4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 6 / Ausland
Besetztes Palästina

Koloniale Träume

Israels Finanzminister will illegale Siedlungen stärker unterstützen. Kritik auch aus Knesset
Von Gerrit Hoekman
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Vor Ort Fakten schaffen: Zionistischer Siedler an der Zufahrt zum palästinensischen Nablus (4.10.2022)

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich treibt israelischen Medienberichten zufolge den seit langem geträumten Traum israelischer Rechter voran: Die vollständige jüdische Kolonisierung der palästinensischen Westbank. Die isra­elische Friedensbewegung Peace Now berichtete am Sonntag, Smotrich habe verschiedene Behörden aufgefordert, 68 sogenannte wilde Außenposten, die in den vergangenen Jahren von radikalen Siedlern völkerrechtswidrig auf der Westbank errichteten wurden, mit mehr Geld für eine bessere Infrastruktur zu versorgen.

Laut der Times of Israel leben in den Außenposten rund 25.000 Menschen. Auch nach israelischem Gesetz halten sie sich dort illegal auf. Der Abgeordnete der Arbeitspartei Gilad Kariv warf Smotrich vor, er schütte mit seinem Plan einen »Benzinkanister« auf Israels internationale Legitimität, berichtete Times of Israel am Sonntag. Yesha, die kommunale Dachorganisation der Siedlungen auf der Westbank, begrüßt hingegen das Vorhaben. »Das ist ein wichtiger Fortschritt auf dem Weg zur Wiedergutmachung der Ungerechtigkeit für Tausende von Bewohnern, die seit Jahren in diesen Siedlungen ohne angemessene Infrastruktur leben«, so Yesha-Chef Shlomo Neeman.

Im Februar 2023 hatte das Kabinett von Benjamin Netanjahu, in dem Faschisten wie Smotrich oder Itamar Ben-Gvir und nationalistische Hardliner des Likud mittlerweile den Kurs bestimmen, beschlossen, zehn Außenposten zu legalisieren. Unter anderem sollen öffentliche Gebäude wie Schulen und medizinische Einrichtungen gebaut und die Außenposten an die Infrastruktur angeschlossen werden, etwa durch Straßen, Strom- und Wasserleitungen und ein Abwassersystem. »Die israelische Regierung handelt weiterhin entschlossen, um die Besatzung zu vertiefen und vor Ort Fakten zu schaffen, um die Möglichkeit eines künftigen palästinensischen Staates zu verhindern«, stellte Peace Now bereits am 15. Februar 2023 fest. »Während die unmittelbaren und primären Opfer die palästinensischen Einwohner und das palästinensische Volk als Ganzes sind, zwingt die Regierung allen Israelis auf, in einem nichtdemokratischen Staat zu leben, weil es neben Besatzung und Siedlungen keine Demokratie geben kann«,

Gleichzeitig vertreiben militante Siedler im Bund mit Teilen der Armee immer mehr Palästinenser aus ihren Dörfern. Das auf der Westbank stationierte Bataillon Netzah Yehuda schreckt dabei selbst nach Ansicht der USA auch vor schweren Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. Das Weiße Haus soll nun Sanktionen gegen das Bataillon planen, berichteten US-Medien am Freitag.

Netzah Yehuda besteht ausschließlich aus ultraorthodoxen Juden. Die Soldaten erhalten darum Zeit für Gebete und religiöse Studien. Außerdem dürfen sie den Kontakt mit Soldatinnen auf ein Minimum beschränken. Das Bataillon ist wegen seines brutalen Vorgehens berüchtigt. Die USA wurden erst 2022 aufmerksam, nachdem der 78 Jahre alte Omar Assad in den Händen des Bataillons durch einen Herzinfarkt gestorben war. Eine Autopsie ergab, dass er vor seinem Tod misshandelt worden war. Assad besaß auch die US-Staatsangehörigkeit.

Schon das vage Gerücht, Washington könnte die Militärhilfe an Israel kürzen, brachte Ministerpräsident Netanjahu in Rage. Ein solcher Schritt sei »der Höhepunkt der Absurdität und ein moralischer Tiefpunkt« angesichts des Umstands, dass Israels Truppen in Gaza gegen die Hamas kämpften. Er werde sich »mit allen Mitteln« widersetzen, kündigte Netanjahu an.

Das Weiße Haus denke auch über persönliche Sanktionen gegen Finanzminister Smotrich und seinen Bruder im Geiste, Sicherheitsminister Ben-Gvir, nach, berichtete die israelische Tageszeitung Haaretz am Sonntag. Am Wochenende gaben die USA außerdem bekannt, dass alle Banken auf der Welt Kreditkarten des rassistischen Siedleraktivisten Ben-Zion Gopstein, einem Freund von Itamar Ben-Gvir, sperren müssen.

Alle Sanktionen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA weiterhin in Treue fest zu Israel stehen und es nach Kräften mit frischen Waffen und Munition versorgen. Auch politisch hält Washington Israel den Rücken frei: Erst letzte Woche verhinderten die USA mit einem Veto im Sicherheitsrat Palästinas Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (23. April 2024 um 22:30 Uhr)
    Das ist die harte Realität des Kolonialismus, und keine Verklärung durch Träumereien! Wenn überhaupt ein Gebiet historisch den Juden zugeschrieben werden könnte, dann wäre es zweifellos das Westjordanland. Warum also wurde Palästina 1947 anders aufgeteilt? Die Juden hatten keine historischen Ansprüche an die Mittelmeerküste. War diese fehlerhafte Aufteilung absichtlich geplant? Dies ist die entscheidende Frage, die untersucht werden muss. Nicht umsonst haben US-Politiker über den Nahen Osten geschworen: »Wenn Israel nicht existieren würde, müssten wir es erfinden!« – als Begründung für die US-Präsenz.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (24. April 2024 um 21:49 Uhr)
      Der Zionismus war zunächst eine säkulare Bewegung und hat sich erst im Nachgang religiös aufgeladen. Man hatte zunächst bevorzugt die fruchtbaren Küstengebiete sowie den fruchtbaren Streifen zum See Genezareth besiedelt und aufgekauft. Das minderwertige Hügelland bot eben keine so gute wirtschaftliche Grundlage für das angestrebte Gemeinwesen. Darum hat man es links liegen lassen, so dass die Palästinenser dort (noch) nicht verdrängt wurden. Der UN-Teilungsplan berücksichtigte dann die damals aktuelle Bevölkerungsverteilung. Das sogenannte historische Anrecht auf Judäa und Samaria ist allerdings durchaus nur ein Wunschtraum und wie alle mit Jahrhunderte zurückliegenden Ereignissen begründeten Ansprüche rational unhaltbar, so assoziaitiv schlüssig sie auch erscheinen mögen. Man kann die Geschichte nicht auf einen Zeitpunkt zurückdrehen. Welcher Zeitpunkt sollte da überhaupt maßgeblich sein? Wo sollte die heutige Menschheit hin, wenn wir z. B. das Land den Neandertalern zurückgeben wollten? Man sollte einsehen, dass man nicht alles Unrecht der Geschichte wiedergutmachen kann, ohne weit größeres neues Unrecht zu schaffen. Das heißt: Irgendwann verjähren Ansprüche aus geschehenen Untaten. Die Rede vom sogenannten historischen Recht ist darum in der Regel nur das hübsch aussehende Mäntelchen, unter dem sich Gier und Raub verbergen. Die zionistischen Besitzansprüche auf Judäa und Samaria religiös zu begründen, ist übrigens auch noch aus einem zweiten Grund fragwürdig. Für viele religiöse Juden galt die Rückkehr nach Palästina früher als Sakrileg, als unzulässiger Vorgriff auf die Zeit des Messias. Ich sage bewusst früher, denn die Argumente aus dem Arrangement mit dem Diasporadasein dürften mit der faktischen Inbesitznahme Palästina hier und da an Zugkraft verloren haben.

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