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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 7 / Ausland
Karibik

Vereidigung unter Schüssen

Haiti: Übergangsrat soll Demokratie wiederherstellen. Bewaffnete Gruppen kündigen Widerstand an
Von Volker Hermsdorf
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Die Gewalt auf den Straßen bleibt alltäglich. Hier beschießt die Polizei einen Markt mit Tränengas (Port-au-Prince, 24.4.2024)

Haiti hat mit der Vereidigung eines Übergangspräsidialrats seit der vergangenen Woche wieder eine Interimsregierung. Geleitet wird sie vom bisherigen Finanzminister Michel Patrick Boisvert, der von Exregierungschef Ariel Henry vor dessen Rücktritt noch per Dekret zum Interimspremierminister ernannt worden war. Der ebenfalls nicht durch Wahlen legitimierte Rat soll das Land bis zu den ersten Parlamentswahlen seit 2016 führen und die Macht bis Februar 2026 an eine gewählte Regierung übergeben. Eine seiner ersten Aufgaben ist die Unterstützung einer vom UN-Sicherheitsrat genehmigten, von Kenia angeführten multinationalen Eingreiftruppe. Unmittelbar nach Bildung des Rates versicherte Kenias Präsident William Ruto, dass sein Land sich derzeit auf die Entsendung von Truppen nach Haiti vorbereite.

Wie das argentinische Portal Infobae am Sonnabend unter Berufung auf eine UN-Quelle meldete, wollen Benin, Tschad, die Bahamas, Jamaika und Barbados sowie Bangladesch die militärische Aktion unterstützen. Als erstes Land hatten die USA die Einsetzung des Übergangsrates als »lange erwarteten entscheidenden Schritt auf dem Weg zu freien Wahlen« begrüßt. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, erklärte, Washington sei entschlossen, die Bemühungen um die Wiederherstellung von Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit weiter zu unterstützen. Sein Land habe eine erste Lieferung mit Ausrüstung für die haitianische Polizei bereits auf den Weg gebracht. »Die Situation in Haiti ist genauso wichtig und kritisch wie jede andere Krise in der heutigen Welt, und die internationale Gemeinschaft sollte dies auch so sehen«, ergänzte der US-Unterstaatssekretär für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre, Brian Nichols, in einem Gespräch mit Medienvertretern Kirbys Äußerungen. Laut der spanischen Agentur Efe verglich er die Lage Haitis dabei mit der Situation im Gaza und in der Ukraine.

Während auch die Vereinten Nationen und andere Länder darauf setzen, die politische und humanitäre Krise mit Hilfe fremder Truppen abschwächen zu können, sind Kritiker skeptisch. Weil der Präsidialrat vor allem auf US-Initiative zustande kam, wird die neue Führung als das Ergebnis ausländischer Einmischung und ein Instrument zur Verteidigung fremder Interessen angesehen. »Dies ist eine weitere Phase, die das Land erleben wird, aber es wird nicht das Ende sein. Die Krise wird weitergehen und immer schlimmer werden, weil die Imperialisten nichts im Interesse der haitianischen Bevölkerung lösen können. Es wird keine Verbesserung bei Arbeitsplätzen, Löhnen, Ernährungssicherheit, angemessenem Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung für die arbeitenden Massen geben«, fürchtet die oppositionelle Zeitschrift Haïti Liberté. Tatsächlich ist nicht anzunehmen, dass ein- oder zweitausend ausländische Polizisten den Einfluss und die Gewalt der rund 200 schwerbewaffneten Gangs, die große Teile des Landes kontrollieren, stoppen können.

Zweifel an einem Erfolg sind zudem angebracht, weil die Forderung einiger Bandenchefs nach Beteiligung an der Übergangsregierung oder zumindest an Gesprächen vor deren Gründung ignoriert worden waren. Daraufhin erklärten die Gangs, den neuen Interimsrat nicht zu akzeptieren und dessen Arbeit zu torpedieren. »Haltet euch bereit«, drohte Jimmy Chérizier, einer der mächtigsten Bosse, in einem Video. Schon jetzt gibt es in dem Land mit rund 11,6 Millionen Einwohnern nach UN-Angaben mehr als 360.000 Binnenflüchtlinge. 95.000 Menschen sind vor der Gewalt aus der Hauptstadt geflohen, und fünf Millionen sind nach Angaben von UN-Experten von einer »akuten Hungersnot« betroffen. Trotz derartiger Herausforderungen gibt sich der neue Amtsinhaber Michel Patrick Boisvert optimistisch. »Der heutige Tag eröffnet die Aussicht auf eine Lösung«, erklärte er am Donnerstag beim Sektempfang nach Vereidigung des Übergangsrates im Büro des Premierministers in der im Nobelviertel Bourdon gelegenen Villa d’Accueil, während wie üblich Schüsse durch die Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince hallten.

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