02.04.2024 / Feuilleton / Seite 10

Auf Wiedersehen in Warnemünde

Funny van Dannen nimmt in der Hamburger Markthalle Abschied von der Bühne

Fabian Lehmann

Ich les was aus dem neuen Buch und auch aus den älteren, dann gibt es eine Pause und danach spiele ich noch ein paar Lieder.« Funny van Dannen, Vater von vier Kindern, Musiker mit 17 Studio­alben und Autor von zehn Büchern stand am Gründonnerstag auf der Bühne der ausverkauften Markt­halle in Hamburg und gab die Losung für einen denkwürdigen Abend aus. Denkwürdig deshalb, weil es der letzte sein soll. Nicht nur dieser Konzert- und Lesetour, sondern überhaupt. Ursprünglich hatte er bereits im Dezember auftreten wollen, aber eine Erkrankung des Sängers – oder waren es höhere Kräfte, die den Abschied hinauszögerten? – schob das Lesekonzert als solitäres Ereignis in den März.

Im »Reflektor«-Podcast des Tocotronic-Bassisten Jan Müller hatte van Dannen im vergangenen Herbst in seiner maximal unaufgeregten Art den Abschied von der Bühne angekündigt: »Ich glaub’, das war’s dann aber auch mit den Auftritten.« Es sei an der Zeit, dieses Kapitel zu beenden und sich fortan der Malerei zu widmen. Mit Liedern und Kurzgeschichten habe er sich genügend ausgelebt, aber mit den Bildern gebe es noch zu tun.

Ob die Zuhörer vergangenen Donnerstag von diesem historischen Moment in der Karriere Funny van Dannens Notiz nehmen? Sie hängen jedenfalls an seinen Lippen. Er liest die erste Kurzgeschichte, und die Menge grölt. Wer die Lieder des vor 66 Jahren im nordrhein-westfälischen Tüddern als Franz-Josef Hagmanns-Dajka geborenen Sängers kennt, weiß um dessen poetische und humoristische Qualitäten. Auch seine Kurzgeschichten sind an Freigeistigkeit nicht zu übertreffen. Denkwürdig etwa die Erzählungen, wie die Schlangenhautschwanzmäuse zu ihrem Namen kamen oder wie die Hoden, einst als Einzelgänger auf der Welt, sich zusammentaten und dem Manne andienten, um fortan den Gefahren der Wildnis zu trotzen. Der erste Satz einer jeden Geschichte setzt den Ausgangspunkt einer Gedankenreise, die allein ihrer eigenen Logik verpflichtet ist: »Ein Sahnehering wollte in den Zoo«, ist so ein Satz. Ein anderer: »Ein Dixiklo und eine Eiche unterhalten sich bei Sonnenaufgang.« Klingt nach einem Witz, ist auch lustig, aber nicht ohne die Schwermütigkeit, die van Dannens Texten bei aller Leichtigkeit zu eigen ist. Er schreibt so gut wie er singt.

Doch als Funny van Dannen nach der angekündigten Pause das erste Lied anstimmt, wird deutlich, dass das Singen die wahre Bestimmung dieser Stimme ist. Sie umhüllt einen wie eine warme Decke, die zuweilen kratzt. An diesem Abend mehr als sonst. Denn das Material ist ungewöhnlich politisch, jeder Song widmet sich einem Triggerthema: Klimaaktivisten, steigende Mieten, Wahrheiten, die sich in Luft auflösen, und auswegloser Protest, etwa aus Ermangelung an landwirtschaftlichem Großgerät: »Was soll man machen, wenn man keinen Traktor hat?« Resümee: Deutsch-sein ist echt kein Spaß.

Zunächst gibt es ausschließlich neue Stücke, Song an Song ohne ­Pause, um dem sich nach Hits sehnenden Publikum die Gelegenheit für Zwischenrufe zu nehmen. Die kommen trotzdem, weil sie zu Funny-Konzerten gehören wie Gitarre, Mundharmonika und melodisches Pfeifen. Am Ende ist er doch noch gnädig und spielt »Okapiposter«, »Alles verkauft«, »Der Fatalist«.

Funny van Dannen hinterlässt an diesem Abend den bleibenden Eindruck eines politisch wachen Geistes, dem die Worte und Melodien nicht ausgehen, der sicher noch zwanzig Jahre so weitermachen könnte, wenn er denn wollte. Doch nun will er nicht mehr. Da kann man schon etwas traurig sein, wie die Zeit vergeht. Die letzten Worte gebühren natürlich ihm: »Wo ist es so, wie es immer war? In Warnemünde in der Broilerbar.«

Funny van Dannen: »Funny Vinyl« (Trikont)

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