 6 / Ausland
Wahl in Indien

Rechte werden nervös

Indien: Halbzeit bei größter Parlamentswahl der Welt. Regierende Hindunationalisten vervielfältigen Hassrhetorik, Delhi-Chefminister bleibt in Haft
Von Jörg Tiedjen
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Anstehen zur Stimmabgabe: Am Dienstag wurde auch im Bundesstaat Uttar Pradesh gewählt (Agra, 7.5.2024)

Die Halbzeit ist erreicht. Am Dienstag waren die Wähler in elf indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien aufgerufen, ihre Stimme für die Neubesetzung des Parlaments in Neu-Delhi abzugeben, der Lok Sabha. Es war der dritte Tag der Abstimmung, die Mitte April begonnen hat und in sieben Phasen bis Anfang Juni abgehalten wird. Wahlberechtigt ist knapp eine Milliarde Menschen in der »größten Demokratie der Welt«, wie Indien gerne gerufen wird. Gegenüber stehen sich die regierende Nationale Demokratische Allianz (NDA) um die extrem rechte Indische Volkspartei (BJP) von Premierminister Narendra Modi und das INDIA-Bündnis um den Indischen Nationalkongress, dem sich auch nahezu alle linken und kommunistischen Formationen angeschlossen haben.

Meinungsforscher sagen der NDA einen klaren Sieg und Modi, der am Dienstag in seiner Heimat Gujarat zur Wahlurne schritt, eine dritte Amtszeit voraus. Die BJP selbst hat das Ziel ausgegeben, eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Die Opposition hält die Umfragen allerdings für wenig glaubhaft. Schon der Name des Bündnisses »Indian National Developmental Inclusive Alliance« (Indische Nationale Entwicklungsallianz) verweist auf die Schwachstelle der BJP, die sich immer wieder als Motor wirtschaftlichen Aufschwungs darstellt, wobei aber der Lebensstandard der großen Mehrheit der indischen Bevölkerung in den zehn Jahren ihrer Regierungszeit gelitten hat. Noch kurz vor den Wahlen brach sich der Unmut in mächtigen Bauernprotesten Bahn. Auch fällt es der BJP zunehmend schwer, sich glaubhaft als Partei der weißen Westen zu präsentieren. Erst vor kurzem war aufgedeckt worden, dass die Hindunationalisten am meisten von illegalen Parteispenden profitiert hatten. Die Affäre hatte zudem ihre Verquickung mit den Industriebossen des Landes offengelegt.

Auch die Gerichtsbarkeit kann die BJP anscheinend für ihre Zwecke einspannen. Am Dienstag stand der Chefminister der Hauptstadtregion Delhi vor Gericht, Arvind Kejriwal von der auf Bundesebene oppositionellen Aam Aadmi Party. Er war im Vorfeld der Wahlen wegen angeblicher Korruption bei Lizenzvergaben für den Alkoholverkauf hinter Gitter gebracht worden – ein Novum, nie zuvor war ein amtierender Ministerpräsident derart belangt worden. Sein Antrag auf Freilassung gegen Kaution wurde abgelehnt. Bis zum 20. Mai soll er in Untersuchungshaft bleiben.

Doch die Nervosität auf seiten der BJP steigt nicht zuletzt angesichts eines an den ersten beiden Abstimmungstagen im April verzeichneten Rückgangs der Wahlbeteiligung, wie am Dienstag der Politikwissenschaftler Ali Khan Mahmudabad aus Neu-Delhi gegenüber Associated Press erläuterte. In der Vergangenheit hatte die BJP davon profitiert, ihre Anhänger geschlossen an die Urnen treiben zu können. Nun greifen die Hindunationalisten zu ihrem bewährtesten Mittel: die Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen. Im Zentrum ihrer Hassreden steht dabei die Verschwörungserzählung, dass INDIA gemeinsam mit der muslimischen Minderheit eine Übernahme des Landes zur Unterdrückung aller Hindus beabsichtige.

Auch die Kongresspartei ist sich für Schlammschlachten nicht zu fein. Im Bundesstaat Karnataka hat sich ­INDIA auf den Kandidaten einer mit der BJP verbündeten Regionalpartei eingeschossen, von dem Videos in Umlauf gebracht wurden, die belegen sollen, dass er sich sexueller Misshandlungen schuldig gemacht hat. Wie The Hindu am 2. Mai meldete, soll der Beschuldigte sich gegenwärtig in Deutschland aufhalten. Karnataka ist mit der Wirtschaftsmetropole Bengaluru einer der bedeutenderen Bundesstaaten, in denen die extreme Rechte bisher Schwierigkeiten hatte, Fuß zu fassen. Um ihr Ziel einer verfassunggebenden Mehrheit in der Lok Sabha zu erreichen, müsste die NDA hier deutlich zulegen.

Wahlen in Indien werden auch durch Manipulationen wie Stimmenkauf entschieden. Am Dienstag berichtete India Today, dass BJP-Anhänger im Bundesstaat Uttar Pradesh versucht hätten, Wahlbüros zu besetzen, um Einfluss auf die Abstimmung nehmen zu können. Diese wird nun in vier weiteren Runden fortgesetzt. Am 4. Juni werden dann die Ergebnisse bekanntgegeben.

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