18.04.2024 / Titel / Seite 1

Schutzmacht für Tesla

Grünheide: Polizei kriminalisiert Besetzer in Protestcamp. IG Metall will unterdessen um jeden Job in »Gigafactory« kämpfen

Oliver Rast

Sie schikanieren, und das schon morgens: Tag für Tag durchstreifen Polizeikräfte das Protestcamp aus Baumhäusern und Zelten am Bahnhof Fangschleuse im ostbrandenburgischen Grünheide unweit der »Gigafactory« von Tesla. Eine Machtdemonstration. Rund 80 Aktivisten halten dort seit Ende Februar ein Waldstück besetzt; ein Areal, das der US-Elektroautobauer plattmachen will für seinen geplanten Fabrikausbau, teils in einem Trinkwasserschutzgebiet.

Zunächst seien die behördlichen Stippvisiten in Begleitung des Revierförsters recht entspannt verlaufen, so Paul Eisfeld von »Tesla stoppen« am Mittwoch zu jW. In den vergangenen Tagen habe sich die Situation indes zugespitzt, »statt örtliche Polizisten kommt nun eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit«. Im Schlepptau Staatsanwälte und Kripobeamte. Etwa Dienstag früh. Eine Sprecherin des zuständigen Polizeipräsidiums Potsdam bestätigte am Mittwoch gegenüber jW die härtere Gangart. Der Großeinsatz tags zuvor habe der Strafverfolgung gedient; unter anderem wegen des Vermummungsverbots. Ferner wegen Diebstahls von Holz und eines Jagdhochstands. Verstehen könne sie die Aufregung nicht, solcherlei Begehungen gebe es seit Wochen, meinte die Sprecherin. Und: Die Maßnahmen würden bis auf weiteres fortgesetzt.

Eine unverhohlene Drohung, findet Eisfeld. Und das, obwohl die Versammlung auf dem Areal seitens der Wald- und Wasserbesetzer bis zum 20. Mai angemeldet ist. Offenbar suchen Behörden händeringend nach Verstößen, um die Protestler zu kriminalisieren. Bereits die Erstanmeldung des Camps bis zum 15. März hatte das Polizeipräsidium per striktem Auflagenbescheid gerichtlich untersagen lassen wollen. Mit dem erklärten Einverständnis von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Daraus wurde nichts. Die Fanboys von Tesla-Boss Elon Musk unterlagen. Zunächst. Das Verwaltungsgericht Potsdam kassierte am 19. März den Auflagenbescheid für das Camp. Daraufhin legte das Polizeipräsidium Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) ein. Nur fehlt seitdem eine schriftliche Begründung, wie OVG-Sprecherin Christiane Scheerhorn am Mittwoch im jW-Gespräch erklärte. Ohne Begründung könne das Gericht nicht entscheiden.

Nicht nur renitente Dauercamper bereiten Musk und Co. Probleme, dazu kommt eine ausgewachsene Absatzkrise. Am Montag war bekanntgeworden: Tesla will deswegen weltweit zehn Prozent der Stellen streichen. In Grünheide könnten Medienberichten zufolge 3.000 der aktuell rund 12.500 Jobs in der »Gigafactory« wegfallen. Kurios, weil der Konzern erst kürzlich bekräftigt hatte, die Belegschaft im Rahmen der Ausbaupläne auf 22.500 Beschäftigte aufzustocken. Eine Tesla-Sprecherin dementierte eilig die Zahlen – und vermeldete zugleich, den neugewählten (unternehmensnahen) Betriebsrat (BR) bei allen »arbeits- und mitbestimmungspflichtigen Erfordernissen« einzubeziehen. Konkreter wurde sie nicht.

Das empört Markus Sievers. Die ungewisse Situation sei für die Kollegen unerträglich, sagte der Pressesprecher der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen am Mittwoch auf jW-Nachfrage. »Niemand weiß, woran sie oder er ist.« Klar sei, dass die Metaller im Betriebsrat um jeden Arbeitsplatz kämpfen würden.

Kämpfen werden auch die Besetzer – trotz aller Polizeischikanen, versicherte Eisfeld von »Tesla stoppen«. Bis die gigantischen Ausbaupläne vom Tisch sind. Ohne Wenn und Aber.

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