21.02.2024 / Inland / Seite 5

Rügens Überkapazitäten

Forcierter Ausbau von LNG-Terminals ist überflüssig und klimaschädlich. Pipelineimporte über Polen wären sinnvoller

Wolfgang Pomrehn

Das im Bau befindliche Terminal für Flüssigerdgas (LNG) in Mukran auf Rügen ist so überflüssig wie ein Kropf. Denn nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kann auch im gegenwärtigen Winter von einem Mangel an Erdgas nicht die Rede sein. Und das, obwohl die Anlage noch nicht in Betrieb und der Bedarf derzeit aufgrund der kalten Jahreszeit hoch ist. Ein interessanter Aspekt des importierten LNG ist, dass es teilweise aus Russland bezogen wird – indirekt über das westeuropäische Pipelinenetz aus dem benachbarten Ausland. Das zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Umweltorganisation »Urgewald«. Anstelle der vorgeblichen »Unabhängigkeit« von Russland könnte das auch direkt, etwa über durch Polen führende Pipelines eingeführt werden.

Auf direktem Wege importiertes LNG hat nach Angaben der Organisation, die sich auf Daten der Bundesnetzagentur, der belgischen Umweltorganisation »Bond Beter Leefmilieu« und der Plattform Kpler für Handelsdaten beruft, einen Anteil von sieben Prozent an der deutschen Versorgung. Rund 80 Prozent dieser LNG-Importe stammen aus den USA und damit aus dem besonders klimaschädlichen sogenannten Fracking, bei dem größere Mengen des Erdgases in die Atmosphäre entweichen. Dort wirkt sein wichtigster Bestandteil, das Methan, als hocheffektives Treibhausgas.

Der überwiegende Teil des Erdgases erreicht Deutschland jedoch immer noch über Pipelines, und zwar zu 43 Prozent aus Norwegen, zu 26 Prozent aus den Niederlanden und zu 22 Prozent aus Belgien. Der Anteil der Inlandsförderung an der Abdeckung des Bedarfs ist hingegen inzwischen eher gering. 2022 hatte er nach Angaben der Bundesanstalten für Geowissenschaften und Rohstoffe gut sechs Prozent ausgemacht und ist seit vielen Jahren rückläufig.

Nun handelt es sich bei dem aus den Nachbarländern eingeführten Gas nicht um ausschließlich dort gefördertes. Alle haben auch LNG-Terminals, und insbesondere in den belgischen Lieferungen ist auch russisches Gas enthalten, das über den Hafen in Zeebrugge als LNG angelandet wurde. »Urgewald« schätzt den Anteil unter Berufung auf seine belgischen Partner für 2022 auf sechs bis elf Prozent. 2023 dürfe er sogar noch höher gewesen sein, da die Importe von russischem LNG in Zeebrugge um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert worden seien. Unterm Strich bestehen also mindestens zwei bis drei Prozent aller deutschen Erdgaseinfuhren aus russischem LNG. Anstelle eines direkten Importgeschäfts mit Russland fordert »Urgewald« daher weiter verschärfte Sanktionen gegen Moskau.

Unterdessen gehen die Bauarbeiten vor Rügen weiter, obwohl es, wie gesagt, die Dringlichkeit nicht gibt, mit der das Bergamt in Stralsund argumentiert, wenn es sich bei seinen Genehmigungen für den Bau des Rügener LNG-Terminals und der Pipeline über Umweltschutzbedenken hinwegsetzt. Das angelandete Gas soll vom Hafen in Mukran am Boden des Greifswalder Boddens nach Lubmin gepumpt werden, wo auch die Nord-Stream-Pipelines anlanden.

Der Bodden ist ein sehr flaches Gewässer zwischen Rügen und der vorpommerschen Küste. Der Hering aus der ganzen Region kommt im zeitigen Frühjahr zum Laichen dorthin. Eigentlich schlüpfen die Heringslarven, wenn auch das Plankton, ihre erste Nahrungsquelle, zu wachsen beginnt. Doch seit Beginn des Jahrtausends ist dieses diffizile Gleichgewicht durch den Klimawandel gestört. Das Schlüpfen der Larven ist von der Wassertemperatur abhängig und erfolgt aufgrund der Erwärmung nun erheblich früher.

Das Wachstum der Algen, also des pflanzlichen Planktons, wird jedoch von der Tageslänge gesteuert, passt sich also nicht dem Zeitplan des Heringsnachwuchses an. Entsprechend verhungert dieser in großer Zahl, und die Heringsbestände sind in den Gewässern so weit eingebrochen, dass die Fangquoten drastisch herabgesetzt wurden. In der Folge wurden viele Heringsfischer arbeitslos. Entsprechend ist die Erlaubnis des Stralsunder Amtes, auch im Januar und Februar die Pipeline weiter im kritischen Laichgebiet verlegen zu dürfen, kaum nachvollziehbar. Sie ist für die Erdgasversorgung überflüssig und gefährdet die lokale Fischerei.

https://www.jungewelt.de/artikel/469794.ausbau-von-lng-infrastruktur-rügens-überkapazitäten.html