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Aus: Ausgabe vom 30.04.2024, Seite 2 / Ausland
Die BRD und die Nelkenrevolution

»Die größte Sorge galt der Volksfront«

Über die Einflussnahme der BRD vor und nach der Nelkenrevolution in Portugal. Ein Gespräch mit António Louçã
Interview: Susanne Knütter
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Solidarische Unterstützung aus der portugiesischen Community in Westdeutschland (Dortmund, 5.5.1974)

Um den 50. Jahrestag der Nelkenrevolution in Portugal sollte auch über die westdeutsche Einmischung gesprochen werden. Inwiefern war der Eingriff der Bundesrepublik Deutschland in die Nelkenrevolution von 1974 diskret, wie es im Titel Ihres neuen Buches »Uma Ingerência Discreta« heißt?

Offiziell bejubelten die westlichen Regierungen den Zusammenbruch des portugiesischen Faschismus. Aber gleichzeitig fingen sie alle sofort an, die Revolution zu untergraben. Im deutschen Fall war es so, dass die Gefahr einer portugiesischen Volksfront Bundeskanzler Willy Brandt die größten Sorgen bereitete. Er dachte, der Vorsitzende des Partido Socialista, Mário Soares, strebe eine Annäherung zur Kommunistischen Partei in Portugal an. Hinter den Kulissen hat man alles versucht, das zu verhindern. Ironischerweise war Soares sogar selbst mehr auf Brandt- als auf Mitterrand-Linie.

Bereits vor 1974 spielte die BRD eine große Rolle. Wie unterstützte Westdeutschland die Salazar-Caetano-Diktatur?

Schon der frühere NS-Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht hatte sich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Salazar getroffen, um mögliche Pläne für eine Zusammenarbeit in den portugiesischen Kolonien zu erörtern. Als der Kolonialkrieg 1961 anfing, hat die BRD Portugal mit Korvetten, Jagdflugzeugen und anderer Kriegsrüstung beliefert. Diskret war diese militärische Unterstützung schon damals, weil sie politisch nicht offen zugestanden werden durfte. Die internationale Stimmung war allgemein gegen den Kolonialismus.

Der Partido Socialista, PS, wurde 1973 in Bad Münstereifel gegründet. Welche Absichten verfolgte die SPD schon damals?

Die SPD ließ den Kongress von Bad Münstereifel geschehen, aber damals setzte sie immer noch auf eine Liberalisierung des portugiesischen Faschismus. Sogar als Soares auf die Insel São Tomé verbannt worden war, hatte sich die SPD nur mit großer Mühe zu einem scheuen Protest bewegen lassen.

Ihr Buch thematisiert nicht nur die Rolle von SPD und Friedrich-Ebert-Stiftung. Es wirft auch ein Licht auf andere Aspekte der westdeutschen Einmischung in die Nelkenrevolution. Welche waren das?

Als die Friedrich-Ebert-Stiftung versucht hat, einen Austausch mit der portugiesischen Linken zu entwickeln, agierte die deutsche Botschaft lange noch im Netz ihrer fast ausschließlich rechten Beziehungen. Gleichzeitig hat die BRD die portugiesischen Parteien mit einem antikommunistischen gemeinsamen Nenner finanziert.

Wie trat die deutsche Botschaft auf?

Die BRD-Botschaft hatte detaillierte Kenntnis über die Spínola-Machenschaften, die schließlich im Putschversuch vom 11. März 1975 mündeten. Es war kein Zufall, dass der General und drei andere hochrangige Putschisten gerade in der deutschen Botschaft Zuflucht fanden. Aber mittlerweile musste sie anerkennen, dass mit einem rechten Putsch nichts zu erreichen war. Alles müsste über die Wahlurnen laufen. Diese strategische Wende wurde vom Botschafter Fritz Caspari sogar konsequenter verfolgt als vom US-Botschafter Frank Carlucci, der sich noch gegen seinen Staatssekretär Henry Kissinger durchzusetzen hatte.

Welche Gruppen wurden neben dem PS aus der BRD gefördert?

Es war hauptsächlich der Partido Popular Democrático, der sich in Partido Social Democrata umbenannte, aber trotz dieser Umbenennung eine rechtsliberale Partei war und ist.

Wie berichtete die westdeutsche Presse über die Revolution?

Ich habe den Spiegel und Die Zeit betrachtet. Mit der linken Journalistin Jutta Fischbeck schien der Spiegel bis zum 11. März 1975 einen sehr bejubelnden Ton anzuschlagen. Dann kam der Schreck einer sozialistischen Revolution, und ab dann änderten sich Inhalt und Form sehr deutlich. In Die Zeit wurde António de Spínola von dem rechten Journalisten Horst Bieber zunächst als Held gefeiert. Als Spínola sich am 11. März blamierte, ließ Bieber ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Gegen Ende der Revolution waren beide, Spiegel und Die Zeit, auf eine mehr oder weniger gemeinsame Linie gebracht worden. Sie standen der Revolution feindlich gegenüber.

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