27.03.2024 / Inland / Seite 5

BRD bleibt auf Armutskurs

Paritätischer legt Zahlen zu Armut für 2022 vor. Arm sind in der Bundesrepublik demnach vor allem Erwerbstätige, Rentner und Kinder

David Maiwald

Die gute Nachricht: 2022 hat die konstante Verarmung der BRD-Bevölkerung, die sich seit 2006 statistisch erfassen lässt, einen »Dämpfer« erhalten. Die schlechte: Seitdem hat sie um 20 Prozent zugenommen. 2,7 Millionen Menschen wurden also Opfer des fatalen Verarmungskurses, der bis heute andauert. Alleine seit 2019 sind hierzulande fast eine Millionen Menschen in die Armut gestürzt worden. Der Präsident des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, stellte den hauseigenen Armutsbericht am Dienstag nicht nur persönlich vor, er ordnete den beschriebenen Rückgang der »Armutsquote« von 16,9 auf 16,8 Prozent auch ein: Kein wirklicher Rückgang sei das, eher ein »statistisches Flimmern«, so Schneider in der Bundespressekonferenz. Auch 2022 sei die Armut in der BRD »auf einem sehr hohen Niveau verblieben«.

Annähernd 17 Prozent (16,8) der BRD-Bevölkerung leben dem Bericht zufolge in Armut – 14,2 Millionen Menschen insgesamt. Bemerkenswert ist die Zusammensetzung der aus Mikrozensusdaten des Statistischen Bundesamtes gewonnenen Übersicht. Denn daraus geht hervor, dass mehr als ein Viertel der von Armut betroffenen Menschen hierzulande erwerbstätig ist. Ein weiteres knappes Viertel »ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder«, heißt es im Report.

Während Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg geringe Armutsquoten aufwiesen, liege diese im Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen über 19 Prozent. »Völlig abgeschlagen mit 29 Prozent ist Bremen«, kommentierte Schneider. Im Ranking war Hamburg mit einem Zuwachs von zwei Prozent der große Verlierer, im Falle des bevölkerungsreichsten Bundeslandes NRW liege allerdings die »größte und am schnellsten wachsende« Armut vor: 42 Prozent Zunahme seit 2006, »doppelt so schnell wie im Rest der Republik«. Von 5,1 Millionen Einwohnern des Ruhrgebiets lebten »in der Armutsregion Nummer eins« eine Million in Armut.

Diese betrifft insbesondere Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern. Arm sind laut Paritätischem besonders häufig Erwerbslose, Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Frauen erleben dies mit 17,8 Prozent deutlich häufiger als Männer (15,8 Prozent). Bei Personen im Rentenalter ab 65 Jahren ist diese Lücke noch gravierender. Auf drastisch hohem Niveau ist weiterhin Kinderarmut: So wachsen mit 22 (21,8) Prozent der Kinder und Jugendlichen überdurchschnittlich viele junge Menschen in Armut auf. Auch rund ein Viertel (25,2 Prozent) der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist den Zahlen der Wiesbadener Behörde zufolge arm.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele nannte dies am Dienstag eine »Schande für so ein reiches Land wie Deutschland«. Der neue Höchststand bei Kinderarmut zeige, dass Hilfen »offenbar nicht dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden«, sagte Bentele in einer Mitteilung des Verbands. Angesichts dieser Zahlen sei es »um so wichtiger, dass das System reformiert wird«. Es brauche »eine gute Kindergrundsicherung, die Kinder wirklich vor Armut bewahrt«.

Das bislang vorliegende Konzept für eine Kindergrundsicherung könne »nicht erreichen (…) was sie will«, erklärte Ulrich Schneider am Dienstag. Angesichts der veranschlagten Kosten für das »zentrale sozialpolitische Projekt« der Ampelkoalition ist allerdings zweifelhaft, ob es dabei tatsächlich um Armutsbekämpfung geht. Der Betrag müsse dafür schließlich um 40 Prozent erhöht werden, erklärte Schneider. »Sonst bekommen wir Kinder nicht aus der Armut.« Wenn es lediglich heiße, schneller an das zu kommen, was nicht ausreicht, habe eine Kindergrundsicherung keinen Sinn. »Die Wahrheit liegt dann im Portemonnaie, nicht in irgendwelchen Verfahren.«

Ein Mindestlohn von 15 Euro, ausreichende Kinderbetreuung (Schneider: »Es fehlen 400.000 Kitaplätze«), eine zuverlässige Kindergrundsicherung, eine Bürgerrente (»alle zahlen ein, mit allen Einkommen«), eine Pflegevollversicherung und das Klimageld müssen her, so das Fazit. Bezahlbar durch eine Vermögenssteuer und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, erklärte Schneider. Zudem eine Abschaffung der Schuldenbremse. »In dieser Koalition wahrscheinlich nur ganz schwer zu machen.« Ein neuer »Dämpfer« dürfte also auf sich warten lassen.

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