4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 23.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Sprachverbot des Tages: Hebräisch

Von Nick Brauns
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Vor dem Reichstagsgebäude dürfen keine Reden auf Hebräisch gehalten werden. Das ist kein Gesetz aus brauner Vorzeit, sondern eine Ende letzter Woche erlassene Auflage der Berliner Polizei nach dem »Versammlungsfreiheitsgesetz«. Sie gilt für ein auf der Wiese vor dem Parlament errichtetes palästinasolidarisches Protestcamp. Ihre Forderungen nach einem »gerechten Frieden« in Nahost und einem Ende deutscher Waffenlieferungen an Israel dürfen die von Blöd bis Tagesspitzel unter antisemitisch-terroristischen Generalverdacht gestellten Aktivisten indessen nur in Sprachen, derer die zu ihrer Überwachung aufmarschierten Polizisten auch mächtig sind: Deutsch und Englisch – sowie in einem Zeitfenster ab 18 Uhr Arabisch. Denn dann hat der Polizeidolmetscher Zeit. Untersagt wurden dagegen explizit Ausrufe oder Gesänge in Hebräisch, aber auch auf Gälisch. Gegen mehrere Iren, die Solidaritätslieder in dieser Amtssprache der irischen Republik angestimmt hatten, wurden deswegen Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Dass tatsächlich derartige Sprachauflagen für das Camp erlassen wurden, bestätigte ein Pressesprecher der Berliner Polizei am Sonntag nachmittag gegenüber junge Welt. »Wir müssen verstehen, was dort gesagt wird«, so die Begründung, es könnte ja zu Straftaten oder »Gewaltaufrufen« kommen.

Zumindest zum religiösen Gebrauch scheint das Hebräischverbot inzwischen gekippt. Nachdem bereits eine Schabbatfeier abgehalten wurde, war für Montag abend ein Pessachfest im Camp angekündigt. Solcherart jüdisches Leben ist dem deutschen Staat genehm. Doch wehe, israelische Juden wagen es hierzulande, angesichts des mörderischen Vorgehens in Gaza die deutsche Staatsräson bedingungsloser Israelsolidarität in Frage zu stellen. Dann ist selbst ein Hebräischverbot schnell bei der Hand – natürlich im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (24. April 2024 um 21:20 Uhr)
    Es gilt nach wie vor der alte Sponti-Spruch »Fesseln spürt wer sich bewegt«. Dabei genügen mittlerweile bereits die kleinsten unerwänschten Bewegungen weiter unten, um schon die bereitgehaltenen Handschellen anzulegen, sie sichtbar zu machen. Wer nicht auf Linie ist, es an Artigkeit mangeln lässt, der ist gar schnell am Kanthaken gepackt, allen Demokratiebeschwörungen, angeblicher Meinungsfreiheit, zum Trotz. Die schönschillernde Fassade ist eben mehr zum Angucken gedacht, ähnlich den aufsteigenden Seifenblasen, auf dass so die getreuen Bürger sich beruhigt und beschwichtigt sehen, alles doch mit rechten Dingen zugehe, nichts hingegen Richtung Rechts. Mit diesem süßlich-dumpfen ideellen Weihrauch beräuchern sich selbst bestätigend die Herrschenden und ihre Schleppenträger, wobei gezielt die Weihrauchschwaden vernebelnd dem Publikum zugeweht werden. Wer da dennoch zweifelt, dem wird entgegengehalten, dass wir hierzulande notwendigerweise eine wehrhafte Demokratie haben, die es zu schützen gilt. Ein wenig erinnert das von der »Logik« her, an die Argumentation eines US-Offiziers bzgl. dem begangenen US-Massaker in My Lai. »Wir mussten das Dorf abbrennen, um es so vor dem Feind zu retten.« Gemäß dieser irrwitzigen Geisteshaltung wird so unsere ohnehin recht schwache Demokratie immer wehrhafter, indem sie immer mehr verschwindet, um sie so zu »retten«. Ja-ja, dunkel ist’s, der Mond scheint helle und nachts isses kälter als draußen. Gemäß dieser neuen Zeitenwende, gewürzt mit Orwellschen Neusprech, wird nicht nur die ohnehin magere Demokratie klapperdürr, sondern auch alles Irrationale immer moderner, so dass ein neumodischer Aberglaube zusehends fröhliche Urständ hält.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (24. April 2024 um 15:19 Uhr)
    Daran sieht man die Schizophrenie des deutschen Staates. Ob die Verbote-Erlassenden überhaupt wussten, dass Hebräisch die Sprache des jüdischen Volkes ist? Und die Kippa ein Kennzeichen für einen Menschen, der den jüdischen Glauben lebt? Nach der gewaltsamen Beendigung der Palästinakonferenz vor fast zwei Wochen wurde ein Kippa-tragender Teilnehmer durch die Polizei verhaftet. Vielleicht gehört zur Einsatzeinweisung auch der Hinweis auf bestimmte kulturelle Merkmale der Teilnehmenden. Die Kuffiya, das Palästinensertuch, ist allen bekannt – also ergibt sich wahrscheinlich in der Polizeilogik, dass alle, die gemeinsam mit Kuffiya-Tragenden eine Veranstaltung durchführen, Israelfeinde sind. Eines bin ich mir sicher, sie sind nicht gegen das israelische Volk, sondern gegen die israelische Regierung, sie wollen alle eine Beendigung des Genozids in Gaza, der Westbank, den Golanhöhen und im Südlibanon. Die traumatisierten palästinensischen Kinder werden sonst die nächste Generation der Kämpfer sein. Das sollte die israelische Regierung und ihre »wertewestlichen«, »staatsräsonierten« Freunde in Europa und den USA endlich begreifen! Es muss endlich eine Friedenslösung her! Und sich nicht an Künstlern wie Dieter Hallervorden abarbeiten, die gerade und zuerst das Leid der Kinder thematisieren. Das sind keine »Antisemiten«, sondern zutiefst humanistisch denkende Menschen.

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